Wer Wahrheit will, muss diskutieren

Public Affairs

Der amerikanische Philosoph Donald Davidson lehrt uns: Vernünftig ist man nicht alleine. Vielmehr müssen sich die Menschen auf „Das, was ist“, auf eine intersubjektive Wahrheit, erst in einem kommunikativen Austausch einigen. Dieser Prozess scheint in „post-faktischen“ Zeiten von komplexen politischen Fragestellungen auf der einen Seite und Facebook-Filterblasen und Social Bots auf der anderen immer schwieriger zu werden. Musterbeispiele für die missliche Lage des politischen Diskurses sind die Verhandlungen zu den Handels- und Investitionsabkommen TTIP und CETA. Die Meinungen zu den Abkommen sind geprägt von Ignoranz, Halbwissen und Emotionen – auf beiden Seiten. Eine wirkliche Verständigung zwischen den Gegnern und Befürwortern findet kaum noch statt.

Um die hitzigen Debatten zu versachlichen, hat der Bundesverband der Deutschen Industrie gemeinsam mit anderen Verbänden das Dialogforum Freihandel ins Leben gerufen. Mit der Konzeption und Durchführung wurde IFOK als neutraler Moderator beauftragt.

Beteiligung mit greifbaren Ergebnissen

In einer Demokratie sind die politischen Ergebnisse immer nur so gut wie die Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse, die ihnen vorausgehen. Deshalb setzte IFOK beim Dialogforum Freihandel von Anfang an auf ein partizipatives, integratives und transparentes Verfahren. Erklärtes Ziel: Kriterien erarbeiten, die aus Sicht der Bürger ein Freihandelsabkommen erfüllen sollte. Hierzu wurden verschiedene Beteiligungsinstrumente kombiniert und zu einem Gesamtprozess zusammengefügt:

  • Bürgerwerkstätten: Bei drei Bürgerwerkstätten in Potsdam, Düsseldorf und München nahmen insgesamt etwa 40 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Bürger teil. Sie erarbeiteten die Themen, die im Rahmen des Dialogforums diskutiert werden sollten (Agenda-Setting).
  • Bürgerkonferenzen: Die in den Werkstätten definierten Themen, wie beispielsweise Standards, Investitionsschutz und Nachhaltigkeit, bildeten die Basis für die drei Bürgerkonferenzen in Frankfurt am Main, Jena und Hamburg mit jeweils mehr als 60 Teilnehmern. In einem Wechselspiel von Plenumsphasen und moderierten Kleingruppen-Sessions erarbeiteten die Bürger auf den Konferenzen insgesamt mehr als 100 Empfehlungen.
  • Beirat und Joint Fact Findings: Das Dialogforum Freihandel wurde von einem Beirat begleitet. Der Beirat setzte sich gleichermaßen aus kritischen sowie befürwortenden Experten relevanter Institutionen in der Debatte um Freihandelsabkommen zusammen. In zwei durch den Beirat initiierten Joint Fact Findings wurden die Bürgerempfehlungen in den Bereichen Regulatorische Kooperation und Investitionsschutz und Wege ihrer Umsetzung diskutiert und konkretisiert.
  • Bürgergipfel und Bürgeragenda: Die zentralen Argumente und Empfehlungen zum Thema Freihandel – von Bürgern erarbeitet und von Experten weiterentwickelt – wurden in einer Bürgeragenda festgehalten und im Rahmen eines Bürgergipfels im September 2016 in Berlin präsentiert. Beim Bürgergipfel diskutierten Bürger der drei Konferenzen ihre Empfehlungen mit Bundestagsabgeordneten sowie Vertretern aus dem Bundeswirtschaftsministerium, der Europäischen Kommission, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft.
  • Debattenlandkarte: Zusätzlich zum Dialogprozess bietet eine Debattenlandkarte einen Überblick, welche Themen der Freihandelsabkommen CETA und TTIP von welchen Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft diskutiert werden.

Foto: André Wagenzik/Dialogforum Freihandel

Während des gesamten Beteiligungsprozesses diente die Webseite www.dialogforum-freihandel.de als zentraler Ort für Information sowie die Auf- und Nachbereitung der Werkstätten, Konferenzen und Joint Fact Findings. Auf der Webseite lässt sich auch die Bürgeragenda herunterladen. Außerdem wurden politische Entscheider konstant mit Ergebnissen aus dem Prozess versorgt.

Abbildung: Dialogforum Freihandel

Im Dialogforum Freihandel sind die Vorteile von Dialogverfahren offen zutage getreten. Die beteiligten Bürger ebenso wie die Experten bewerteten das Dialogforum sehr positiv. Die erarbeiteten Ergebnisse der Bürgeragenda, die mit einer klaren Botschaft auch anschlussfähig an die laufenden Debatten sind, wurden nicht nur von den Beteiligten, sondern auch von den Experten, Entscheidern und Multiplikatoren als konstruktiv und konkret bewertet. Im direkten und persönlichen Austausch stellt sich auch die inhaltliche Auseinandersetzung anders dar: Die Teilnehmer stellten fest, dass ihre Positionen nicht so weit auseinanderliegen, wie ursprünglich angenommen.

Zurück zu den Wurzeln der Demokratie

Die Kritik an TTIP und CETA entzündet sich vor allem an den zugrundeliegenden Prozessen. Viele Bürger fühlen sich unzureichend und zu spät informiert und eingebunden. Alleine deshalb stehen sie den tausenden Seiten Papier, die von Eliten hinter verschlossenen Türen verhandelt wurden, misstrauisch gegenüber. Dialogformate setzen genau an dieser Stelle an: der demokratischen Qualität der Verhandlungsprozesse. Durch frühzeitige, transparente und auf Teilhabe bedachte Beteiligungsverfahren wird der diskursive Prozess der Meinungsbildung befördert. Damit werden die Voraussetzungen für eine sachliche und konsensorientierte Entscheidungsfindung geschaffen. Deswegen unterscheiden sich Dialogverfahren auch ganz deutlich von Plebisziten mit Ja/Nein-Fragestellungen, die durch ihre Zuspitzung eher noch polarisieren. Oder um es frei nach Donald Davidson zu sagen: Um vernünftige Entscheidungen zu treffen, müssen wir miteinander kommunizieren – und zwar lange bevor wir an die Wahlurne treten.