Wie digitale Plattformen sich um Transparenz bemühen

Social Media

Vor der Europawahl war die Sorge vor möglichen Manipulationen im Netz groß. Insbesondere Facebook stand nach diversen Daten­skandalen, mangelnder Transparenz und immer mehr Hass und Hetze in der Kritik. Vor allem der Skandal um die massenhafte Nutzung von Facebook-Nutzerdaten für politische Zwecke durch die Firma Cambridge Analytica löste 2018 einen globalen Aufschrei aus und machte erstmals die dringende Notwendigkeit für Regulierung und mehr Kontrolle bei gesellschaftlichen Fragen offensichtlich. Denn die digitale politische Kommunikation in Wahlkämpfen auf Facebook, Twitter und Co. wird immer wichtiger für politische Wahlwerbung und die Mobilisierung der eigenen Parteibasis.

Deswegen haben die wichtigsten Plattformen Regeln für digitale politische Werbung eingeführt. Diese Transparenzoffensive war zu erwarten und ist ein längst überfälliger Schritt. Die anlässlich der Europawahl eingeführten neuen Regeln gelten über den Wahltag hinaus und betreffen nicht nur Parteien, sondern alle Akteure, die mit politischen Werbeanzeigen im Netz kommunizieren. Deswegen ist es notwendig, die neuen Transparenzmechanismen genau zu kennen und einer kritischen Bewertung zu unterziehen.

Facebook und Instagram: das größte Regelwerk

Facebook hat das mit Abstand umfangreichste Regelwerk erstellt mit dem Ziel, Wahlbeeinflussung aus anderen Ländern zu unterbinden und mehr Transparenz bei der Finanzierung, den Botschaften und der Zielsetzung von politischen Werbeanzeigen zu erreichen. Die neuen Regeln gelten seit Mitte April 2019. Alle Parteien, Organisationen und politischen Akteure, die zu politischen und gesellschaftlichen Themen auf Facebook mit bezahlten Werbeanzeigen zielgruppenspezifisch kommunizieren, müssen einen Verifizierungsprozess durchlaufen. Zudem ist es nur noch möglich, in dem Land politische Werbung zu schalten, in dem der Akteur verifiziert ist und sich aktuell aufhält.

Des Weiteren werden alle Werbeanzeigen mit politischen und gesellschaftlich relevanten Inhalten mit einem Disclaimer versehen, sprich jeder kann sehen, ob es sich um eine Werbeanzeige mit politischem oder gesellschaftlich relevantem Inhalt handelt. Zudem muss für jede politische Werbeanzeige angegeben werden, wer sie finanziert hat. Erst wenn all diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann politische Werbung auf Facebook geschaltet werden. Dann wird jede Anzeige von Facebook noch einmal daraufhin geprüft, ob Inhalt und Absender den Richtlinien entsprechen. Es kann daher mehrere Tage dauern, bis die Werbeanzeige aktiv wird.

Wenn die politische Werbeanzeige aktiv ist, kann sie in der öffentlichen Werbebibliothek von Facebook über einen Zeitraum von sieben Jahren eingesehen werden. Zudem ist für jeden Nutzer sichtbar, wie viel Geld der jeweilige politische Account in Werbung investiert. Des Weiteren kann auf Anzeigenebene eingesehen werden, wo ein geografischer Schwerpunkt der Anzeige liegt, wie viel Geld für die Anzeige ausgegeben wird und wie hoch die Zahl der Impressionen für die Anzeige ist.

Die gleichen Anforderungen gelten auch für Instagram, da über den Werbemanager von Facebook auch die Anzeigen in Instagram Stories oder im Feed eingestellt werden. Auch diese Anzeigen sind in der Werbebibliothek zu finden und müssen den Verifizierungsprozess durchlaufen.

Twitter: drei Schritte zur Verifizierung

Kurz nach Facebook hat auch Twitter einen Verifizierungsprozess für politische Werbung eingerichtet. Der Prozess ähnelt, abgesehen von einigen wichtigen Details, dem von Facebook.

Die Verifizierung beinhaltet drei Schritte. Je nachdem, ob man Einzelperson, Kandidat oder Unternehmen ohne nationale Wahlbehördenregistrierung ist, unterscheiden sich die Anforderungen. Auch im Twitter Ads-Transparency-Center, dem Pendant zur Facebook-Werbebibliothek, werden Informationen der Werbetreibenden offengelegt. Nutzer können zwar im Ads-Transparency-Center einsehen, welche Twitter-Profile sich verifiziert haben, allerdings ist die Kennzeichnung der Anzeigen selbst eher unscheinbar.

Google Ads: Transparenz für die Europawahl

Nachdem bereits für die Midterm Elections in den USA entsprechende Maßnahmen durchgesetzt wurden, veröffentlichte Google Anfang dieses Jahres auch für die Europäische Union einen Transparenzbericht für politische Werbung sowie ein Archiv für politische Werbeanzeigen.

