„Social Media sorgen für Waffengleichheit“

p&k: Wie beurteilen Sie die drei TV-Duelle zwischen Amtsinhaber und Herausforderer? Stimmt der Mythos vom TV-Duell, das die Wahl entscheidet?
Axel Wallrabenstein: Ich glaube, dass die TV-Duelle nach wie vor mitentscheidend sind, weil sich enorm viele unentschlossene Wähler diese Debatten im Fernsehen anschauen.
Adrian Rosenthal: Die TV-Duelle sind zwar ein Zirkus, aber trotzdem sehr wichtig. Die Einschaltquoten sind immer enorm und die Resonanz in den sozialen Medien war gewaltig. Auf Twitter war die erste Debatte mit 10,3 Millionen Beiträgen das Ereignis mit der größten Resonanz überhaupt in diesem Wahlkampf. Wie bedeutend die TV-Duelle sind, zeigt das Beispiel Mitt Romney: Vor der ersten Debatte war er eigentlich schon erledigt, ist dann aber mit einer starken Performance zurückgekommen. Erst nach dem TV-Duell wurde er als Kandidat richtig ernst genommen.
10,3 Millionen Tweets gab es zum TV-Duell. Haben die sozialen Medien dem guten alten Fernsehen nicht  längst den Rang abgelaufen?
Wallrabenstein: Bei der Frage, wer bei Republikanern und Demokraten jeweils Kandidat wird, spielen Social Media inzwischen eine essenzielle Rolle, nicht aber bei der Präsidentenkür. Die relativ kostengünstigen und schnell aktivierbaren sozialen Medien sorgen für Waffengleichheit im Vorwahlkampf. Ein Kandidat wie der Republikaner Rick Santorum, dessen Spenderbasis eher mau war, hätte ohne die Mobilisierung und die zielgerichtete Kommunikation über die sozialen Medien nie so lange gegen Romney durchgehalten.
Stichwort Kosten: Werden Social Media im US-Wahlkampf künftig wegweisend, weil die TV-Werbung extrem teuer ist?
Rosenthal: Die Frage ist, ob bei den Beteiligten ein Interesse besteht, die Kosten zu senken; ich sehe das nicht. Im US-Wahlkampf werden die Interessengruppen immer bereit sein, immense Summen in den Wahlkampf ihrer Kandidaten zu pumpen. Eine Konzentration auf Social Media gab es zwar, was aber daran lag, dass der TV-Markt dicht war. Die im Fernsehen maximal mögliche Werbezeit war bald ausverkauft, mehr TV-Werbung ging einfach nicht. In der Folge stiegen die Ausgaben für Online-Werbung.
Welche Social-Media-Trends konnten Sie im US-Wahlkampf ausmachen?
Rosenthal: Der Trend geht zum „Nano-Targeting“. Die Datenbanken der Wahlkämpfer sind mittlerweile mit detaillierten Informationen über die Wähler bestens gefüttert. Um auf deren Basis noch besser auf einzelne Zielgruppen einzugehen, sind die sozialen Netzwerke ideal. Was wir dieses Jahr noch verstärkt beobachten konnten, sind „Get-Out-The-Vote-Aktionen“. Sogar das Verteidigungsministerium hat eine App geschaltet, um die Soldaten an die Urnen zu treiben. Auch in der Werbung gab es interessante Sachen, wie Ingame-Advertising auf der Playstation oder bei World of Warcraft. Apps werden auch immer wichtiger; Romney hat die Ernennung von Paul Ryan zu seinem Vize über eine eigens dafür aufgelegte App verkündet.
Wallrabenstein: Interessant war es zu be-obachten, wie die sozialen Medien als Katalysator beim Negative Campaigning gewirkt und eine harte Wahlkampfführung gefördert haben. Das Posten und Twittern erfolgt ja meist spontan, womit tendenziell eine unüberlegte, oft aggressivere Wortwahl einhergeht. Der Kern der Angriffskampagnen waren zwar immer noch die TV- und Videospots, aber inzwischen gilt: Erst über die Interpretation in Social Media werden die wirksam oder verpuffen.
