Unsichtbar im Hintergrund

Politik

Zu wenig welthaltig – freundlich, aber bestimmt kritisiert Stephan Steinlein in der Französischen Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt ein friedenspolitisches Papier der Evangelischen Akademien. Der Staatssekretär aus dem Auswärtigen Amt spricht dort nicht als Theologe. Er ist für seinen Chef eingesprungen. Der Außenminister reist in angewandter Friedensmission durch Nordafrika. Das macht aber nichts – des einen Gedanken sprechen aus des anderen Worten.

Einige Tage später, etwas weiter Richtung Regierungsviertel, zieht ein aus einem Nachbarland stammender Berater den exklusiven Zuhörerkreis in seinen Bann. Er versichert, auf allerhöchster Ebene zähle sein Wort, in der deutschen Finanzpolitik gelte sein Urteil. Von sich selbst legitimiert und überzeugt, plaudert er aus dem ministeriellen Nähkästchen. Am nächsten Tag, in Rufweite zum Kanzleramt, neben den Limousinen, die Abgeordnete vor ihren Bundestagsbüros abliefern: Ein Anzugträger jagt selbstvergessen über das Trottoir, in sein Handy brüllend: “Den Chef BK holen wir auch ins Boot. Das läuft.”

Drei Szenen, drei Phänotypen im Dunstkreis Berliner Politik: der Diener seines Herrn, der Strippenzieher, der Wichtigtuer. Letzterer wird hoch dafür bezahlt, dass er irgendwem glauben macht, er könne ausgerechnet den Chef des Bundeskanzleramts für irgendeine Sache instrumentalisieren und Peter Altmaier in irgendein Boot setzen. Dass sich der Bismarck-Fan Altmaier mit herumschreienden Aufschneidern einlässt, ist unwahrscheinlich. Indiskretes Geschwätz verbietet sich, schließlich ist er so etwas wie Merkels Hausmeier.

Das Aufkommen an Wichtigtuern ist in Berlin zwar mindestens so hoch wie deren Einkommen, beides steht aber kaum in einem sinnvollen Verhältnis zu deren Einfluss. Eher sind die Strippenzieher wirkmächtig, Unsummen fließen auch hier. Doch Mammon ist nicht alles: In Zeiten der Großen Koalition makeln mit der Macht Eminenzen, die als grau zu bezeichnen respektlos wäre – Getreue vom Typ Steinlein. Wenn der über Staatssekretärsrunden spottet und diesen Spott gleich wieder zurücknehmen möchte, sprechen Souveränität und Bescheidenheit aus ihm.

Seine Bescheidenheit ist die des Staatsdieners, der Person aus dem Apparat. Seine Souveränität wiederum speist sich aus dem Vertrauen Steinmeiers, der über ihn mit den Worten Ciceros spricht: “Ein wahrer Freund ist gleichsam ein zweites Ich.” Letzteres ist in der DDR aufgewachsen, entstammt einer SED-kritischen Pfarrersfamilie und wurde in den letzten Monaten der DDR in die Welt der Diplomatie katapultiert: Als letzter Außenminister der DDR ent­sandte Pfarrer Markus Meckel den Protestanten Steinlein als Botschafter nach Paris. Zehn Jahre später arbeitete er beim damaligen Kanzleramtschef – Frank-Walter Steinmeier. Steinlein begleitet Steinmeier seitdem wie ein Schatten, wurde zu dessen Alter Ego, zum Sparringpartner. So ähnelt beider Verhältnis dem von Angela Merkel zu ihrer Büroleiterin Beate Baumann – wenngleich diese niemals als politische Akteurin öffentlich in Erscheinung träte.

Vertraue und herrsche, lautet das machiavellistische Motto in der post­heroischen demokratischen Gesellschaft: Das muss auch so sein, weil Kapazität und Zeit der Protagonisten in der ersten Reihe begrenzt sind. Merkel, Steinmeier, Vizekanzler Gabriel oder Verteidigungsministerin von der Leyen brauchen ihre Bühne für sich. Sie verlassen sich auf einen fein austarierten Unterbau und funktionieren nicht ohne symbiotisch mit ihnen verwachsene Ratgeber, die still und effektiv wirken. Diese bedienen die kommunizierenden Röhren von Partei- und Regierungspolitik und treten demütig nach außen auf – oder eben nicht einmal das.

