Wo geht’s lang?

Im Bundestag ist kein Platz für sie. Acht Monate lang hat Emmi Zeulner gekämpft und um das Vertrauen der Menschen in Oberfranken geworben. Keine leichte Aufgabe, wenn der Vorgänger im Wahlkreis Karl-Theodor zu Guttenberg heißt und bei der Bundestagswahl 2009 mit 68,1 Prozent das bundesweit beste Erststimmen-Ergebnis vorgelegt hat. Keine leichte Aufgabe, aber trotzdem hat auch Zeulner den Wahlkreis Kulmbach am 22. September mit knapp 57 Prozent der Erststimmen für sich entschieden und ist mit ihren 26 Jahren obendrein auch noch die jüngste weibliche Abgeordnete.

Aber das ändert erst einmal nichts – bis sie ein eigenes Büro im Deutschen Bundestag beziehen kann, wird es noch eine Weile dauern. Gerade ist sie mit dem Zug aus Lichtenfels gekommen. Offizielle Termine stehen heute nicht an, trotzdem gibt es eine Menge zu tun. Dazu gehört zu klären, wo sie in den nächsten Wochen, wenn sie in Berlin ist, arbeiten und wohnen kann. Und Formalitäten erledigen.

Vorerst untergekommen

Bepackt mit zwei Taschen, in denen ihr Laptop, einige Mappen und Bewerbungsunterlagen möglicher Mitarbeiter für ihr Abgeordnetenbüro stecken, ist sie deshalb auf dem Weg zum Büro des Parlamentarischen Geschäftsführers der CSU im Bundestag, Stefan Müller. Zeulner klopft zaghaft an die Tür und öffnet sie: „Grüß Gott.“ Eine Mitarbeiterin nimmt das Papier in Empfang, das Zeulner aus ihrer Tasche zieht. Darauf notiert sind Daten zu ihrer Person inklusive ihrer Sprachkenntnisse in Englisch, Französisch und Spanisch sowie der Ausschuss, in dem Zeulner in den nächsten vier Jahren mitarbeiten möchte.

Zeulner will Gesundheitspolitik machen. „Das Pflegethema“, sagt sie, „wird noch nicht ausreichend vertreten.“ Das will die examinierte Krankenschwester, die bis vor Kurzem neben ihrem Wirtschaftsstudium Teilzeit in einem Palliativzentrum in ihrem Wahlkreis gearbeitet hat, ändern. Zumal sie die einzige Krankenschwester im Bundestag sei und deshalb einfach in den Gesundheitsausschuss gehöre. Außerdem könnte sie dann wohl mit ihrem Parteikollegen, „dem Straubinger Max zusammenarbeiten. Des würd’ mich freuen, der hat das Herz am rechten Fleck“, sagt sie mit leicht fränkischem Zungenschlag.

Dann vibriert ihr Smartphone. Nach mehreren „Schade!“ beendet Zeulner das kurze Gespräch und seufzt: „Die junge Frau, die da jetzt angerufen hat, die hätte ich gerne als Mitarbeiterin in meinem Berliner Büro eingestellt. Aber sie will nach München. Ich habe ihr die Nummer eines Kollegen gegeben, der für sein Wahlkreisbüro dort eine Mitarbeiterin sucht.“ Der ruft nach einigen Minuten an und bedankt sich für ihre Vermittlungsarbeit. Dass sie helfen konnte, freut Zeulner; ihr hilft es erst einmal nicht. Sie muss weiter suchen nach einem Mitarbeiter, der sich mit Verkehrsinfrastruktur auskennt: „In meinem Wahlkreis ist das ein wichtiges Thema.“

Bevor sie sich darum kümmern kann, geht es weiter zum Büro des CSU-Abgeordneten Thomas Silberhorn. Bei ihm kann sie unterschlüpfen in den nächsten ein bis zwei Monaten. Solange wird es dauern, bis die Abgeordneten, die dem 18. Deutschen Bundestag nicht mehr angehören, ihre Büros geräumt haben und Platz ist für die Neuen. Silberhorns Mitarbeiterin zeigt ihr den provisorischen Arbeitsplatz. „Hier sitzen normalerweise die Praktikanten“, sagt sie. Zeulner ist froh über den kleinen Raum mit Schreibtisch. „Des is’ gut, da kann ich meine Sachen herbringen und den Laptop abstellen und aufladen. Im Zug eben waren mal wieder die Steckdosen ausgefallen.“

