Rhetorikcheck: Gregor Gysi

Praxis

Das ZDF-Sommerinterview mit Gregor Gysi startet mit Bildern vom Brecht-Weigel-Haus am Schermützelsee, 50 Kilometer östlich von Berlin. Der Ort ist gut gewählt: Brechts bürgerliches Idyll für die Kritik am Kapital. Die Zuschauer dürfen gespannt sein auf ein Interview, das Anspruch und Wirklichkeit des Linken-Fraktionschefs unter die Lupe nimmt.

Walde eröffnet dann auch mit einem Brecht-Zitat: “Ein Mann, den Herr K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte Herr K. mit den Worten: Sie haben sich gar nicht verändert. Oh, sagte Herr K. und erbleichte. Erbleichen Sie oder haben Sie sich verändert seit Ihrem ersten ZDF-Sommerinterview (1999)?” Gysis Antwort: “Ich habe beachtlich an Qualität gewonnen!” Walde: “Das werden wir jetzt mal prüfen!”

Schlagabtausch, aber mit wenig Substanz

Gysi stellt zu Beginn drei Ziele der Politik der Linken heraus: gleiche Rente in West und Ost, eine Besserstellung von Frauenberufen und keine Rüstungsexporte in Spannungsgebiete. Walde unterbricht früh, will keine Parteitagsrhetorik und versucht Gysi am Spielaufbau zu hindern: “Warum haben Sie das nicht hinbekommen? Sie hatten doch lange genug Zeit?”

Gysi wehrt ab und gibt den Schwarzen Peter geschickt weiter: “Weil die SPD und die Grünen noch nicht bereit sind.” Walde bleibt am Ball: “Wenn Sie sagen, es gibt keine Wechselstimmung: Ist das nicht die Aufgabe der Oppositionspartei, die herzustellen?”

Gysi nutzt wieder eine Technik der Schlagfertigkeit, nämlich die der Neueinordnung: “Eine schwerwiegende Aufgabe ist das!” Doch Thomas Walde hat sich auf die Spielzüge seines Gegenübers gut vorbereitet und pariert: “Dann haben Sie Ihren Job nicht richtig gemacht!” Den Politiker Gysi mit seinen eigenen Ansprüchen zu konfrontieren, nach dem Erreichten zu fragen und Bilanz zu ziehen, das macht Walde im Sinne der Fernsehzuschauer richtig gut.

Doch so schnell lässt Gysi nicht locker: “Den habe ich doch ganz ordentlich gemacht! Ja, passen Sie auf. Das kann ich ja nicht alleine entscheiden. Da gehören die Medien dazu… Da gehören Kunst, Kultur, Wissenschaft dazu. Da gehören auch Situationen dazu. Und wissen Sie, es gibt bei uns eine Atmosphäre in der Gesellschaft, die ist komisch. Nach außen ist alles ganz ruhig und darunter brodelt es. Und zwar, weil es keine Maßstäbe mehr gibt. Man kann sich die Weltpolitik nicht erklären. Man kann sich den Islamischen Staat nicht erklären. Man versteht die Situation in der Ukraine nicht. Und da sage ich meiner Partei und auch den anderen Parteien: Jetzt müssen wir für eine Wechselstimmung streiten. Künstlich kann man das nicht erzeugen, aber eigentlich müssten wir das schaffen!”

Es gibt keine Maßstäbe mehr – wirklich?

Gysi trickst charmant, weicht elegant auf die Weltpolitik aus. Maßstäbe fehlen? Mag sein. Doch Politiker haben auch die Pflicht, uns unsere Maßstäbe vor Augen zu führen und sie neu zu definieren. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat das beispielsweise getan. Als es um die Frage ging, ob Deutschland die kurdischen Peschmerga durch Waffenlieferungen vor dem Terror des Islamischen Staates retten darf oder sogar retten muss. Katrin Göring-Eckardt (Grüne) bewies in einer Debatte zu unserer Verantwortung für Flüchtlinge Mut. Menschen, die auf der Flucht nach Europa sterben, seien auch unsere Toten. Es seien die Toten einer gescheiterten Abschottungspolitik, sagte sie im Bundestag. Göring-Eckardt richtete die Maßstäbe zur Beurteilung einer Situation an den Prinzipien der Menschlichkeit aus.

