So lief der digitale Parteitag der SPD Rheinland-Pfalz

Politik

Die SPD Rheinland-Pfalz ist keine Partei, die auf Veränderungen wartet und diese dann in die Prozesse der eigenen Organisation integriert. Schließlich hat schon Willy Brandt im letzten Jahrhundert betont, dass Politik auf der Höhe der Zeit sein müsse. Wir wollen allerdings nicht nur Politik-Urgesteine zitieren, sondern Veränderungen vorantreiben – für uns selbst und idealerweise auch zum Nutzen anderer. Das darf sich nicht nur auf die inhaltliche Ebene beziehen, sondern auch auf die innerparteiliche Organisation. 

Im Zeitalter von Smartphones und Social Media müssen die in weiten Teilen veralteten Parteien die Richtung der Digitalisierung mitgehen. Mit diesem Anspruch haben wir uns auf den Weg gemacht, den ersten Digitalen Parteitag in der Geschichte der Partei zu realisieren: Keine Webschalte mit politischer Diskussion, sondern ein ernsthafter Parteitag mit belastbaren Beschlüssen, realisiert durch digitale Infrastruktur. 

Die Vorzeichen standen dafür bei der SPD Rheinland-Pfalz gut, weil die Partei bereits 2016 – unmittelbar nach der vergangenen Landtagswahl – die Vision einer vernetzten Partei entworfen und einen Modernisierungskurs eingeschlagen hatte. Unter dem Projekttitel “Die vernetzte Partei” haben wir schon vor einigen Jahren begonnen, die Kommunikationswege innerhalb der Partei digitaler zu machen, was gerade in einem Flächenland wie Rheinland-Pfalz enorme Vorteile mit sich bringt. Noch entscheidender ist aber, dass wir seitdem in den Gliederungen der Partei eine Haltung der Offenheit, des Zutrauens und der Freude am Experimentieren etabliert haben.

Digitalisierung im Eilverfahren

All das zahlt sich bereits in regulären Zeiten aus, weil sich die Mitglieder vielfältig in die Parteiarbeit einbringen können, Selbstwirksamkeit erfahren und die Zufriedenheit gesteigert wird. Die volle Blüte entfaltet der frühzeitig gestartete und selbstständig gesteuerte Modernisierungsprozess aber jetzt in der Krise, die bei den meisten Parteien im ersten Schritt zu einem kurzfristigen Verstummen des innerparteilichen Austausches geführt hat und dann im Anschluss zu einer Digitalisierung im Eilverfahren.

Wie auf ­einem ­normalen Parteitag saß der Landes­vorstand der Partei auf dem ­Podium – diesmal ­allerdings mit Sicherheits­abstand. (c) Nils Marose

Corona hat das Parteileben radikal verändert. Das gilt auch für die SPD Rheinland-Pfalz, wenngleich wir besser vorbereitet waren als andere. Mit der Ausbreitung der Corona-Pandemie zogen die hauptamtlichen Mitarbeiter kurzerhand ins Homeoffice und der Austausch mit den Ehrenamtlichen wurde auf rein digitale Kanäle umgestellt. So sollte möglichst schnell wieder die Arbeit starten, auf die es ankommt: Das Kümmern um die Bedürfnisse der Menschen vor Ort. So haben die Jusos Rheinland-Pfalz auf die neue Situation fast über Nacht mit einer der ersten Nachbarschaftshilfeaktionen geantwortet. Sie haben eine Online-Plattform ins Leben gerufen, um darüber Unterstützung bei Einkäufen und anderen Erledigungen im ganzen Land zu koordinieren.

Digital beschlussfähig

Um als Partei im größeren Stil wirksam werden und vor allem vorausschauend handeln zu können, braucht es allerdings einen Parteitag, auf dem Beschlüsse über die politische Richtung gefasst werden. Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie, die so folgenreich für unsere Klientel ist, muss die SPD beschlussfähig sein. Für die SPD Rheinland-Pfalz zieht das die Zusammenkunft von 400 Delegierten nach sich, was in Zeiten des Abstandhaltens weder möglich noch vertretbar ist. Es war deshalb schnell klar, dass wir einen digitalen Parteitag brauchen.So prompt die Idee geboren war, so schnell tauchten die Hürden für die Realisierung auf. Die Satzungen setzen hier enge Grenzen. Für die SPD Rheinland-Pfalz bedeutet das, dass inhaltliche Beschlüsse mit einem rechtssicheren Abstimmungstool möglich sind, Personenwahlen sind es indes nicht. Wir wollten deswegen ausloten, was möglich ist.

Die ermittelten Delegierten wurden statt der üblichen Information zur Anfahrt und zum Parkplatz dieses Mal befragt, ob sie über Laptop, Webcam und eine schnelle Internetverbindung verfügten. Falls nicht, wurde über die Geschäftsstellen vor Ort Abhilfe geschaffen. In der überdimensionierten Halle sollten sich lediglich das zwölfköpfige Tagungspräsidium, eine Auswahl an Journalisten, das Online-Team der SPD-Rheinland-Pfalz sowie ein paar Mitarbeiter für den technischen Support einfinden. Alle Delegierten von Ahrweiler bis Zornheim sollten sich von zu Hause hinzuschalten, Anträge einbringen, mitdiskutieren und vor allem abstimmen.

