Sie sprechen für Minderheiten

Public Affairs

Frau Geismar, woran denken die Menschen zuerst, wenn sie hören, wo Sie arbeiten?

Inse Geismar: Ach, da geht’s um Ureinwohner, um indigene Völker. Dabei gibt es bedrohte Völker auch in Europa.

Ich habe gesehen, auf Ihrer Schutzliste stehen auch die Friesen.

Ja, es gibt einige alteingesessene Minderheiten in Deutschland, wie die Sorben in der Lausitz, Sinti und Roma, aber auch Dänen in Norddeutschland. Es geht uns nicht nur um Volksgruppen, die existenziell oder physisch bedroht sind. Sondern die Gefahr laufen, dass ihre Kultur vergessen oder ihre Rechte nicht anerkannt werden.

An welcher Kampagne arbeiten Sie derzeit?

Wir versuchen, die Freilassung von Biram Dah Abeid zu erreichen, den wir für den Weimarer Menschenrechtspreis vorgeschlagen haben und mit dem er dann auch ausgezeichnet wurde. Er wurde in Mauretanien verhaftet, als er bei einem Demonstrationsmarsch schon fast in seiner Heimatstadt angekommen war. Der Aktivist kämpft dort gegen die Sklaverei. Die ist zwar seit einigen Jahren im Gesetz gestrichen, doch die Praxis hat sich kaum geändert. Auszeichnungen sind da nicht nur hilfreich für ein bestimmtes Thema, sie bieten auch Schutz für den Einzelnen: Die Nachricht von der Verhaftung war sofort im Netz. Jetzt bitten wir Diplomaten um Hilfe.

Arbeiten Sie parallel an mehreren Kampagnen?

Ja. Jetzt wissen plötzlich alle, wer Jesiden sind, weil sie im Irak und Syrien in vor den IS-Extremisten fliehen müssen. Aber das Thema der Diskriminierung, Verfolgung und Vertreibung dieser religiösen Minderheit war lange schwer zu kommunizieren. Eine andere Kampagne gilt den Krimtataren: Sie wurden vor 70 Jahren kollektiv deportiert und erst vor kurzem rehabilitiert. Endlich durften sie in ihre Heimat zurückkehren, aber dann kam die Krimkrise.

Wie planen Sie Ihre Kampagnen?

Jedenfalls selten langfristig (lacht), auch wenn wir jahrelang für die Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen da sind, Lobby- und Medienarbeit leisten, unsere Experten ständig über Unterdrückung von Minderheiten informieren. Angesichts zum Beispiel der Lage im Nahen Osten oder in Nigeria mit der Boko Haram müssen wir oft spontan reagieren, da ist eine Planung über viele Monate kaum möglich. Aber wir beziehen langfristige Termine wie Staatsbesuche oder Gedenktage in unsere Strategien mit ein.

Welche Aktion gefiel Ihnen in diesem Jahr besonders?

Wir haben viel über China gearbeitet und eine Ausstellung im Hamburger Museum für Völkerkunde zu Tibet konzipiert: Wir zeigten viele Fotos und Alltagsgegenstände der Nomaden, die gezwungen werden, sesshaft zu sein, und ihre Yakherden abgeben müssen. Sogar der Dalai Lama hat die Ausstellung besucht. Begleitend gab es von uns auf der Wirtschaftsmesse “China time” Vorträge unter anderem mit dem Journalisten Jürgen Bertram.

Sind Krisen also aus kommunikativer Sicht Verstärker Ihrer Arbeit?

Wenn Bomben fallen, schaffen die Medien Aufmerksamkeit für bestimmte Themen wie jetzt in der Kurdenregion. Wir können keine Kriege beenden, aber darauf aufmerksam machen, was fehlt. Der Sudan ist zum Beispiel schon länger eine Krisenregion und wenn Medien über aktuelle Vertreibungen in Darfur oder Vergewaltigungen in der Nähe von Flüchtlingslagern kaum berichten, versuchen wir, mehr Interesse für diese Katastrophen zu wecken – auch mit Menschenrechtsaktionen wie Mahnwachen und Demonstrationen, natürlich nutzen wir auch Facebook, Twitter, füttern unseren Blog.

