Vom Gatekeeper zum Gatekitter

Bittmann, bitte.

Die Bilanz beeindruckt: Einen Tag, nachdem US-Präsident Barack Obama seinen offiziellen Twitter-Account gestartet hatte, folgten @Potus bereits 1,5 Millionen Menschen. 1,5 Millionen Leser in 24 Stunden – die indirekte Reichweite über Retweets noch nicht mit eingerechnet. Man kann sich freuen, dass Politiker über soziale Netzwerke greifbarer sind als je zuvor. Man kann es auch lassen. Denn – und das wird in der Euphorie über direkte politische Kommunikation oft vergessen – Kampagnen und PR-Botschaften kommen ungefiltert beim Bürger an. US-Journalismus-Professor Daran C. Brabham stellt nüchtern fest: “Die Tage, an denen PR-Leute Journalisten hofieren, sind vorbei.”

Die journalistische Rolle des Mittlers, Dolmetschers und Erklärers ist akut bedroht: durch Laien-Schreiber, die sich als Journalisten tarnen. Durch Politiker, die ihre PR in den Orbit schießen. Durch Verlage, die Redaktionen kaputtsparen. Und durch das verquere Selbstbild vieler Redakteure, die lieber zeitgeistkonformen Cat-Content produzieren, als mit Expertise und Ernsthaftigkeit gegen die eigene Bedeutungslosigkeit anzuschreiben.
Noch texten Roboterjournalisten nur einfache Meldungen. Wie ordentlich, wenn auch blutleer, Berichte aus der Retorte aber inzwischen sind, zeigen Vergleichstests à la “Mensch oder Maschine?”. Soll auch 2030 hinter einem Leitartikel keine seelenlose Software, sondern ein Mensch stehen – und ein ausgebildeter und ethisch handelnder dazu – müssen sich Journalisten fragen, was sie der Welt zu sagen haben – anstatt dem nächsten Klick-Peak hinterherzurennen.

Journalismus ist Handwerk

Fakt ist: Die Demokratisierung der Kommunikationsmittel führt nicht zwangsläufig zu mehr Qualität. Hobby-Blogger und Leserreporter können professionelle Berichterstatter nicht ersetzen. Journalismus ist Handwerk. Ein guter Journalist recherchiert sorgfältig, filtert Themen nach Relevanz, prüft Fakten, bewertet, erklärt Zusammenhänge und Hintergründe. Ein guter Journalist trennt Nachricht und Meinung und macht sich auch mit einer guten Sache nicht gemein. Für Spartenblogger und Freizeitreporter gelten diese Regeln nicht – und das ist ihr gutes Recht. Heute kann jeder sein eigener Verleger sein. Doch nicht jeder Publizist ist ein Journalist.
Ihre Rolle als Gatekeeper haben Medien längst verloren. Die Türen zum Club der (Des-)Information stehen sperr­angelweit offen. Doch ein paar Meter vom Haupteingang entfernt warten Gäste. Die Themenflut auf der Tanzfläche überfordert sie. Sie brauchen einen Gatekitter: einen Pförtner, der die Tür vorm Einsturz bewahrt; der sie an die Hand nimmt und durch die rauschende Nacht begleitet. Dem anspruchsvollen Gast etwas zu bieten und sich als filternde Instanz unentbehrlich zu machen, ist die Chance, die Journalisten ergreifen müssen. Sonst findet die Party bald ohne sie statt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation II/2015. Das Heft können Sie hier bestellen.