Interesse aus anderen Bundesländern

Im Mittelpunkt der Beratungen und Beschlussfassung stand ein Antrag des Landesvorstandes, der sich mit den kurz- und langfristigen Folgen der Corona-Pandemie beschäftigte. Darüber hinaus wurden von 35 eingereichten Anträge im Voraus sieben per Online-Voting priorisiert. Diese wollten die Delegierten unbedingt digital beraten. Sie behandelten die Themenkomplexe Umweltpolitik, Arbeitsmarktpolitik, Sozialpolitik und den Kampf gegen Rassismus. 

Der SPD-Landes­vorsit­zende und rheinland-­pfälzische Innen­minister ­Roger ­Lewentz spricht. (c) Nils Marose

Vor der ersten digitalen Abstimmung war die Anspannung allen Beteiligten vom Tagungspräsidium über die technische Leitung bis hin zu den Delegierten anzumerken. Im Nachgang an die Veranstaltung können wir zufrieden sagen: Alles hat klar funktioniert! Es wurden insgesamt acht Anträge in drei Stunden online beraten und rechtsgültig verabschiedet. Das ist nicht nur in der Geschichte der rheinland-pfälzischen SPD ein Meilenstein, sondern auch weit darüber hinaus. Das zeigen uns die vielen Kontaktaufnahmen im Vorfeld und Nachgang in Zusammenhang mit dem digitalen Parteitag aus ganz Deutschland. Dabei sind bei Weitem nicht nur Anfragen aus anderen SPD-Landesverbänden dabei, sondern auch von anderen Parteien. Regionale und überregionale Medienvertrer zeigten seit der Ankündigung großes Interesse, und bei Twitter rangierte der Hashtag #DigiLPT während des Parteitages zeitweise sogar auf Platz zwei der deutschen Trends.

Aber der digitale Parteitag war mehr als ein schönes medienwirksames Event: Mit der Umsetzung des ersten digitalen Parteitages einer SPD-Gliederung und der Vorbereitung haben wir die innerparteiliche Mitbestimmung auf eine nächste Stufe gehoben. Wir haben im parteipolitischen Kontext ein belastbares Beispiel für „tech for democracy“ geschaffen: Die Delegierten konnten über das Datum des Parteitages abstimmen. Sie konnten unter den eingereichten Anträgen die Anträge bestimmen, die auf jeden Fall online beraten werden sollten. 

Mit der Realisierung im digitalen Raum und den damit verbundenen Unterstützungsleistungen haben wir die Hürde für eine Beteiligung gesenkt. Die Delegierten mussten keine weiten Wege in Kauf nehmen oder für die Ausübung ihres Ehrenamtes gar ein Wochenende mit der Familie opfern. Frauen und Männer konnten sich während des Parteitages um ihre Familien und Kinder kümmern. Alleinerziehende konnten, ohne eine Betreuung zu organisieren, ihre Funktion als Delegierte wahrnehmen. Es ist also gut möglich, dass die Vielfalt der Partei online sogar besser abgebildet werden kann als offline. Eine Stärkung der gleichberechtigten Beteiligung innerhalb der Partei war es in jedem Fall.

Künftig auch Personalwahlen digital ermöglichen

Zweifelsfrei hat so ein digitaler Parteitag auch ein paar Hürden: Die digitale Dividende, die in aller Munde ist, hat sich in der Realisierung der Pionierveranstaltung nur bedingt gezeigt. Einen ernsthaften digitalen Parteitag gibt es nicht zum Schnäppchenpreis oder gar umsonst. Hinzu kommt, dass die Umsetzung einer solchen Versammlung einiges an Vorbereitungszeit kostet. Vielleicht haben wir hier als VorreiterInnen die eine oder andere Extraschleife gedreht, die sich künftig erübrigt. 

Zweifelsfrei liegen die technischen Anforderungen für einen Digitalen Parteitag höher als für eine politische Debatte vor einer Webcam – zumindest, wenn man wirklich alle Delegierte mitnehmen will und es mit der Rechtsgültigkeit der Beschlüsse ernst meint. Außerdem ist eine digitale Versammlung für die Redner eine Herausforderung, denn trotz “Applausometer” fehlt die gewohnt lautstarke Unterstützung aus der Halle. Und natürlich fehlt auch das Gespräch am Rande, der gemeinsame Kaffee – all das kann der digitale Raum trotz Chatfenster für die Delegierten (noch) nicht leisten. 

Wir haben die vorhandenen Hürden genommen und gezeigt: Digitale Parteitage mit belastbaren Beschlüssen sind möglich! Und mehr noch: Wir sind davon überzeugt, dass sich das Format als Ergänzung zu analogen Parteitagen mit langer Tradition durchsetzen wird. Um auch Personenwahlen durchführen zu können, müssen die Satzungen nun schnell angepasst werden, denn wenn wir inhaltlich rechtskräftige Beschlüsse fassen dürfen, dann muss auch die Wahl in politische Ämter im digitalen Raum möglich werden. So kann die Technik für die Demokratie effektiv nutzbar werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 132 – Thema: Warten auf grünes Licht. Das Heft können Sie hier bestellen.