„Verbrennen kann man jemanden auch in drei Wochen“

p&k: Ihr neues Buch bietet den Lesern eine aktuelle Bestandsaufnahme der Piraten. Für wie hoch schätzen Sie das Wählerpotenzial der Partei?
Niedermayer: Zunächst einmal ist der ursprüngliche Markenkern der Piraten, die Netzpolitik, für den Normalbürger zu unwichtig. Ich schätze das Stamm­klientel der Piraten, also die „Digital Natives“, auf gut zwei Prozent der Bevölkerung. Das heißt, damit können die Piraten nicht punkten. Wirklich stark geworden sind sie erst mit der Forderung nach mehr Partizipation und Transparenz. Das ist der übergeordnete Wertbezug, mit dem sie eine andere Art von Politik versprechen und damit Randwähler ansprechen. Dieses Versprechen birgt aber auch gleichzeitig die Gefahr, dass sie die Erwartungen der Bürger an sie am Ende enttäuschen.
Was unterscheidet die Piraten von den Grünen?
Nun, die Grünen waren bei ihrer Gründung in den achtziger Jahren mit ihrem Thema der Umweltpolitik gesellschaftlich viel besser vernetzt, sodass ihre einsetzende Entzauberung sie nicht ins politische Aus führte. Die Piraten werden sich nur dann etablieren, wenn sie sich weit genug anpassen, um in der Politik etwas bewirken zu können, aber gleichzeitig nach außen behaupten können, sie wären noch anders als die anderen Parteien.
Wann entscheidet sich ihr politisches Schicksal?
Ich denke, dass die Niedersachsen-Wahl im Januar für die Zukunft der Partei entscheidend sein wird. Was wir gerade beobachten ist doch, dass die Piraten zunehmend Probleme haben und die Medien dies auch zunehmend thematisieren. Bei einem Einzug ins niedersächsische Landesparlament jedoch könnten die Piraten diesen Negativtrend stoppen.
Bei der SPD ist das Verhältnis von Parteichef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles nicht das beste, wie sich zuletzt beim Engagement der Werbeagentur „Aimaq von Lobenstein“ gezeigt hat. Fehlt es der SPD an interner Geschlossenheit?
Wenn man die Geschichte der SPD und ihrer Wahlkämpfe ansieht, dann war absolute Geschlossenheit immer die Ausnahme. Es ist ein großes Verdienst von Gabriel, dass er es geschafft hat, die Partei wieder stärker zu einen.
Wie beurteilen Sie die Kandidatenkür bei der SPD?
Ich war noch nie ein Befürworter der These, dass eine frühe Nominierung den Kandidaten verbrennt. Verbrennen kann man jemanden auch in drei Wochen. Ich hätte einen Mitgliederentscheid für die bessere Lösung gehalten. Hier hat die SPD eine Chance verpasst, sich als fortschrittliche Partei zu präsentieren und den Partizipationsanspruch der modernen Zeit zu genügen.
Wen aus der Troika hätten Sie für den geeignetsten Kandidaten gehalten?
Vorab: Keiner ist der optimale Herausforderer für Merkel. Wenn es nach der Partei geht, wäre Gabriel der beste Kandidat; wenn es nach der Fraktion geht, Steinmeier und wenn man den Bürgerwillen berücksichtigt, wohl am ehesten Steinbrück. Letzterer jedoch ist der Partei inhaltlich schwer zu vermitteln. Ich glaube aber, dass im Wahlkampf Steinbrück am ehesten geeignet ist, die Wähler zu mobilisieren, weil er polarisiert. Bei Steinmeier hingegen vermisse ich den unbedingten Willen zur Macht und Gabriel wird von den Wählern nicht so gut beurteilt.
Welche Koalitionsoptionen hat die SPD?
