Wie macht man Wahlkampf, wenn man in Europafragen uneins ist, Herr Höhn?

Europawahl

p&k: Herr Höhn, in den Wahlkampf ist die Linke mit der Großfläche „Passt auf“ gestartet. Online und auf Wahlkampfmaterialien findet sich der Spruch „Hier und in Europa – die Linke“. Gibt es keinen zentralen Claim zur Europawahl?

Nein. Bei der Bundestagswahl lautete der zentrale Claim „100 Prozent sozial“. Dieses Mal verzichten wir darauf. Durch eine durchgängige URL „hier-und-in-europa.de“ verbinden wir jedoch die Wahlen in den Kommunen und für das Europaparlament.

Warum verzichten Sie auf einen Claim?

Ich halte einen Werbeclaim für lässlich. Am Ende zählt das konkrete politische Angebot.

Die CDU setzt auf ihren Plakaten auf Angela Merkel, die SPD auf Martin Schulz. Selbst die Grünen zeigen erstmals ihr Spitzenpersonal. Warum verstecken Sie Ihre Kandidatin Gabi Zimmer? Andere Parteien versprechen sich von der Personalisierung eine höhere Wahlbeteiligung.

Zunächst einmal: Wir verstecken unsere Spitzenkandidatin nicht – wir drucken sie nur nicht auf die Plakate. Und: Es wäre eine Sensation, wenn sich die Wahlbeteiligung mit den Gesichtern der anderen Parteien steigern ließe. Dafür sind alle Spitzenkandidaten nicht bekannt genug. Deswegen plakatiert die CDU auch Merkel und nicht McAllister. Es gibt ein zentrales Problem: Man kann Personen im Wahlkampf nicht bekannt machen, wenn sie es vorher nicht schon sind. Und die Europapolitiker aller Parteien genießen im bundesdeutschen Alltag nicht die Präsenz, die ihnen zustehen würde.

Wenn man die Kandidaten aber nicht einmal im Wahlkampf zeigt, also in einer Zeit größerer Aufmerksamkeit, wie sollen sie dann bekannter werden?

Sie sind ja landauf, landab unterwegs. Ich bin davon überzeugt, dass man in einer sechswöchigen Kampagne mit begrenztem Budget nicht das kompensieren kann, was man in jahrelanger politischer Alltagskommunikation nicht geschafft hat. Außerdem setzt die Linke grundsätzlich weniger stark auf Personalisierung als andere Parteien. Das war auch im Bundestagswahlkampf so. Es gibt in unserer Wählerklientel zwar viele, die sich beispielsweise stark mit Gregor Gysi identifizieren, aber unsere Wählerinnen und Wähler fokussieren stark auf Inhalte. Das versuchen wir, in unserer Kampagne zu berücksichtigen.

Wenn die Mobilisierung über Personen nicht funktioniert, wie wollen Sie dann erreichen, dass mehr Menschen wählen gehen als 2009? Damals lag die Wahlbeteiligung bei 43,7 Prozent.

Wir konzentrieren uns auf zwei Dinge: konkrete Themen und unser Image als Partei. Mit dem Themenkatalog machen wir das politische Angebot, das die Leute von uns erwarten und in dem wir ein hohes Unterscheidungspotential zu den anderen Parteien haben. Außerdem spielen wir mit dem Image, dass die Linke „den Finger in die Wunde legt“ und eben „aufpasst“ im politischen Geschäft. Die Mobilisierung wird also stark davon abhängen, ob eine kontroverse politische Auseinandersetzung zwischen allen Parteien zustande kommt. Wenn ich mir die Kampagnen der anderen anschaue, habe ich aber Bedenken. Mit manchen der Motive könnte man auch Weichspüler verkaufen.

Sie versuchen es mit Zuspitzung.

Ja, durch die eine oder andere inhaltliche Zuspitzung versuchen wir, ein bisschen mehr Leben in die Bude zu bringen. Die Menschen sollen wissen, dass es bei dieser Wahl wirklich um etwas geht. Das ist bisher leider nicht der Fall.

Welches sind Ihre zentralen, strategischen Wahlkampfthemen?

Unsere fünf Themenplakate greifen die Kosten der Finanzkrise, den unwürdigen Umgang mit Flüchtlingen, Wohlfahrt und  Armut, Rüstungsexporte und mehr Demokratie durch Volksentscheide auf. Wir wollen ein soziales, friedliches und demokratisches Europa. Um das zu erreichen, skandalisieren wir mitunter auch bewusst.

Apropos Skandalisierung: Auch wenn Linke und AfD konträren Lagern angehören, ist beim Thema Europa bei beiden Parteien ein ähnlich kritischer Ton zu vernehmen.