Wie werden die sozialen Medien den Bundestagswahlkampf 2013 beeinflussen?
Wallrabenstein: Schwer zu sagen. Twitter bietet sich natürlich auch in Deutschland an, da es kostengünstig ist und bereits Eingang in die politische Kommunikation gefunden hat. Selbst viele ältere Semester der politischen Klasse wie Bundesumweltminister Peter Altmaier nutzen Twitter gern. Aber der Spielraum ist sehr eng. In Deutschland ist das Thema „Authentizität“ von immenser Bedeutung. In den USA geht keiner davon aus, dass Obama seine Tweets selbst schreibt. Wenn in Deutschland herauskommt, dass ein Politiker seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter tweeten lässt, wird das sofort zum Bumerang. Hierzulande fehlt die Bereitschaft, sich auf den kommunikativen Aspekt der sozialen Medien einzulassen und sie unbefangen zu nutzen. Wahlentscheidend werden Social Media deswegen 2013 sicher nicht werden.
Rosenthal: Zu erwarten ist eine leichte Professionalisierung. Obama hatte 2008 eine Truppe von 90 Spezialisten fürs Digitale, sein damaliger Gegner John McCain hatte drei. Deswegen verlor er auf dem Schlachtfeld Internet haushoch gegen Obama. Ähnlich groß wie der Unterschied zwischen Obama und McCain ist in dieser Hinsicht der Unterschied zwischen den USA und Deutschland. Hierzulande wird Social Media immer noch nebenher gemacht, oft von den Jugendorganisationen der Parteien. Da werden teilweise tolle Webseiten gebaut. Eine Strategie, wie man über diese Plattformen Wähler mobilisiert oder Anhänger bindet, fehlt allerdings bis dato weitgehend. Der zweite Punkt sind die fehlenden Ressourcen. Selbst die Volksparteien können es sich nicht leisten, zahlreiche Profis für einen Social-Media-Wahlkampf einzustellen. „Rapid-Response-Einheiten“ wie in den USA wird es 2013 in Deutschland sicher nicht geben.
Haben Sie trotzdem ein paar Tipps für die Wahlkämpfer in Deutschland?
Wallrabenstein: Für die Generalsekretäre als Wahlkampfmanager liegt es nahe, die sozialen Medien stärker zu nutzen, um die junge Anhängerschaft besser zu erreichen und das eigene Image zu stärken. Gerade für Konservative bieten Social Media die Chance, sich ein modernes Bild zu verpassen und die eigene Offenheit glaubwürdig zu präsentieren, was  für sie keine leichte Übung ist. Bis jetzt hat das noch keiner entdeckt und konsequent praktiziert. Für die Parteien wäre es auch sinnvoll, Online-Teams zu bilden, die in der Lage sind, solide Unterstützergruppen in den sozialen Medien aufzubauen, die diese richtig zu nutzen wissen. Also weg von diesem „Ich bin hier und poste unser Parteiprogramm“-Getue hin zu kompakten, informativen Fakten, die der potenzielle Wähler dann weiterverfolgt. Der Generalsekretär soll mir nicht sagen, wo er sich gerade aufhält, sondern was er da macht oder ob er dort etwas Spannendes erlebt.
Rosenthal: Ich erhoffe mir, dass die Parteien endlich Youtube als Wahlkampfmittel entdecken. Der Videokanal ist nach Google die zweitgrößte Suchmaschine in Deutschland; visuelle Eindrücke wirken immer und der Charakter von Youtube als freier Videoplattform lässt viel mehr Kreativität zu als bei den TV-Spots nach der Tagesschau, die oft zu staatstragend und dröge daherkommen. Außerdem bietet es sich meiner Meinung nach an, die in Deutschland ja bestens implementierte Social-Media-Plattform Facebook stärker zur Mobilisierung potenzieller Wähler zu nutzen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Wer wird wichtig? – Rising Stars 2012. Das Heft können Sie hier bestellen.