"Wir wollen beitragen, Schützengräben bei den Grünen zu vermeiden"

Interview mit Thomas Gambke

Herr Gambke, was ist der Grüne Wirtschaftsdialog?

Wir leben in einer komplexen Welt, die sich auch ohne Corona technologisch und gesellschaftlich stark verändert. Die hohe Dynamik erfordert, dass wir den Dialog zwischen Wirtschaft und Politik intensivieren müssen, um den Herausforderungen zu genügen. Das tun wir mit Gesprächsforen, bei denen wir Vertreterinnen und Vertreter von Politik und Wirtschaft zusammenbringen. Dabei hat nicht nur die Dynamik zugenommen, sondern auch die Komplexität. Deshalb muss das klassische Ressortdenken überwunden werden. Lösungen erfordern eine stärkere Vernetzung von Wirtschaft und Politik. Das geht am besten mit transparenten Prozessen. Schauen Sie sich die Kohlekommission an. Dort konnten Stakeholder vertraulich miteinander reden. Nach außen wurde aber transparent kommuniziert, dass es eine Kommission gibt und wer daran teilnimmt. Diese Art der Transparenz ist wichtig.

Warum braucht es Sie dafür?

Ich will es mal so formulieren: Klassische Dialogforen wie den Wirtschaftsrat der Union gibt es bereits. Sie sind oft klar an alten Strukturen orientiert. Es gibt Arbeitsgruppen, zum Beispiel für Umwelt, Arbeitsrecht oder Finanzen. Klassische Ressortstrukturen. Wir haben uns im Grünen Wirtschaftsdialog anders aufgestellt. Wir arbeiten in Projekten. Wir stellen ein Sachziel auf, das oft komplexer ist und über Ressorts hinweggreift und verbinden es mit einem konkreten Zeitziel, zu dem wir ein Ergebnis erzielen wollen. Wenn wir uns beispielsweise mit emissionsarmen Energieträgern beschäftigen, laden wir zum Forum sowohl produzierende Unternehmen wie Envitec-Biogas, BASF oder Thyssenkrupp ein als auch Netzbetreiber wie OGE oder EWE oder auch Infrastrukturunternehmen wie VNG oder Vopak und nicht zuletzt Hersteller wie den Flugzeughersteller Airbus, den Triebwerkshersteller Rolls-Royce oder den Autohersteller Toyota. Und dann machen wir einen Abschluss, zum Beispiel mit einem Scoping Paper.

Thomas Gambke ist seit 2018 ­Vorsitzender des Grünen Wirtschafts­dialogs. Der promovierte ­Physiker war über 20 Jahre für das Jenaer Glaswerk Schott tätig. Seit 2007 ist er selbstständiger Unternehmer. 2004 trat er der Partei Bündnis 90/Die Grünen bei, für die er von 2009 bis 2017 im Bundestag saß. Dort war er seit 2012 Mittelstandsbeauftragter der Fraktion. 2011 bis 2013 war Gambke Mitglied der Enquete-­Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität. Er war Vorsitzender der ASEAN-Parlamentarier­gruppe des ­Deutschen ­Bundestages. (c) HC Plambeck

Warum sollten die ausgerechnet mit Ihnen reden, wenn es auch andere Foren gibt?

Ich habe den Eindruck, dass gut etablierte Organisationen drohen, in Zeiten großer Dynamik eher zu beharren als progressiv nach vorn zu agieren. Die für die Regierung verantwortliche Politik orientiert sich zu sehr an Unternehmen, die mit hoher CO2-Bepreisung wirtschaftliche Probleme haben. Wir müssen uns aber an denen orientieren, die in die Zukunft gerichtet denken und handeln. Natürlich müssen wir uns fragen, wie wir mit Verlierern solcher Regelungen umgehen. Dafür müssen entsprechende Maßnahmen umgesetzt werden: Ausgleichs- und Übergangshilfen. So könnten besonders von den Regelungen betroffene Unternehmen eine Zeit lang von den Bestimmungen ausgenommen werden, die Auswirkungen auf Beschäftigte müssen strukturell aufgefangen werden.

Werden wir Ihre Ergebnisse im Wahlprogramm der Grünen für die Bundestagswahl wiederfinden?