Nein. Wir machen keinen Europa-skeptischen Wahlkampf, sondern setzen uns mit der Politik innerhalb der EU auseinander. Linke und AfD wollen politisch das Gegenteil. Die einzige Nähe, die sich konstruieren ließe, ist eine Wahlkampfstrategie, in der bewusst Kritik geäußert wird. Nur: wir wollen mehr Gerechtigkeit, die AfD noch weniger.

Interne Kritik gab es an der Präambel im Programm zur Europawahl. Da hat es in der Linkspartei heftigen Streit gegeben. In der ursprünglichen Fassung wurde die EU als eine „neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht“ bezeichnet. Wie macht man Wahlkampf, wenn man als Partei intern in Europafragen uneins ist?

Es ist richtig, dass es einen Konflikt zur Präambel gab. Auf dem Europaparteitag haben wir diese Frage aber mit einer sehr breiten Mehrheit entschieden. Insofern stehe ich nicht vor einer europapolitisch gespaltenen Partei. Als Wahlkampfleiter habe ich mich über dieses kurzzeitige Problem natürlich nicht gefreut. Aber das Thema ist abgeräumt und insofern für den Wahlkampf keine Belastung.

Wie funktioniert denn die Zusammenarbeit mit der Europäischen Linken bei der Kampagne?

Natürlich gibt es eine Abstimmung innerhalb der Europäischen Linken (EL). Es gibt einen gemeinsamen Wahlaufruf und ein dazugehöriges inhaltliches Dokument. Auf dieser Basis können die Mitgliedsparteien aber ihre spezifischen Ausprägungen entwickeln. Eine Zusammenarbeit gibt es außerdem in Bezug auf unseren europäischen Spitzenkandidaten Alexis Tsipras, der sich um das Amt des Kommissionspräsidenten bewirbt.

Zurück nach Deutschland: Inwieweit beeinflusst der Wegfall der Drei-Prozent-Hürde Ihre Wahlkampfstrategie?

Dass es keine Sperrklausel mehr gibt, beeinflusst unsere Strategie nicht. Wir konzentrieren uns auf unsere Themen.

Die eine oder andere Wählerstimme könnte aber auch die Linkspartei verlieren, da kleine und Kleinstparteien erstmals eine Chance auf Einzug ins Europaparlament haben.

Diese Gefahr sehe ich nicht. Unser theoretisches Wählerpotential liegt derzeit bei knapp 20 Prozent. Jeder Fünfte könnte sich prinzipiell vorstellen, uns zu wählen. Wir haben drei große Wählergruppen: unsere Kernwähler, potenzielle Nichtwähler und Wähler, die noch zwischen SPD und Linken schwanken. Auf diese großen Gruppen konzentrieren wir uns. Alle anderen Wanderungsbewegungen sind für mich zunächst nicht relevant. Für Personen, die im Zweifel zu Hause bleiben oder SPD wählen, ist die Sperrklausel kein Thema.

In zehn Bundesländern finden parallel zur Europawahl auch Kommunalwahlen statt. Inwieweit stellt das die Linkspartei vor organisatorische Herausforderungen?

Es ist eine Chance und eine Herausforderung zugleich. Die Chance besteht darin, mehr Menschen zu mobilisieren, eine höhere Aufmerksamkeit zu erzielen. Die Herausforderung ist, dass man versuchen muss, beide politischen Ebenen gleichberechtigt zur Geltung zu bringen und zu verbinden. In der Großflächenplakatierung werden beide Ebenen beispielsweise über die Themen Umverteilung oder Steuergerechtigkeit verknüpft.  Auch die Kampagnen sind so abgestimmt, dass sie sich nicht gegenseitig kannibalisieren.

Welches Ergebnis peilen Sie bei der Europawahl an?

Für mich ist unser Ergebnis bei der Bundestagswahl 2013 der Maßstab. Dort haben wir 8,6 Prozent eingefahren. Bei der Europawahl 2009 hatten wir 7,5 Prozent.

Die Kampagne in Zahlen

  • 3,3 Millionen Euro Wahlkampfetat
  • Agentur: Berliner Agenturgemeinschaft DIG/Trialon
  • 2.000 Großflächen und zusätzlich gespendete Großflächen
  • 175.000 Themenplakate
  • 60.000 gedruckte Wahlprogramme Langfassung, 4 Millionen in Kurzfassung
  • 155.000 Personenflyer
  • 5,5 Millionen Wahlzeitungen
  • 960.000 Türanhänger
  • 50.000 Wasserbälle
  • 300.000 Einkaufswagenchips
  • 15 zentrale Wahlkampfveranstaltungen
  • TV- und Radiospot