Schön war die Zeit

Die Obama-Begeisterung ist dahin, das Vertrauen in die USA erschüttert, die transatlantischen Beziehungen ramponiert wie seit der Diskussion um eine deutsche Beteiligung am Irakkrieg 2003 nicht mehr. In der NSA-Affäre und dem Skandal um das Abhören von Merkels Handy offenbaren sich Differenzen, die das deutsch-amerikanische Verhältnis in seinen Grundfesten zu erschüttern scheinen.

Natürlich hat es auch früher schon Irritationen in den Beziehungen der beiden Länder gegeben. Doch etwas ist diesmal anders: die seltene Einigkeit zwischen Regierung und Opposition, zwischen Politikern und Bürgern in ihrer Empörung über den amerikanischen Partner, der selbst vor dem Ausspionieren befreundeter Regierungschefs nicht zurückschreckt.

Eine Empörung, die Eberhard Sandschneider ein wenig naiv findet. „Wer über etwas Realismus verfügt, der weiß, dass Geheimdienste abhören“, sagt der Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). „Die Amerikaner hatten nur das Pech, dass es bei ihnen rausgekommen ist. Das ist das Schlimmste, was einem Geheimdienst passieren kann.“ Auch bei Merkel sieht er eine gewisse Mitschuld: „Wenn die Kanzlerin in ihrem Job ein nicht geschütztes Handy benutzt, macht sie einen Fehler“, so der Politologe.

Vor allem aber zeige die deutsche Reaktion, dass hierzulande immer noch große Unkenntnis über die USA herrsche. Das sei umso erschreckender, als es unzählige Kontakte, Kooperationen und Austauschprogramme zwischen den beiden Ländern gebe.

„Viele Deutsche haben immer noch nicht begriffen, welch tiefes Trauma der 11. September bei den Amerikanern hinterlassen hat“, sagt Sandschneider. „Das Bewusstsein, dass wir einer gemeinsamen Bedrohung ausgesetzt sind, gibt es in Europa nicht mehr.“

Auch Rüdiger Lentz vom Aspen Institute Deutschland betont, wie unterschiedlich die Ausspähaktionen in den beiden Ländern gesehen werden. „In Amerika beurteilt man die Spionageaktivitäten der NSA sehr viel weniger kritisch. Das liegt auch an der unterschiedlichen Gewichtung der Privatsphäre im Vergleich zur Öffentlichkeit“, so der Journalist, der seit zwei Monaten Executive Director des Thinktanks mit Sitz in der Berliner Friedrichstraße ist. „Die Amerikaner gehen davon aus, dass die USA weltweit Spionage betreiben, um ihre Sicherheit zu garantieren. Dass dabei auch befreundete Nationen ausspioniert werden, wird hier entweder stillschweigend geduldet oder sogar aktiv unterstützt.“

Eine veritable Krise also, die von tiefer Entfremdung zeugt. Doch natürlich wissen beide Seiten: Dass sie lange dauert, können sich weder Deutschland noch die USA leisten – zu eng sind die Verflechtungen der Bündnispartner auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene. Und dann gibt es da ja noch das geplante Freihandelsabkommen. „Auf keinen Fall möchte man, dass die anstehenden Verhandlungen dadurch verzögert oder sogar gestoppt werden können“, erläutert Lentz.

Und so gilt es, die Scherben zusammenzukehren und verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.Keine leichte Aufgabe. Sie erfordert auf beiden Seiten viel Fingerspitzengefühl, ein fundiertes Wissen darum, wie der jeweils andere tickt, sowie die Bereitschaft, wirklich zuzuhören und sich einzufühlen in die Befindlichkeiten des anderen.

Doch ausgerechnet jetzt haben viele erfahrene Außenpolitiker, wie der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Ruprecht Polenz (CDU) und sein Stellvertreter Hans-Ulrich Klose (SPD), den Bundestag verlassen. Ein Riesenverlust, meint Nicole Renvert von der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen. „Politiker wie Klose und Polenz hatten ein feines Gespür für Außenpolitik. Solche Vollblut-Transatlantiker lassen sich nicht so einfach ersetzen.“

Das Ausscheiden von Klose und Polenz aus dem Parlament markiert eine Zäsur. Mit ihnen tritt die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegsgeneration ab, die den Einmarsch der Amerikaner, die Befreiung vom Nazi-Regime und den Wiederaufbau Westdeutschlands mithilfe der USA unmittelbar miterlebt hat und die sich den Vereinigten Staaten deshalb emotional tief verbunden fühlt.
Auch viele andere erfahrene Außenpolitiker wie Heidemarie Wieczorek-Zeul, Uta Zapf, Johannes Pflug oder Elke Hoff gehören dem Bundestag nicht mehr an; von „einer Art Aderlass“ spricht Eberhard Sandschneider.