Die Arbeit des Grünen Wirtschaftsdialogs ist nicht auf ein Wahlprogramm ausgerichtet. Ein Wahlprogramm muss Überschriften setzen, auch auf Kommunizierbarkeit ausgerichtet sein. Nur wer Stimmen gewinnt, kann einen Regierungsanspruch einlösen. Wenn Annalena Baerbock von einer Grenzausgleichsregelung zur Verhinderung von Carbon Leakage spricht, ist das für die breite Öffentlichkeit kaum verständlich. Unsere Aufgabe im Grünen Wirtschaftsdialog ist es nicht, verständliche Slogans zu produzieren. Sicher aber wollen wir dazu beitragen, dass in Wahlprogrammen nicht etwas steht, was uns später bremst. Bei der Frage, ob wir auf Wasserstoff- oder E-Mobilität für Autos setzen sollten, landen politische Talkshows schnell in Schützengräben. Wir wollen beitragen, diese Schützengräben bei den Grünen zu vermeiden. Im konkreten Beispiel: Es ist mit dem heutigen Wissen schlicht nicht zu entscheiden, bei welchen Fahrzeugen exakt die Energiespeicher Batterie oder Wasserstoff eingesetzt werden. Wir müssen uns bemühen, Rahmen zu setzen, dass der Markt entscheiden kann, also der Wettbewerb um die beste Lösung. Dazu aber müssen wir handeln. Die Strategie der Kanzlerin, erst einmal abzuwarten, und dann auf einen Trend aufzuspringen, werden wir uns bei den wichtigen Entscheidungen zur Eindämmung der Erderwärmung nicht leisten können. Vor allem aber sollten wir jetzt loslegen.

“Wir müssen uns an denen orientieren, die in die Zukunft denken.”

Wenn grüne Stimmen wie Luisa Neubauer laut darüber nachdenken, Verträge zu brechen, müssten Ihre Gesprächspartner aus der Wirtschaft schaudern, oder?

Natürlich nehmen die Partner in der Wirtschaft grüne Stellungnahmen in der Öffentlichkeit wahr. Da rufen Wirtschaftsvertreter schon bei mir an und sagen, dass sie das besorgt. Andererseits können sie das aber gut einordnen. Sie haben gute Kontakte, etwa zu Annalena Baerbock, Robert Habeck, Winfried Kretschmann oder Tarek Al-Wazir, die intensiv mit der Wirtschaft im Gespräch sind. In der grünen Partei gibt es großen Widerstand gegen Entscheidungen, die die grünen Regierungsvertreter umsetzen müssen, etwa das Autobahnprojekt in Hessen oder Stuttgart 21. Für die Partei ist das schwierig auszuhalten. Aber Tarek Al-Wazir sagt zu Recht, er trage als Minister Verantwortung für die Umsetzung von demokratisch herbeigeführten Entscheidungen und könne sich nicht gegen Recht und Ordnung stellen. Das muss auch für Luisa Neubauer gelten: Was demokratisch entschieden ist, muss durch- und umgesetzt werden.

Laut ZDF-Politbarometer 2019 schreiben Ihnen nur 4 Prozent der Befragten die höchste Wirtschaftskompetenz der Parteien zu, ein Prozentpunkt mehr als die Linke. Das kann nicht Ihr Anspruch sein.

Absolut richtig, das kann uns überhaupt nicht zufriedenstellen. Unser Anspruch muss sein, hier deutlich besser zu werden. In der Wirtschaft genießen wir aber einen deutlich besseren Ruf, nicht nur, weil wir in Umfragen um die 20 Prozent erzielen. Die Akteure in den Unternehmen sind auch inhaltlich überzeugt. Sie wollen mit uns die Transformation in eine nachhaltige Wirtschaft gestalten. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Bürgerinnen und Bürger, aber auch Unternehmen von Änderungen nachteilig betroffen sein werden. Wenn wir als Grüne den Umstieg auf Elektro- und Wasserstoffautos fordern, muss uns auch beispielsweise die alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern in Niederbayern bewusst sein, die täglich ihre beiden Kinder in Kita und Schule fährt und dann 30 Kilometer zu ihrem Halbtagsjob pendeln muss – und die nicht einfach ein neues Elektroauto kaufen kann. Und es wird Unternehmen geben, die mit dem Ende der fossilen Treibstoffe ihr Geschäft verlieren werden. Unter grüner Wirtschaftskompetenz verstehe ich nicht nur das Wissen, wie die Wirtschaft zu transformieren ist, sondern auch, wie soziale Implikationen abgefedert werden. Wenn wir das sichtbar machen können, werden unsere Umfragewerte auch bei der Wirtschaftskompetenz wachsen.