Walde versucht auch bei diesem Thema, Anspruch und Wirklichkeit der Politik der Linken zu prüfen: “Nach reiner linker Lehre dürfte die Bundewehr die Flüchtlinge im Mittelmeer gar nicht retten, weil sie ja gegen Auslandseinsätze sind. Das passt nicht zusammen!”

Gysi kontert mit einer geschlossenen Frage, um nun Walde wiederum Druck zu machen: “Haben Sie da Sätze von uns dagegen gehört? Nicht einen! Es ist ja kein anderes Land, es ist ja das Meer. Bei Lebensrettung haben wir uns nicht dazu geäußert, weil das etwas Sinnvolles ist!”

Thomas Walde befragt Gysi zur Annexion der Krim durch Russland: “Bei der gewaltsamen Besetzung der Krim haben viele Ihrer Parteikollegen dann gesagt, man müsse Realitäten anerkennen. Wie Russland da vorgeht, das ist jetzt so. Warum ist die Linke da bereit, etwas anzuerkennen, wenn sie sonst die reine Lehre immer so hoch hält?” Gysi: “Das stimmt ja überhaupt nicht. Ich habe von Anfang an gesagt, dass die Vereinnahmung der Krim völkerrechtswidrig war. Irgendwann werden wir es anerkennen müssen, weil Russland die Krim nicht wieder herausgeben wird. Irgendwann werden wir auch anerkennen müssen, dass der Kosovo nicht mehr zu Serbien gehört. Auch wenn es völkerrechtswidrig war. Das ist das Leben. Es gibt immer Veränderungen auf der Erde, die rechtswidrig zustande kommen und dann Bestand haben.” An dieser Stelle werden Gysis Maßstäbe für verantwortliches Handeln fragwürdig. Das Leben ist eben so? Das klingt ziemlich fatalistisch für den Mann, der nach der Bundestagswahl 2013 triumphierte.

Walde: “Um Ihre Positionen besser verstehen zu können: Können Sie uns mal sagen, “Demokratischer Sozialismus”, wo es ihn gegeben hat oder wo es ihn gibt? Wo ist ein praktisches Beispiel, dass man mal nachvollziehen kann, was Sie so vorhaben?” Gysis Antwort: “Na, das ist unsere große Schwäche. Ich habe kein praktisches Beispiel. Ein Zurück zum Staatssozialismus der DDR darf es überhaupt gar nicht geben. Was wir hier lernen müssen ist: Der Kapitalismus kann bestimmte Dinge, die müssen wir bewahren. Und bestimmte Dinge sind furchtbar, wie der Hungertot, die Kriege und andere Dinge und die müssen wir überwinden. Das meine ich mit demokratischem Sozialismus… Wir sind niemals dazu berechtigt, eine Mehrheit zu ihrem Glück zu zwingen. Großer Irrtum vieler Linker in der Geschichte!”

Fazit

Gysis große Stärke ist seine Schlagfertigkeit. Immer angstfrei, bisweilen charmant, manchmal rabulistisch, kann Gregor Gysi scheinbar zu jedem Thema reden. Seine schnellen, intelligenten Schachzüge beim Antworten – im Sommerinterview im Brechthaus in Buckow hat Thomas Walde sie herausgekitzelt, ohne sich aus dem Konzept bringen zu lassen. Gut waren die Fragen nach Anspruch und Wirklichkeit, nach Ideal und Realität auch und gerade bei Gregor Gysi. Denn rhetorische Schlagfertigkeit kann man lernen – politische Verantwortung zu übernehmen, das kann schon schwieriger sein.

Mimik, Gestik, Körpersprache:

Lebendiger Ausdruck:

Redeaufbau: