Braucht Deutschland die Fünf-Prozent-Hürde?

Pro und Kontra

Pro
von Katrin Göring-Eckardt

[no-lexicon]Ein Wahlrecht, bei dem faktisch fast die Hälfte der Stimmen verloren geht und das weite Gruppen von Wählern von der politischen Mitbestimmung ausschließt, ist undemokratisch. Die Rede ist allerdings nicht von Sperrklauseln, sondern vom Mehrheitswahlrecht. Wer Sperrklauseln kritisiert, sollte Folgendes bedenken: Sogar ein Wahlrecht, bei dem ein Kandidat mit lediglich 20 Prozent der Stimmen gewählt werden kann, solange sich 80 Prozent der Stimmen auf mehrere unterlegene Mitbewerber verteilen, wäre verfassungsrechtlich erlaubt. Das Prinzip „the Winner takes it all“ ist mit dem Grundgesetz vereinbar, sagt auch das Bundesverfassungsgericht.

Die jetzige Kombination von Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht bildet eine große Meinungsvielfalt in unserem Land ab. Große Partizipation geht mit der Gefahr einher, dass Mehrheiten schwerer zu bilden sind. Kleinstparteien können über Koalitionsverträge einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf die Regierungsbildung erlangen. Die Weimarer Republik hatte, Italien und Israel haben Probleme, stabile Regierungen hervorzubringen. Um Zersplitterung und damit Verzerrungen des Wahlergebnisses zu vermeiden, hat der Gesetzgeber mit der Fünf-Prozent-Hürde eine ebenso harte wie einfache Spielregel aufgestellt. Die Grünen mussten sich 1990, die Linke 2002 und die FDP 2013 die unangenehme Frage nach ihrer gesamtgesellschaftlichen Relevanz gefallen lassen, als sie die Hürde rissen. Eine Aufgabe von Parteien ist es aber, die unendliche Meinungsvielfalt in einer Gesellschaft zu kanalisieren und Minderheitenpositionen mehrheitsfähig zu machen.

Würde jede Minderheit ihren Platz im Parlament finden, bliebe als einzig stabile Regierungsform die Große Koalition. Mehr Chancengleichheit bei gleichzeitig stabilen Regierungen gäbe aber ein anderes Projekt: die Einführung von Volksbegehren und Volksabstimmungen auf Bundesebene. Dann würden die Wähler auch jenseits von Bundestagswahlen einen spürbaren Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen.[/no-lexicon]

Kontra
von Bernd Riexinger

[no-lexicon]Durch das Grundgesetz ist die Gleichheit der Wahl garantiert. In der Praxis aber hebelt die vom Bundesverfassungsgericht für konform erklärte Sperrklausel diesen Grundsatz millionenfach aus. Folgerichtig fordert die Linke deshalb den völligen Verzicht auf diese demokratische Hürde. Zu einer freien Wahl, bei der die Gleichheit der Stimmen garantiert ist, gehört es, sich für eine Partei entscheiden zu können, ohne Angst zu haben, dass die abgegebene Stimme wegen einer Sperrklausel für ungültig erklärt wird.

Wie drängend dieses Problem ist, zeigt das Ergebnis der vergangenen Bundestagswahl: 15 Prozent oder knapp sieben Millionen Stimmen sind an der Sperrklausel abgeprallt, weil der Souverän sich für Parteien außerhalb der Etablierten entschieden hat. Ein solcher Zustand ist völlig inakzeptabel, weil demokratiefeindlich. Wer Sperrklauseln dennoch will, bejaht Frustration bei den Wählern.

Befürworter der Sperrklausel argumentieren gerne mit der politischen Stabilität, die ein aus wenigen Parteien bestehendes Parlament garantiere. Die vermeintliche Funktionsfähigkeit des Parlaments – die sich im Sinne der regierenden Parteien primär auf ungestörtes, wenn auch nicht immer gutes Regieren beschränkt – ist aber kein akzeptabler Grund, die garantierten Grundsätze der freien und gleichen Wahl dauerhaft auszuhebeln. Politische Normalität wäre erreicht, wenn sich nicht die Wähler nach der vermeintlichen Arbeitsfähigkeit des Parlaments richten müssten, sondern die parlamentarischen Vertreter nach dem Willen des politischen Souveräns, den Wählern. Denn Demokratie muss nicht immer einfach, aber gerecht sein.

Dass es auch anders geht, hat das Verfassungsgericht mit seiner Entscheidung gezeigt, die Drei-Prozent-Hürde bei den Europawahlen zu kippen, weil die Chancengleichheit beschränkt war. Dies kann aus Sicht der Linken aber nur ein erster Schritt auf dem Weg zu freien und gleichen Wahlen ohne Restriktionen auch in Deutschland sein.[/no-lexicon]

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Lobbying Forte. Das Heft können Sie hier bestellen.