Tipps und Schokolade

Jetzt muss sie vom Jakob-Kaiser-Haus, in dem die CSU-Landesgruppe ihre Büros hat, in ein anderes Gebäude des Bundestages. Das Gespräch mit einem potentiellen Mitarbeiter steht an, der zuvor für die FDP gearbeitet hat und sich mit Infrastrukturpolitik auskennt. Auf dem Weg dorthin freut sich Zeulner, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Der Sicherheitsbeamte von Innenminister Friedrich wartet auf seinen Chef, der in den Sondierungsgesprächen mit der SPD sitzt. Zeulner plaudert kurz mit ihm und seinem Kollegen. „Wir kennen uns von vielen Terminen in Franken“, erklärt sie auf dem Weg nach draußen. Bei dem Bewerber angekommen, führt dieser Zeulner durch das Büro mit gepackten Kartons und leeren Aktenordnern auf den Schreibtischen. „Ja, traurig“, sagt er nur kurz und lächelt dann. Für ihn geht es jetzt um einen neuen Job. Aber zuerst noch ein paar praktische Tipps. Er geht zu einem Schrank, an dem ein Zettel mit Tesafilm befestigt ist, und fährt mit seinem Finger über das Papier, stoppt beim Ansprechpartner für „PC, Kunst, TV, Pflanzen“ und sagt: „Wenn Sie da Druck machen, bekommen Sie das, was Sie wollen.“ Dann sondieren auch Emmi Zeulner und er hinter verschlossenen Türen und verabreden ein weiteres Treffen. Zum Abschied bietet der Bewerber noch Schokolade an und sagt nicht uncharmant, sondern aus der Erfahrung mehrerer Legislaturperioden inklusive ungezählter Sitzungen und Häppchen heraus: „Wenn Sie nicht zunehmen wollen, müssen Sie sich was überlegen.“

„Emmi wird Kanzlerin“

Mit der S-Bahn geht es weiter zum Hackeschen Markt. „Das ist jetzt das zweite Mal, dass ich in Berlin Bahn fahre“, erzählt Zeulner. Beim ersten Mal sei sie 15 Jahre alt und ihr Ziel ein Red Hot Chili Peppers-Konzert gewesen. „Nach Berlin zu fahren war für uns wie eine Weltreise. Damals haben wir immer gedacht, wir würden für immer in Oberfranken bleiben.“ Wir, das sind sie und ihre Freundin Annett, die es zum 1. Oktober für einen neuen Job ebenfalls nach Berlin verschlagen hat und die sie jetzt in einem Café trifft. „Emmi wird Bundeskanzlerin“, so lautete Annetts Prognose schon in der 10. Klasse, nachzulesen im Abschlussheft und auf einem T-Shirt, dass ihre Freundinnen Emmi Zeulner geschenkt haben. „Irgendwie war uns klar“, sagt Annett, „dass sie so einen Weg gehen würde.“ Sie sei damals schon Klassen- und Schulsprecherin gewesen. Und Zeulner bestätigt, dass sie sich immer schon für andere Menschen engagieren wollte. Deshalb habe sie sich am 22. September auch zur Wahl gestellt. Jetzt muss sie nur noch richtig ankommen in Berlin und eine Wohnung finden. „Nächste Woche kannst du erst einmal bei mir übernachten“, bietet Annett an, „in meiner WG mit einer Tänzerin, einem Schwulen und einer Bulldogge.“ „Na, da sollte wirklich noch ’ne Abgeordnete dazukommen“, Zeulner lacht, „wenigstens vorübergehend.“ Ebenfalls vorübergehend, aber schneller als gedacht, ist drei Tage später auch die Bürofrage geklärt. Die Unionsfraktion hat für ihre Abgeordneten Räume organisiert, in denen sie sich fürs Erste einrichten können – und Emmi Zeulner damit ein Problem weniger.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Hallo Kollegen. Das Heft können Sie hier bestellen.