Im Rahmen dessen herrscht nun eine Identitätsprüfungs- und Offenlegungspflicht, wodurch ausschließlich verifizierte Werbetreibende EU-Wahlwerbung schalten dürfen. In der frei zugänglichen und durchsuch- sowie filterbaren Anzeigenbibliothek sind demnach alle politischen Anzeigenkunden gelistet. Neben der Gesamtanzeigenanzahl und den Gesamtausgaben der einzelnen Auftrag- und Finanzgeber sind auch detaillierte Informationen zur Reichweite und Laufzeit sowie zum finanziellen Aufwand einzelner Anzeigen zu finden. Googles Wahlwerberichtlinien gelten hierbei für alle Anzeigen, in denen eine politische Partei, Kandidaten oder Amtsinhaber des Europäischen Parlaments erwähnt werden. 

Optimierungsbedarf besteht in Bezug auf deren Vollständigkeit und Verfügbarkeit sowie auf deren Ausweitung – insbesondere auf nationale Wahlen und wahlkampfunabhängige politische Werbung.

Youtube: der Werbetreibende ist selbst verantwortlich

Die für Google Ads optimierte, restriktivere Richtlinienpolitik gilt auch für Googles Tochtergesellschaft Youtube. Während bei Google Ads die informationelle Offenlegung automatisiert abläuft, ist bei der Anzeigenbereitstellung durch Drittanbieter auf Youtube der Werbetreibende selbst dafür verantwortlich, direkt in der Anzeige die jeweilige Finanzierungsquelle durch eine “Bezahlt von”-Kennzeichnung offenzulegen.

Spezifische Maßnahmen für politische Ad-Formate auf Youtube sind allerdings – womöglich vor allem durch die omnipräsente Debatte zum Artikel 13 und allein im ersten Quartal dieses Jahres über acht Millionen entfernter Videos – seitens der Plattform in den Hintergrund gerückt.

Und jetzt? Wie es nach der Europawahl weitergeht

Die neuen Regeln und Richtlinien für digitale politische Werbung sind ein erster und wichtiger Schritt, damit relevante Werbeplattformen ihre Verantwortung für die politische Meinungs- und Willensbildung in der digitalen Öffentlichkeit übernehmen. Anders gesagt: Facebook, Twitter & Co. haben sich bemüht. Doch mit den neuen Regelwerken und Transparenzrichtlinien ergeben sich eine ganze Reihe an Problemen. 

Während des Europawahlkampfs konnte beobachtet werden, dass sich nicht alle Parteien und Kandidaten an die neuen Richtlinien von Facebook gehalten haben. So wurden Anzeigen geschaltet, bei denen es sich um politische Werbung gehandelt hat, die aber nicht als solche gekennzeichnet wurden. Hierdurch entsteht ein Wettbewerbsvorteil für jene, die sich nicht an die Verifizierung und Überprüfung von politischen Werbeanzeigen halten. Diese Anzeigen durchlaufen schließlich nicht einen separaten Prüfungsprozess, sondern werden sofort nach dem Einstellen online geschaltet. Demgegenüber kann die Überprüfung von politischen Werbeanzeigen mehrere Stunden bis Tage in Anspruch nehmen. Facebook hatte angekündigt, die Werbeanzeigen bei Verstößen gegen die Richtlinien zu löschen, doch offensichtlich hat dies in letzter Konsequenz nicht immer funktioniert. 

In Deutschland existiert aktuell keine gesetzliche Grundlage, die politische Werbeanzeigen auf Google, Youtube oder Facebook reguliert. Es handelt sich bei den Richtlinien der Plattform um eine Selbstregulierung. Dass die Plattformen darüber entscheiden, wie politische Wahlwerbung und werbliche politische Inhalte auf der Plattform aussehen, darf nicht sein. Es ist notwendig, dass Gesetzgeber festlegen, nach welchen Regeln politische Werbung stattfindet. Wir müssen deswegen auch auf europäischer Ebene legislative Maßnahmen ergreifen, welche Spielregeln und Rahmen wir unserem Diskurs in einer digitalisierten Öffentlichkeit setzen wollen. Es geht um die Demokratisierung von politischer Kommunikation in der digitalen Öffentlichkeit auf den relevanten Plattformen. 

Die Reichweite von digitalen politischen Inhalten darf nicht vom Geldbeutel abhängen

Die Reichweite und somit die Sichtbarkeit von politischen Inhalten darf nicht in erster Linie von finanziellen Ressourcen abhängen. Faktisch handelt es sich aber bei Facebook um eine privatisierte und kommerzialisierte digitale Öffentlichkeit, und zwar um die größte in Europa. Wer sichtbar sein will, muss Geld bezahlen oder aber versuchen, künstlich die organische Reichweite zu erhöhen. Besser wäre es, wenn Parteien, Kandidaten und Mandatsträger auf Plattformen wie Facebook und Twitter eine organische Reichweite von 100 Prozent hätten, anstatt Geld zu investieren, um ihre politischen Anliegen und Positionen zu kommunizieren. Alternativ wäre ein Werbeanzeigen-Vergabesystem für Facebook und Google Ads sinnvoll, das sich an der Aufschlüsselung von bestehenden Sendezeiten für Wahlwerbespots orientiert. 

Abschließend ist festzuhalten, dass die Plattformen den ersten Schritt gegangen sind. Nun sind die Parteien und die Bundesregierung am Zug, eine sinnvolle Regulierung digitaler politischer Kommunikation in Wahlkämpfen und darüber hinaus im Alltag festzulegen. 

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 127 – Thema: Vertraulichkeit. Das Heft können Sie hier bestellen.