An ihre Stelle treten Jüngere. Norbert Röttgen etwa, der Medienberichten zufolge den Vorsitz im prestigeträchtigen Auswärtigen Ausschuss in dieser Wahlperiode von Polenz übernehmen soll.
Von einer engen Verbindung des früheren Bundesumweltministers zu den Vereinigten Staaten ist wenig bekannt. Es bleibt abzuwarten, ob sich der 48-Jährige den transatlantischen Beziehungen ähnlich leidenschaftlich verschreiben wird, wie es etwa Polenz und Klose getan haben.
Überhaupt herrscht – unabhängig von der aktuellen Krise – bei vielen jüngeren Außenpolitikern mit Blick auf die USA Pragmatismus vor. Zwar sind sie oftmals als Schüler oder Studenten längere Zeit in den USA gewesen. Doch eine aus einer tiefen Dankbarkeit heraus entstandene Herzensangelegenheit wie bei Klose sind ihnen die Beziehungen zu den USA nicht mehr. So bringt der Generationenwechsel auf dem Gebiet der Außenpolitik auch einen Stilwechsel mit sich.

Umgekehrt sind auch die USA gegenüber Deutschland wesentlich nüchterner geworden – auch weil sich der Fokus der Vereinigten Staaten immer stärker auf Asien richtet. Nur noch wenige Kollegen in den Thinktanks in Washington beschäftigten sich mit deutschen Themen, beklagt Sandschneider – was zu der aktuellen Krise in den deutsch-amerikanischen Beziehungen mit Sicherheit beigetragen hat.

Keine leichten Zeiten also für die nachwachsenden Transatlantiker im Bundestag. Doch gibt es die überhaupt noch? Und wenn ja, wer zählt dazu? p&k hat sich in den Fraktionen umgehört.

 

 

CDU/CSU
Die Union hat traditionell sehr gute Beziehungen nach Washington. Dennoch reißt der Abgang von Ruprecht Polenz eine empfindliche Lücke in die Reihen der trans­atlantisch ausgerichteten Außenpolitiker der Fraktion.

Über einen guten Draht in die USA verfügt Andreas Schockenhoff, der für Außenpolitik zuständige Vize-Fraktionschef der Union. Seit dem Ausscheiden von Polenz ist der 56-Jährige gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Fraktionsarbeitsgruppe Auswärtiges, dem ebenfalls breit vernetzten Philipp Mißfelder, der ranghöchste Außenpolitiker in der CDU/CSU-Fraktion.

Mehrmals im Jahr reist der Vertraute von Fraktionschef Volker Kauder, der seit 2006 Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit ist, in die Vereinigten Staaten.
Als mit Blick auf die USA gut vernetzt und inhaltlich fundiert gilt auch sein Parteifreund Roderich Kiesewetter, der in Texas studiert hat und seit seinen Jahren als Oberst der Bundeswehr vielfältige NATO-Kontakte pflegt.

Zum Kreis der transatlantischen Zukunftshoffnungen gehören schließlich der 45-jährige CSU-Abgeordnete Thomas Silberhorn sowie sein CDU-Kollege Peter Beyer. Der 43-Jährige, der Berichterstatter seiner Fraktion für die Transatlantischen Beziehungen ist, hat als Anwalt in den USA Praxiserfahrung gesammelt und einen US-amerikanischen Master of Laws in der Tasche. Doch ist man sich in der Unionsfraktion bewusst, dass sich die jüngeren Trans­atlantiker erst entwickeln müssen.

SPD
Mit Hans-Ulrich Klose ist gewissermaßen der transatlantische Lotse der SPD-Fraktion von Bord gegangen. Dort hat sich laut dem frisch in den Bundestag gewählten Achim Post eine Vierertruppe zusammengeschlossen, um den Abgang zu kompensieren und auf Klose-Kurs zu bleiben.Neben Post, der seit vielen Jahren die Abteilung Internationale Politik beim SPD-Parteivorstand leitet, zählen zu ihr der außenpolitische Sprecher der Fraktion Rolf Mützenich, der 49-jährige Dietmar Nietan sowie der Hamburger Niels Annen.

Letzterer saß bereits von 2005 bis 2009 im Auswärtigen Ausschuss, musste sich aber bei der Kandidatenkür zur Bundestagswahl 2009 parteiintern einem Konkurrenten geschlagen geben und gehörte dem letzten Bundestag nicht mehr an. Nun ist er wieder da – mit einem deutlich gestärkten transatlantischen Profil.

Denn der 40-Jährige hat in den Jahren seiner Bundestagsabstinenz nicht nur einen Master in International Public Policy in Washington D.C. gemacht. Er war zudem 2010 Senior Transatlantic Fellow beim US-Thinktank German Marshall Fund in Washington und danach zwei Jahre lang wissenschaftlicher Mitarbeiter im Referat Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES).