Unbedingte Loyalität

Willy Brandt hatte noch Egon Bahr. Helmut Schmidt leistete sich mit Klaus Bölling gar einen zweiten Hahn im Korb und ließ Ben Wisch, also Hans-Jürgen Wischnewski, als Emissär öffentlich in Entführungsfällen intervenieren. Die Arbeitsbienen von Helmut Kohl standen im Schatten des Kanzlers. Dieser liebte es gleichwohl, externen Sachverstand von schillernden Manager-Persönlichkeiten wie Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen oder Nestlé-Chef Helmut Maucher einzuholen.

Der Apparat mit den heldenhaft schuftenden Getreuen blieb unsichtbar. So ist es auch heute angesichts hysterischer Medien. Wer Anzeichen von Illoyalität oder Zweifel an seiner Verlässlichkeit an den Tag legt, muss gehen. “Loose cannons” – frei übersetzt: lose Mundwerke – können sich Regierende heute nicht leisten. Angela Merkel hat nie Zweifel daran aufkommen lassen, dass Loyalität ihr gegenüber unbedingt sein muss. Als sie, kaum fünf Jahre im politischen Geschäft, Klaus Töpfer als Bundesumweltministerin beerbte, schasste sie den unter ihrem Vorgänger profilierten Staatssekretär – nicht als Machtdemonstration nach draußen, wo das verächtliche “Sie kann’s nicht” angestimmt wurde. Vielmehr musste die Ministerin einem das Maul stopfen, der keine Zurückhaltung üben konnte. Das ist etwas anderes als Merkels Verzicht auf Friedrich Merz, der 2002 für seine Parteivorsitzende den Posten des Fraktionschefs räumen musste und fortan die Lust am Politikmachen in der Merkel-CDU verlor.

Verständlicherweise waren Merkel anfangs bestimmte eingefahrene Argumentationslinien in der westlichen Parteienlandschaft fremd. Sie war aber neugierig genug, um Rat einzuholen. Statt die Welt zu erklären, hörte sie zu. Das macht sie bis heute. Der Personenkreis, der gehört wird, wechselt wie die Themen der Agenda. Der Rat, den sie abruft, ist inzwischen maßgeschneidert. Das sagt einer, der schon zu Zeiten Kohls Hinterzimmertüren auf- und zugehen sah und Ratgeber in Kabinette hinein- oder doch an ihnen vorbeischob. Gehört werden Menschen, die sachkundig sind und auf deren Vertraulichkeit und Verschwiegenheit Verlass ist. Verbindlichkeiten erwachsen daraus nicht – anders als bei internen Vertrauten. 

Sigmar Gabriel hat in dem für ihn gezimmerten Superministerium drei beamtete und drei Parlamentarische Staatssekretäre um sich geschart. Bei seinem Amtsantritt hat er ihnen versichert, es solle Schluss sein mit dogmatischen Debatten. Den Beweis erbringen nicht zuletzt seine beamteten Sekretäre Sontowski, Machnig und Baake. Eigenständige Persönlichkeiten mit klarer Aufgabenteilung, von denen zwei die Durststrecke der Opposition mit Gabriel durchlitten haben. Rainer Sontowksi hat als langjähriger Zuarbeiter Gabriels Zugang zum Minister, Matthias Machnig kann weiter “Strategie!” predigen, Rainer Baake ist als Umwelt- und Energiepolitiker gar mit einem Parteibuch der Grünen zu den Genossen gestoßen. In Demut übt sich die Parlamentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries: Die Juristin war selbst einst Bundesjustizministerin.

Macht hat nicht, wer im Rampenlicht steht. Macht auszuüben, heißt nicht, Macht zu demonstrieren. Mächtige sind stille Arbeiter, am besten beschrieben mit dem abgewandelten Werbeclaim der Bundeswehr: Wir. Dienen. Merkel. Nicht einmal mit der eigenen Partei muss das heute zu tun haben. Selbst Wolfgang Schäuble beschäftigt im Finanzministerium mit dem gewichtigen Staatssekretär Werner Gatzer einen Sozialdemokraten.

Unser historisches Gedächtnis belegt es: Vertraute haben auch auf die politische Ikonografie Einfluss: Kohl liebte die Selbstinszenierung im Mantel der Geschichte, der ihn zusammen mit den Präsidenten befreundeter Staaten umwehte. Willy Brandt zeigte sich Fotografen gern Seit’ an Seit’ mit Günter Grass und Siegfried Lenz. In der heutigen Bilderflut fehlen markante Einstellungen von der Kanzlerin – womöglich im Sofa versunken, mit nachdenklich zerfurchter Stirn oder emphatisch gestikulierend, zumal umgeben von Künstlern oder Intellektuellen. Politikflüsterer, Ideen- und Ratgeber bleiben unsichtbar. Sachkunde lässt sich schlecht inszenieren.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation II/2015. Das Heft können Sie hier bestellen.