Pragmatischer Taktiker

Wenn es um das Spitzenpersonal der Grünen geht, fallen vielen Beobachtern oft erst andere Namen ein. Vielleicht liegt es daran, dass Reinhard Bütikofer nicht so laut und eindringlich wirkt. Er hat seine eigenen Stärken. „Die Welt“ beschrieb ihn einmal als „listigen Buddha der Grünen“. Bütikofer hat seine Partei stark geprägt. Und tut es weiter. Als Bütikofer am 26. Januar 1953 in Mannheim geboren wird, gibt es die Grünen noch nicht. Mutter Dora ist Hausfrau, Vater Ernst Postbeamter. Nach dem Abitur 1971 in Speyer beginnt Bütikofer in Heidelberg Philosophie, Geschichte und Sinologie zu studieren. Es hätte so weitergehen können.

Spielräume ausloten

Doch es ist ein turbulentes Jahrzehnt: Bundeskanzler Willy Brandt tritt zurück, der Vietnamkrieg sorgt für heftige Diskussionen und die RAF terrorisiert Deutschland. Bütikofers Weg wird politischer, er wird aktiv beim Kommunistischen Bund Westdeutschland.  Sein Studium hingegen wird „nach zwei Jahren durch den Zivildienst unterbrochen und blieb ohne Abschluss“, notiert der Munzinger. 1980 gründet sich eine neue Partei: die Grünen. Bütikofer ist 27 Jahre alt. Und schnell mit dabei. 1984 zieht er in den Heidelberger Stadtrat ein, wird Fraktionschef. Er macht einen entschlossenen und zugleich taktischen Eindruck, lotet Spielräume aus. Viele Jahre später gab er zu Protokoll: „Ich erinnere mich … an meine ersten ganz vorsichtigen Versuche, ob man auch mal mit den Schwarzen was im Gemeinderat gemeinsam abstimmen kann“ – was manchmal auch geklappt haben soll. Der pragmatische Politikstil bleibt ein Markenzeichen Bütikofers. Auch, als er 1988 für die Grünen in den Stuttgarter Landtag gewählt wird. Er macht sich als finanz- und haushaltspolitischer Sprecher einen Namen und wird über die Parteigrenze hinweg respektiert. 1996 beendet Bütikofer seine Landtagsarbeit und legt ein Familienjahr ein.

Bald ist er zurück. Mit Monika Schnaitmann bildet er den Landesvorsitz der Südwest-Grünen. Und übernimmt 1998 auf Bundesebene einen Schlüsselposten: Mit 45 Jahren wird Bütikofer zum Bundesgeschäftsführer gewählt. Für ihn ein Erfolg. Auch weil die Grünen nach der Bundestagswahl im September erstmals eine rot-grüne Bundesregierung stellten.
Doch Bütikofer übernimmt die Aufgabe in schwerer Zeit. Im Frühjahr hatten die Grünen auf dem Magdeburger Parteitag eine Erhöhung des Benzinpreises auf fünf DM pro Liter beschlossen. Bütikofer und andere sind dagegen, können sich aber nicht durchsetzen. „Es war eine der größten Pleiten und hätte uns fast das Genick gebrochen“, erinnerte er sich später.
Ein anderer Beschluss des Parteitags macht den Grünen ebenso zu schaffen und dürfte das Verhältnis zwischen Bütikofer und Joschka Fischer merklich abgekühlt haben. Es geht um die Unterstützung für den Einsatz der Bundeswehr auf dem Balkan. Doch der Antrag scheitert am Widerstand der Basis. „Große Katastrophe für die Parteitagsregie“, erinnerte sich Bütikofer später, „und Fischer machte dann mich dafür verantwortlich“.

Doch die Arbeit geht weiter. Bütikofers moderierender Stil hilft, die Parteiflügel während der Regierungszeit einzubinden und den Kompromiss zum Atomausstieg auszuhandeln. Zehn Jahre hält sich Bütikofer ganz vorne: erst als Bundesgeschäftsführer, dann als Ko-Bundesvorsitzender. 2008 will er nicht mehr, gibt den Vorstandsposten auf und kündigt seine Kandidatur für das Europaparlament (EP) an. Seit 2009 sitzt der heute 60-Jährige nun als Sprecher der Europagruppe der deutschen Grünen im EP, seit 2012 ist er Ko-Vorsitzender der Europäischen Grünen Partei. Aus den Schlagzeilen in Deutschland ist er weitgehend verschwunden. Doch hinter den Kulissen, da mischt er vernehmbar weiter mit.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Die Wahl ist noch nicht gelaufen. Das Heft können Sie hier bestellen.