Alle vier keine Jungspunde mehr – aber auch das ist typisch für die Außenpolitiker-Szene im Bundestag. Zum einen lassen sich jüngere Abgeordnete schnell von diesem Politikfeld abschrecken, weiß Eberhard Sandschneider von der DGAP, „weil sie die böse Erfahrung machen, dass sie in ihren Wahlkreisen abgestraft werden, wenn sie sich als Außenpolitiker engagieren“. Zum anderen tummeln sich im prestigeträchtigen Auswärtigen Ausschuss gern Polit-Größen zum Ende ihrer Karriere.

Grüne
Jürgen Trittin zum Beispiel. Der bisherige Fraktionschef der Grünen sucht nach dem Dämpfer bei der Bundestagswahl eine neue Aufgabe. Sehr wahrscheinlich, dass er sich auf die Außenpolitik verlegt – ein Feld, das er mag und auf dem er sich bereits früher als politischer Koordinator des für Außenpolitik zuständigen Arbeitskreises der Grünen-Fraktion versucht hat.

Als Außenpolitiker wird es der Niedersachse mit verdienten Fraktionskollegen wie Frithjof Schmidt und Marieluise Beck zu tun bekommen. Doch auch ein paar jüngere Grüne haben die Außen- und Sicherheitspolitik für sich entdeckt. Und anders als viele ihrer älteren Parteikollegen, die den USA oftmals mit einer gewissen Ambivalenz gegenüberstehen, haben sie zumeist ein unbelastetes und pragmatisches Verhältnis zu den Vereinigten Staaten.

Als gut vernetzt in der transatlantischen Szene gilt Cem Özdemir. Der heute 47-Jährige, der wegen der Flugmeilen-Affäre 2002 alle politischen Ämter niederlegte, ging danach für ein Jahr als Stipendiat des German Marshall Fund nach Washington und Brüssel.

Die Zeit in den USA soll dem Bundesvorsitzenden der Grünen, der seit der Bundestagswahl am 22. September wieder im Bundestag sitzt, geholfen haben, seine Karriere neu zu planen. Heute sitzt Özdemir unter anderem im Beirat der Atlantischen Initiative, ist Mitglied im American Jewish Committee und Transatlantic Fellow des German Marshall Fund.

Einer, dessen Name immer wieder fällt, wenn von den außenpolitischen Zukunftshoffnungen der Grünen die Rede ist, ist Omid Nouripour. Der 38-Jährige, der 2006 für Joschka Fischer über die Landesliste Hessen in den Bundestag nachrückte, hat sich im Parlament längst ein Standing als Sicherheitspolitiker erarbeitet.

Dem Sohn iranischer Eltern, der in der vergangenen Wahlperiode im Verteidigungsausschuss saß, werden schon seit Längerem außenpolitische Ambitionen nachgesagt. Und er hat einen guten Draht zum grünen Übervater Joschka Fischer, bekanntermaßen ein glühender Verfechter der transatlantischen Beziehungen.

Als Verteidigungspolitiker weiß Nouripour zudem um die immense Bedeutung der USA als Bündnispartner. Und er verfügt über ein gut ausgeprägtes Netzwerk dorthin. So ist er unter anderem Mitglied im Vorstand der Atlantik-Brücke und im Vorstand der Parlamentariergruppe USA im Bundestag – eine von insgesamt 54 Parlamentariergruppen, die sich der Pflege der Beziehungen des Bundestages zu den Parlamenten anderer Staaten widmen.

Die Linke
Einer von Nouripours Vorstandskollegen in der Parlamentariergruppe USA ist Stefan Liebich von der Linken. Bei den Reformern in seiner Fraktion gilt der 41-Jährige nicht nur mit Blick auf die transatlantischen Beziehungen als kommender Mann. Liebich, der am 22. September das Direktmandat in Berlin-Pankow gewann, saß bereits in der letzten Wahlperiode im Auswärtigen Ausschuss und wird ihm wohl auch diesmal wieder angehören.

„Schon aufgrund seines Alters hat er eine andere Sicht auf die transatlantischen Beziehungen als so manch anderer in der Fraktion“, lobt Dietmar Bartsch den jüngeren Kollegen, der im Sommer 2002 unter dem Eindruck der Terroranschlägen des 11. September erstmals die USA besuchte. „Das bedeutet überhaupt nicht, dass er den USA unkritisch gegenübersteht“, betont der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion. „Aber er sieht sie eben auch nicht als reinen Hort des Imperialismus. Und diese Sicht bringt er auch in die Fraktion ein.“

Schon in normalen Zeiten ist das keine einfache Aufgabe. Denn die Haltung der meisten Linken ist bekanntlich nicht gerade amerikafreundlich. Unter dem Eindruck der NSA-Spähaffäre dürfte sie nicht leichter geworden sein. Und so hat Liebich von allen „transatlantischen Hoffnungsträgern“ in den verschiedenen Bundestagsfraktionen den derzeit möglicherweise härtesten Job.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Team America – Die neuen Transatlantiker. Das Heft können Sie hier bestellen.