Was bitte ist eine Frauenrechts-App?

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Herr Schiele, kennt Ban Ki-moon Ihre Arbeit?

Jan Schiele: Ich glaube schon. Seine Sondergesandte für Kinder und bewaffnete Konflikte hat eine unserer Apps als eine ihrer ersten Amtshandlungen in der UN offiziell vorgestellt. Darüber hinaus war die App für den Human Rights Tulip Award nominiert. Am Ende verloren wir den aber gegen ein Projekt für Begleithunde bei Gerichtsverhandlungen. Tiere sind immer schwer zu schlagen (lacht). Aber er unterstützt unsere Frauenrechts-App.

Was bitte ist eine Frauenrechts-App?

Schiele: Resolutionen, Protokolle, Berichte, Verordnungen und Kommentare zu Frauenrechten füllen bei der UN ganze Archive. Anhand dieser Dokumente wird das Bemühen um den Schutz von Frauen verhandelt. Wir haben eine App für Experten entwickelt, die diese so bündelt, dass sie in eine Hand passen und innerhalb kürzester Zeit in Verhandlungssituationen verfügbar sind.

Wie entwickelt man eine solche App?

Schiele: Man muss die Hierarchie der Informationen im Sinne einer didaktischen Reduktion neu denken und klassifizieren, Schlagwörter und besondere Aspekte anders differenzieren und eine digitale Ebene öffnen. Der Laie muss nach dem Lesen etwas Neues gelernt haben und der Experte sagen können, dass alles stimmt.

Wie setzt man das praktisch um?

Felix Matschinske: Bei interaktiven Anwendungen, egal ob für das Internet oder bei Apps, werden Informationen auf verschiedenen Ebenen angeboten. Wenn wir das Wissen erst einmal neu geordnet haben, lohnt es sich für unsere Kunden, es auch in verschiedenen Formaten zu publizieren. Visualisierungen zum Thema sind meist unverzichtbar. Wir fragen uns: Welches Medium für welchen Inhalt, in welchem Format und für welchen Kanal? Dabei müssen wir fast immer über Kultur- und Sprachgrenzen hinweg denken.

Wie finden Sie Ihre Projekte?

Matschinske: Die Idee für die Frauenrechts-App hatte der Menschenrechtsexperte Swen Dornig, mit dem wir schon länger an diversen UN-Themen zusammen arbeiten. Er hatte den Bedarf erkannt und wir haben uns zusammengesetzt.

Und wie bringen Sie dann Frauenrechte nach Afrika?

Schiele: Indem wir mit der App den Kern der UN-Resolution 1325 herausarbeiten. Frauen haben beispielsweise bei Friedensgesprächen großen Einfluss, weil sie tief in der Gemeinschaft verwurzelt sind und großes Interesse an einer friedlichen Lösung haben. Hierzu arbeiten wir an einer App und einer Webplattform. Sie stellt lokalen Medien, NGOs und Institutionen Texte, Filme und Audio-Features zur Verfügung, genauso wie für soziale Medien. Dazu gibt es ausdruckbares Schulungsmaterial zur Weiterverbreitung durch Entwicklungshelfer oder Lehrer.

Was steht am Beginn der Zusammenarbeit mit Kunden, gibt es für Sie einen Pitch oder gilt “form follows function”?

Schiele: Die Expertise des Kunden ist der Kern. Ich kann beim Meeting im Deutschen Elektronen-Synchrotron nicht erzählen, wie es läuft – schließlich habe ich keine Ahnung von Teilchenphysik. Wir sind keine Verkäufer, sondern Wissensvermittler. Den Projektrahmen bieten dann die strategischen Maßgaben des Kunden. Und die Frage, wie viel Steuerung er leisten kann: Es hat keinen Sinn, ein Blog-Tool für 25 Redakteure zu entwickeln, wenn nur Budget für einen da ist. Wir fragen erst nach dem Thema, die Differenzierung folgt und am Ende steht ein Briefing. Für die Logo-Entwicklung vom Auswärtigen Amt dauert das nicht lange. Ein Tool über seine Geschichte braucht da schon ein umfangreicheres Briefing.

Gibt es auf Seiten des Kunden auch mal Überraschungen?

Schiele: Selten. Wenn, dann über die visuelle Umsetzung. Bisher sind Bildungsinitiativen nicht bekannt für schönes Design. Es muss halt schnell gehen und günstig sein. Dort macht die Gestaltung das Marketing oder die Werbung und es gibt sehr begrenzte Budgets, da sind teure Anzeigen- oder Social-Media-Kampagnen nicht möglich. Aber langsam setzt sich der Gedanke durch, dass Themen mit gesellschaftlicher Relevanz praktikabel und schön sein dürfen. Trotzdem: Keiner der Partner kann sich 40 verschiedene Vorschläge leisten.

Herr Schiele, Sie haben zuvor bei Kircher Burkhardt gearbeitet und dort mit einer anderen Klientel zu tun gehabt. Unterscheidet sich die Arbeit mit Ministerien, Stiftungen und Lobbys sehr von der mit Kunden aus der freien Wirtschaft?

Schiele: Ja und nein. Wenn wir beispielsweise Infografiken erstellen, müssen wir uns grundsätzlich mit Experten abstimmen. Das gilt genauso in der Zusammenarbeit mit Unternehmen, die Presseabteilung reicht da oft nicht. Allerdings haben unsere jetzigen Kunden teilweise weniger Ressourcen, um Projekte immer sehr schnell voranzutreiben.