Eine Koalition mit der Linken schließe ich aus. Das Koalitionsangebot des Linken-Führungsduos ist ein vergiftetes Angebot. Denn: Die Linke ist sich intern uneinig, ob sie eine Koalition mit den Sozialdemokraten tatsächlich will und ihre inhaltlichen Positionen, gerade in der Außenpolitik, sind für die SPD nicht akzeptabel. Hinzu kommt: Die Linke ist für ein Teil der Funktionäre, Mitglieder und Wähler von SPD und Grünen noch immer keine „normale“ demokratische Partei. Auch eine Dreierkoalition aus SPD, Grünen und Piratenpartei schließe ich aus. Dafür sind die Piraten mit ihrer Politik 2.0 viel zu unberechenbar, man kann ihnen politisch nicht vertrauen.
Welche Machtoptionen hat die SPD dann überhaupt?
Alle Parteien stehen im Bundestagswahlkampf vor zwei Strategiealternativen: Sicherheit oder Risiko. Die Sicherheitsvariante bei der SPD besteht aus einer Ampelkoalition und wenn die nicht geht, aus einer großen Koalition, was aber für die Partei ganz schwer zu akzeptieren wäre. Die Risikoalternative heißt: Wir setzen alles auf Rot-Grün. Dann aber muss die FDP zum Hauptgegner stilisiert werden und fällt somit als möglicher Koalitionspartner weg.
Vor welchen Machtoptionen stehen die Grünen?
Natürlich zunächst Rot-Grün. Aber alle vier Kandidaten der Grünen (Trittin, Künast, Roth, Göring-Eckardt) haben nach der Bundestagswahl 2013 wohl die letzte Chance, Minister zu werden. Das persönliche Karrieredenken könnte dazu führen, dass man vielleicht nach der Wahl, wenn es für Rot-Grün nicht reicht, auch eine Koalition mit der CDU ins Spiel bringt, was aber der Basis und den Wählern sehr schwer zu verkaufen ist.
Also hat die Union die besten Karten?
Ich gehe davon aus, dass die Union die stärkste Kraft wird. Sie könnte eine Risikostrategie wählen und ganz auf Schwarz-Gelb setzen. Die Sicherheitsstrategie wäre, Schwarz-Grün nicht auszuschließen. Wenn auch das nicht funktioniert, hat sie immer noch die Rückfallposition einer großen Koalition unter Führung von Angela Merkel. Also ist die Union in der besten Lage.
Mit welchen Themen kann die SPD im Wahlkampf punkten?
Die SPD hat das Problem, Themen zu finden, in denen sie sich klar von der Union unterscheidet. Die Bankenschelte von Gabriel ist selbst in der eigenen Partei umstritten, den Mindestlohn hat Merkel der SPD als Thema weggenommen, in der aktuellen Rentendiskussion deckt von der Leyen bei der CDU geschickt die Flanke der sozialen Gerechtigkeit ab und beim Euro-Rettungsthema stehen die Wähler eindeutig hinter Merkel. Der SPD bleiben also kaum Themen, mit denen sie punkten könnte.
Wird das Web 2.0 die Wahlkampfführung verändern?
Bei dieser Frage sollte man die Kirche im Dorf lassen. Es ist heute selbstverständlich, dass Wahlkämpfe auch im Netz geführt werden. Im Internet jedoch werden Wahlkämpfe nicht gewonnen. Alle Studien, die ich kenne, liefern keine soliden Daten darüber, dass Online-Wahlkämpfe tatsächlich einen großen Einfluss auf das Wahlverhalten haben. Die interpersonale Kommunikation ist immer noch wirkungsmächtiger, das heißt, dass man im persönlichen Umfeld, also mit Arbeitskollegen oder Nachbarn über Politik diskutiert und diese einen überzeugen. Peer-Group-Unterstützer zu gewinnen, ist entscheidend, das hat auch der Obama-Wahlkampf damals in den USA gezeigt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Wir wollen rein – Bundestag 2013. Das Heft können Sie hier bestellen.