“Aus der ­Opposition ­gestalten wir mehr als andere, die heute regieren.”

Bereiten Sie mit Ihrem Engagement denn eine schwarz-grüne Regierung vor?

Ein ganz klares Nein. Wir wollen den Dialog grüner Politik mit der Wirtschaft verbessern. Natürlich ist richtig, wenn Robert und Annalena und andere grüne Politiker sagen, sie wollen in Regierungsverantwortung gestalten. Aber ich habe den Eindruck, dass wir schon jetzt aus der Opposition heraus bei ökologischen Themen mehr gestalten als andere, die heute regieren. Die CO2-Bepreisung haben wir aus der Opposition heraus verändert. Das war ein Bundesgesetz. Wir haben als Grüne mit der Regierungsverantwortung in vielen Ländern schon jetzt viele PS auf der Straße. Auch in Europa durch eine klare, gut aufgestellte Fraktion im Europa-­Parlament.

Sie machen ihre Fördermitglieder transparent. Einige wären von grüner Wirtschaftspolitik direkt betroffen. Was aber haben Sie mit Google zu tun?

Ich halte es für einen Fehler, GAFA – also Google, Amazon, Facebook und Apple – zu verteufeln. Sie sind wesentliche Player in der Wirtschaft. Wenn wir mit Google reden, sagen wir sehr offen, dass wir die Monopolbildung durch GAFA nicht nur kritisch sehen, sondern wissen, dass es so nicht weitergehen kann. Plattformökonomie ist neu, da gibt es noch viel Regelungsbedarf, damit Wettbewerb und Marktwirtschaft nicht eingeschränkt, sondern gefördert werden. Ich sehe aber die Bereitschaft, auch bei Google, sich den Herausforderungen zu stellen und auch neue Wege zu gehen.

Was ist mit Ihren Fördermitgliedern BP und Philip Morris? Sehen Sie hier wirklich Nähe zu grüner Politik oder suchen die Konzerne nur Nähe zu einer künftigen Regierungspartei?

Natürlich gibt es das, was als “Greenwashing” bezeichnet wird. Firmen schmücken sich mit grünen Spitzenpolitikern und zeigen: Toni Hofreiter und Annalena Baerbock waren bei uns. Ich nehme aber wahr, dass die Nachhaltigkeitsstrategien von BP und Philip Morris durchdacht sind. Diese haben wie viele andere Unternehmen verstanden, dass es dramatische Veränderungen geben wird. Die gute Nachricht für sie ist, dass die Wertschöpfungspotenziale mit grünen Technologien höher als die angestammten Geschäfte sind. Für die Politik ist es wichtig, Unternehmen ein Geschäftsmodell zu ermöglichen. Es gibt beispielsweise kein funktionierendes Geschäftsmodell für Elektro-Ladesäulen. Eine Ladesäule kostet 20.000 Euro, ein Supercharger von Tesla oder Porsche 200.000 Euro. Das rechnet sich einfach nicht nur mit dem Ladevorgang für Fahrzeuge. Politiker könnten sagen, ich mache das verpflichtend oder unterstütze das mit Steuermitteln, damit habe ich aber noch kein Geschäftsmodell. Die konservative Ecke sieht immer nur das fehlende Geschäftsmodell und blockiert oder fordert dauerhafte Förderung. Es ist aber wichtig, Geschäftsmodelle nutzergerecht zu entwickeln – und gleichzeitig mit ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit zu verbinden. Deswegen haben wir im Übrigen einen hohen Zuspruch von Unternehmen, die zu uns kommen und mit konkreten Ideen eine Brücke zur Politik schlagen wollen. Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit müssen verbunden werden.

Sprechen Sie auch mit dem Mittelstand?

Natürlich. Ich würde überspitzt formulieren: Internationale Unternehmen wie die BASF werden Strukturwandel und Energiewende schultern – wir müssen allerdings verhindern, dass diese international aufgestellten Unternehmen das ausschließlich im Ausland machen. Kleine und mittlere Unternehmen stehen aber hier vor einer gewaltigen Herausforderung. Die können nicht einfach ins Ausland gehen. Das fängt mit Finanzierungsfragen an. Ich nenne ein Beispiel: In Coburg gibt es eine Wäscherei mit rund 50 Mitarbeitern. Der Chef hat sich das Ziel gesetzt, eine CO2-freie Wäscherei auf die Beine zu stellen. Das erfordert eine Investition in Höhe eines doppelten Jahresumsatzes. Ein brillantes Konzept, aber von der Firma aus eigener Kraft nicht zu schultern. Deshalb sollten wir die Innovationskraft so kleiner Unternehmen mit effektiver Förderung unterstützen. Kleine Mittelständler haben nicht das Wissen, Fördertöpfe anzuzapfen. Dazu brauchen sie einen Experten, der kostet aber gerne bis zu einer Million Euro bis zum Antrag. Das kann sich ein Unternehmen der genannten Größe kaum leisten.