Über wie viel Expertise verfügen Sie denn selbst? Immerhin sind die Themenbereiche, die Sie bearbeiten, ziemlich umfangreich.

Schiele: Wir lesen nicht alle Resolutionen, aber wir müssen die Grundlagen natürlich kennen und die Identität sowie das Anliegen des Kunden verstehen. Das heißt nicht, dass wir Fakten auswendig lernen. Wir versuchen aus jedem Prozess so viel Wissen wie möglich mitzunehmen.

Lesen Sie jeden Morgen Zeitung, um auf dem Laufenden zu bleiben?

Schiele: Wir informieren uns hauptsächlich digital. Der journalistische Diskurs unterscheidet sich meist sehr stark von dem der Experten. Beispielsweise beim Thema Migration gehen die öffentlichen Diskussionen und die tatsächlichen Zahlen und Fakten ziemlich weit auseinander.

Sie schreiben auf Ihrer Seite, mit der Webseite “No Spyware for Dictators” unterstützten Sie die Grünen im Europaparlament bei ihrem Anliegen, Software stärker zu kontrollieren. Ist das eine rein professionelle Unterstützung oder haben Sie parteipolitische Präferenzen?

Schiele: Das hängt vom Thema ab, aber grundsätzlich stehen wir allen Parteien offen gegenüber – den extremen rechten sowie linken Rand ausgenommen. Der Kontakt zu den Grünen und zur Heinrich-Böll-Stiftung hat sich beispielsweise einfach über das Thema Energiewende ergeben. Wir machen aber auch Projekte für Ministerien, die beispielsweise von Politikern der SPD, der CDU oder der CSU geleitet werden.

Sie kritisieren, dass Zusammenhänge, die einen intelligenten Umgang verdienen, zu oft emotional überfrachtet würden. Nun sind Themen wie “Kinder in bewaffneten Konflikten” per se emotional. Wie finden Sie die Balance?

Matschinske: Was uns gestört hat, war diese Effekthascherei, dass alles immer nach dem Prinzip “schnell, wow, peng” funktioniert. Das nimmt jegliche Seriosität. Gerade wenn es um Hunger oder Kindersoldaten geht, muss man andere Wege finden. Wir möchten nicht emotional attackieren, sondern in erster Linie Wissen versprechen. Zwar darf auch die Gefühlsebene angesprochen werden, aber bitte reduziert – wie zum Beispiel bei unserem Logo für “Der Wert Europas”, das wir 2012 für eine Konferenz des Auswärtigen Amts und der Bertelsmann Stiftung gestaltet haben.

Wie ist das entstanden?

Matschinske: Wir wollten nicht die klassischen Bilder zeigen, sondern etwas, das die Menschen noch nicht so oft gesehen haben.

Schiele: Nun ja, das Brüsseler Regierungsviertel ist wahnsinnig hässlich. Und auf goldene Sterne auf blauem Hintergrund wollten wir lieber verzichten. Wir wollten zeigen, dass der Wert Europas darin besteht, dass wir Europäer uns immer wieder neu erfinden. Es geht uns um ein Versprechen: Hinter jedem Kapitel folgt ein weiteres. Das ist schon emotional – und sah im Auswärtigen Amt auf sechs Metern wirklich toll aus (lacht).

Inwieweit spielt Ihre eigene Haltung für die Arbeit eine Rolle – muss man selbst beispielsweise glühender Europäer sein, um den “Wert Europas” zu kommunizieren?

Schiele: In diesem Fall: Definitiv ja! Das Projekt muss von der thematischen und der kundenbezogenen Arbeit schon passen.

Aktuell arbeiten Sie auch wieder mit dem Auswärtigen Amt zusammen.

Schiele: Ja, indirekt. Unser Kunde ist der Thinktank adelphi. Es geht darum, eine Plattform zu schaffen, auf der man alle relevanten Informationen zum Thema Umwelt- und Klimakonflikte bekommen kann. Ein Teil davon ist die Aufarbeitung der G7-Studie zu “Climate Change, Fragility and Conflict”, die im kommenden Jahr erscheinen wird. Zudem entwickeln wir gemeinsam verschiedene Web-Anwendungen zum Thema: zwei Wissensplattformen, eine Datenbank, eine interaktive Karte und eine Online-Ausstellung. Das Konzept werden wir mit adelphi dem Auswärtigen Amt, dem State Department und dem französischen Außenministerium vorstellen, damit diese es kommentieren und kritisieren können. Das ist für uns eine tolle Chance.

Vermutlich gibt es bei derartigen Projekten einige Abstimmungsschleifen, sowohl mit dem Auftraggeber als auch mit dem Kunden.

Schiele: Es wird noch einmal ein gemeinsames Arbeitstreffen im Auswärtigen Amt geben. Adelphi ist natürlich inhaltlich verantwortlich, aber wir entwickeln Design und Technik der Plattform. Daher setzen wir uns zusammen an einen Tisch und zeigen, was wir entwickelt haben.

Und wer soll die fertigen Webseiten bestenfalls anklicken?

Schiele: Es wird auf der Plattform Bereiche geben, die in erster Linie Außenministerien der G7 und Wissenschaftlern etwas nutzen. Diese finden dort Argumente für den internationalen Diskurs. Es gibt beispielsweise ein funktionales Expertentool, das dabei hilft, Briefings und Dossiers schnell und präzise zu erstellen. Aber auch für Journalisten, NGOs und die interessierte Öffentlichkeit gibt es viel zu entdecken. Man sollte sich aber schon ein wenig mit dem Thema auskennen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Beste Wahl. Das Heft können Sie hier bestellen.