Quechua (c) Flickr / Shwan Harquail

Quechua (c) Flickr / Shwan Harquail

Werden Sie mit Ihren Themen denn noch gehört im Medienrauschen?

Das wird immer schwieriger. In der heutigen Flut von Nachrichten muss alles sehr schnell gehen, viele hungern nach immer neuen Bildern und Sensationen. Aber die Welt wird immer kleiner, vieles geht uns heute direkt an: Durch die Vernetzung oder Exporte. Auch Unternehmen werden immer häufiger zu unserer Zielgruppe, um sie für das Umfeld, in dem sie agieren, zu sensibilisieren.

Ihr Magazin hat den Titel “pogrom”. Warum?

Ein Pogrom ist ein schreckliches Verbrechen, schlimmer noch ist Völkermord.  Der Titel unseres Magazins soll bewusst schockieren. Es gab ab und zuÜberlegungen, ihn zu ändern, aber letztendlich haben wir uns immer dagegen entschieden. Gemeinsam mit dem Zusatz “Bedrohte Völker” und dem “V” für “Völker” in Uno-Blau hat er eine lange Tradition.

"pogrom"-Cover (c) GfbV

“pogrom”-Cover (c) GfbV

Wer sind Ihre Leser?

Politisch wache und engagierte Menschen. Darunter sind Betroffene ebenso wie Politiker, Historiker, Lehrer, Journalisten, Entwicklungshelfer. Wir haben eine Auflage von 3.500 Stück, jedes Heft widmet sich einem übergeordneten Einzelthema.

Welche anderen Kanäle nutzen Sie?

Pro Jahr gibt es sechs Mailings, die sogenannten „Infoblätter“. Anfang Dezember verschicken wir ein Extrablatt mit den zehn großen Jahresthemen. Außerdem gibt es Newsletter, die bundesweit aber auch regional steuerbar sind, wenn wir zum Beispiel auf eine lokale Aktion aufmerksam machen wollen. Und für die Webseite planen wir 2015 einen Relaunch. Dort gibt es auch einen Online-Shop mit unserem schönen Bildkalender, Büchern aus dem Eigenverlag, und Kunsthandwerk mit Bezug zu unserer Arbeit wie Schmuck von Indianern oder aus einer Nähstube für traumatisierte Frauen in Bosnien. Durch unseren Beraterstatus bei den UN informieren wir außerdem Staatsvertreter und tauschen uns weltweit mit Institutionen, NGOs, Locals und anderen Experten aus.

Lumad (c) Flickr / Jeff Pioquinto

Lumad (c) Flickr / Jeff Pioquinto

Wie kann man die Expertise der GfbV auch persönlich erleben?

Indem Sie unsere Referenten und Experten für Vorträge einladen. Sie haben fertige Präsentationen, aber können auch neue zu speziellen Themen erarbeiten. Wir haben Regionalgruppen in bundesweit 15 Städten, Aktionen von Ehrenamtlichen, die zum Beispiel Infostände betreuen, Podiumsdiskussionen oder Filmvorführungen iniitieren.. Außerdem: Jede Kampagne braucht ein Gesicht, jedes Schicksal einen Stellvertreter. Wir lassen Opfer selbst zu Wort kommen.

Sie machen den Job schon viele Jahre. Wie hat sich Ihre Arbeit verändert?

Wir agieren viel professioneller. Früher war ich Einzelkämpferin, heute habe ich eine Mitarbeiterin für die Neuen Medien und es gibt einen Aktionsreferenten. Als ich hier anfing, gab es keinen Computer, nur eine Teletex-Schreibmaschine. Man musste alles klein schreiben, Umlaute gab es nicht. Ich habe getippte Pressemitteilungen morgens noch persönlich mit dem Fahrrad beim NDR ausgeliefert, abends Transparente selbst gemalt und stundenlang telefonisch mobilisiert. Heute koordinieren wir Mahnwachen oder Aktionen vor allem über das Internet. Schnelligkeit ist oft gefragt.