“Die Politik muss Unternehmen ein Geschäftsmodell ermöglichen.”

Dann können Sie ja eine Beratungsstelle aufmachen.

Das können und wollen wir als Grüner Wirtschaftsdialog nicht leisten, das ist nicht unser Ziel und nicht unsere Aufgabe. Aber wir können Anregungen dazu geben, dass Strukturen aufgebaut werden, dass es für einen Antrag keinen Berater braucht. Und vor allem Förderentscheidungen schneller getroffen werden.

Sind Sie denn mit den Wirtschaftsvereinigungen anderer Parteien im Gespräch?

Wenn jemand vom Wirtschaftsforum einer anderen Partei anruft, würde ich schon ans Telefon gehen. ­Carsten Linnemann von der Union kenne ich noch aus meiner Zeit im Bundestag. Michael Frenzel, Gründungspräsident des SPD-Forums, aus der Zusammenarbeit in der „Indonesia-Germany Advisory Group“. Eine echte Zusammenarbeit haben wir noch nicht hinbekommen, was sicher auch damit zu tun hat, dass Union und auch SPD sich zu sehr auf die Vergangenheit beziehen. Es liegt aber auch an mir, der ich aus Zeitgründen – mea culpa – den Kontakt noch nicht gesucht habe. Ich will auch keine neue Pizza-Connection schaffen. Aber einen Kaffee könnten wir schon gerne trinken gehen.

Wie fügen sich die grünen Bundestag­sabgeordneten bei Ihnen ein?

Sehr intensiv. Politiker haben bei uns zwei Rollen: zuhören und berichten. Wir reden in den Dialogen unter Chatham House Rules sehr offen. Im Dialog mit den Unternehmen erhalten sie einen guten Überblick über die Bandbreite der Bewertungen einzelner Unternehmen – und nicht die teilweise weichgespülten Stellungnahmen der Verbände. Und sie können um Verständnis werben für die Bewertungen aus Sicht der grünen Politik, die vor allem auch den gesellschaftlichen Kontext für die Unternehmen transparent macht. Die Industrie wünscht sich auf der anderen Seite, dass die Parlamentarier aus ihrer Perspektive berichten, wie die Gemengelage in der grünen Fraktion, aber auch auf Landes-, Bundes- und europäischer Ebene ist. Das Interesse vonseiten der Industrie ist sehr stark. Natürlich sind manche grünen Politiker eher skeptisch. Und Vorgänge wie der im VW-Sprech beschönigend genannte „Diesel-Komplex“ waren nun wirklich nicht vertrauensbildend. Dennoch: Grüne Politiker wollen mit den Unternehmen das Gespräch führen. Meine Aufgabe ist es, mit konkreten Themen einen rationalen Gedankenaustausch zu ermöglichen. Ich genieße ein hohes Vertrauen in beiden Lagern. Da hilft mir meine Biografie, meine Erfahrung in Wissenschaft, Industrie und Politik.

Wie sehen die nächsten Monate bis zur Bundestagswahl bei Ihnen aus?

Die Intensität des Dialogs mit den Abgeordneten des Bundestags wird potenziell während des Wahlkampfes abnehmen. Abgeordnete werden, nein, müssen vor allem ihre Wiederwahl anstreben. Dazu braucht es ein gutes Wahlergebnis. Da werden sie frei nach Sepp Daxenberger eher in die Feuerwehrvereine gehen als in unsere Gesprächsformate. Entsprechend sorgfältig müssen wir unseren Dialog abstimmen und planen. Aber die Parlamente werden bis Juni intensiv parlamentarische Arbeit verrichten. Und wir werden bei den aktuellen Herausforderungen mehr Themen haben als weniger. Unser Gesprächsfaden wird sicher nicht abreißen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 133 – Thema: Seuchenjahr – Sprache, Bilder, Inszenierung hinter der Maske. Das Heft können Sie hier bestellen.