Rhetorikcheck: Cem Özdemir

Am dritten Jahrestag der Aufdeckung der NSU-Verbrechen herrscht im Deutschen Bundestag breiter Konsens: Schrecken und Anteilnahme; der Wille zum “Dranbleiben”, wie Eva Högl (SPD) es formuliert, eint die Abgeordneten. Der vierte Redner in der Debatte ist Cem Özdemir. Welche Akzente wird der Bundesvorsitzende der Grünen setzen?

Mit der Kraft des Wortes

“Gestern vor drei Jahren kamen Ermittlungsbehörden den NSU-Mördern auf die Spur… Sie konnten mehr als ein Jahrzehnt unbehelligt durch Deutschland ziehen und morden, Angst und Schrecken verbreiten, Familien ins Unglück stürzen. Ich stehe mit vielen Familien der Opfer in Kontakt und für Sie ist jede geschredderte Akte, jede mit Geheimschutz begründete Aktenschwärzung, jeder verhinderte Zeuge ein weiterer Stich ins Herz der Opferangehörigen, immer wieder und immer wieder aufs Neue!”

Cem Özdemir trifft sofort den richtigen Ton. Er führt sein Publikum auf den Pfad einer Wirklichkeit, die kaum jemand in unserem Land für vorstellbar hielt und die durch den Staat nicht verhindert werden konnte.

Aus seiner Sicht scheint sein nächster Gedanke nur konsequent: “In letzter Zeit frage ich mich immer häufiger: Leistet sich eigentlich die Politik einen Nachrichtendienst und einen entsprechenden Apparat, um Gefahren zu erkennen und abzuwehren oder haben wir es hier mittlerweile mit einem gefährlichen Eigenleben der Nachrichtendienste zu tun?” Özdemirs Arme gehen hoch, geben seinen Worten Nachdruck. Das emotionale Moment der Anteilnahme für die Opfer wird geschickt genutzt und die Ermittlungsbehörden werden nebenbei ein wenig dämonisiert. Wer fragt, der führt – manchmal verführt er auch.

Doch Cem Özdemir fragt nicht nur rhetorisch, sondern auch direkt: “Was es nicht gibt, dass die Verantwortlichen irgendwo und irgendwann auch mal zur Rechenschaft gezogen werden. Sicher, einige Behördenchefs, die mussten gehen. Aber, was ist eigentlich mit dem Apparat selbst? Steht der Apparat vielleicht außerhalb der Gesetze, Herr de Maizière? Wo sind denn die strafrechtlichen Ermittlungen, wo gibt’s denn ein Disziplinarverfahren?” An dieser Stelle wird es doch ganz still auf der Regierungsbank und de Maizière fasst sich an die Nase.

Haben die Ermittlungsbehörden ihre Lektion gelernt?

Für Özdemir ist das ungenügend. “Ich finde, wir stehen drei Jahre, nachdem das aufgedeckt wurde da, dass wir mehr Fragen als Antworten haben!” Weitere Täter und Mittäter könnten hinzukommen.

Daher rührt Özdemirs berechtigte Ermahnung am Ende seiner Rede: “Wenn wir erwarten, dass wir das Vertrauen der Opfer zurückgewinnen, dann wird das nicht geschehen, wenn wir nur hier… reden, sondern das nächste Mal sagen können: Was ist tatsächlich geschehen? Wer war‘s und welche Konsequenzen werden daraus gezogen?”

Fazit: Cem Özdemirs beherzte Rede trifft den Kern einer Gesellschaft, die sich zu lange nicht als Einwanderungsland begriffen und ihr Verhältnis zu den Zuwanderern nicht geklärt hat. Da mag es erlaubt, ja notwendig sein, zwei Dinge zusammen zu bringen: die schrecklichen Morde und das Versagen der Behörden. Auch wenn das Wort “Apparat” eher literarisch überhöht klingen mag, Özdemir fordert einen Verfassungsschutz, der Gefahren rechtzeitig erkennt und seine Bürger auch beschützen kann. Aufrichtig, mutig und mit angemessenem Pathos – danke!

Mimik, Gestik, Körpersprache:

Lebendiger Ausdruck:

Redeaufbau: