„Politiker sind nicht faul“

p&k: Herr Blome, nach der Lektüre Ihres Buchs stellt man sich die Frage: Wie lange bleiben Sie noch bei der „Bild-Zeitung“?
Nikolaus Blome: (lacht) Hoffentlich noch sehr lange!

Wenn man „Bild“-Schlagzeilen liest wie „Diätenerhöhung – Riesenwut auf Politiker“, könnte man denken: Da stehen Sie mit Ihrem Buch absolut quer zu.
Aber nein. Bei den letzten Diätenerhöhungen war die Meinung der „Bild-Zeitung“ ganz klar. Wir haben gesagt: Okay, erhöht euch die Diäten, aber tut etwas am Pensionssystem, das in der Tat allzu üppig ist. Wenn wir die Politiker kritisiert haben, dann dafür, dass diese zudem versprochene Reform bei den Pensionsregelungen sehr halbherzig ausfiel – nicht aber dafür, dass die Diäten steigen sollen.

Es erscheint dennoch ungewöhnlich, dass ein führender „Bild“-Journalist eine Lanze für die Politiker bricht.
Da können wir gleich mit dem nächsten Vorurteil aufräumen: Die „Bild-Zeitung“  hat sich in den letzten Jahren am Politiker-Dauerbashing nicht beteiligt. Was wir machen, ist die manchmal auch große Darstellung sorgfältig recherchierter Einzelfälle, zum Beispiel mit der Schlagzeile „Deutschlands faulster Politiker“.

Was ist falsch an dem Bild, das die Deutschen von ihren Politikern haben?
Es besteht vorwiegend aus Vorurteilen. Politiker sind nicht faul, Politiker sind auch nicht durch die Bank unfähig. Man kann sich sehr wohl über die Politik streiten, die sie machen. Aber selbst wenn man zu der Meinung kommt, dies oder jenes war schlechte Politik, heißt das noch lange nicht, dass die Leute, die sie machen, auch schlechte Menschen sind. Korrupt, machtbesessen, egoman, eitel … das alles sind mitunter wirklich schräge und obskure Vorurteile, die davon ablenken, worüber man eigentlich diskutieren sollte – nämlich: Anhand welcher Kriterien wollen wir Politik beurteilen, und was kommt dabei heraus?

Gab es ein Schlüsselerlebnis, das Sie dazu bewegt hat, dieses Buch zu schreiben?
Wir haben mal in einem Kreis von Kollegen zusammengesessen und uns gefragt: Würden wir eigentlich selber Politiker werden wollen? Antwort: Kaum einer würde auch nur auf den Gedanken kommen. Warum? Weil man sich sozialer Ächtung und letztlich auch einer umfassenden Kontrolle durch die Öffentlichkeit aussetzt. Letztere muss sein, aber der Preis, den Politiker persönlich dafür zahlen, ist hoch. Und daraus entwickelte sich die Überlegung: Kann man eigentlich ein paar von den Vorurteilen – oder sogar alle – in der Sache widerlegen? Kann man ein bisschen Polemik gegen die Polemik machen und dabei den Politikern Fairness widerfahren lassen? Und siehe da, man kann.

In Ihrem Buch schreiben Sie auch, dass es nicht die Schuld der Journalisten ist, dass die Leute so ein schlechtes Bild von den Politikern haben. Aber wo haben sie dieses Bild denn dann her?
Das Bild entsteht in den Köpfen. Richtig ist, dass das, woraus am Ende Vorurteile werden, zum überwiegenden Teil aus der Presse stammt. Aber Sie müssen sich die Frage einmal genau andersherum stellen. Noch einmal das Beispiel mit dem faulsten Politiker. Es gab für die Medien zwei Möglichkeiten, sich zu verhalten: Wir machen die Geschichte und laufen Gefahr, dass daraus ein Vorurteil gegen alle, nicht nur gegen diesen einzelnen, geschmiedet wird. Oder: Wir verschweigen den Fall, damit das bloß nicht passiert. Die zweite Variante scheidet aus, wenn die Presse ihre Aufgabe ernst nimmt.

Die Frage ist auch, wie groß man die Geschichte bringt …
Meinen Sie, dass es einen Unterschied macht, ob wir die Geschichte mit einer kleinen oder mit einer großen Überschrift machen? Ich glaube nicht.

Vielleicht schon, gerade, wenn man es als Titelgeschichte macht, ist die Aufmerksamkeit doch viel größer.
Wir kommen in der freiheitlich verfassten Medienlandschaft auf sehr dünnes Eis, wenn wir sagen, dass wir aus übergeordneten Gründen bestimmte Geschichten unterdrücken. Oder deutlich kleiner bringen, als sie sein sollten.

Franz Müntefering hat Ihr Buch vorgestellt. Warum gerade er – ist er für Sie das Musterbeispiel des redlichen Politikers?
Eine ganze Reihe der sachpolitischen Positionen von Franz Müntefering teile ich nicht, aber er hat Anfang des Jahres einen sehr grundsätzlichen, klugen und ehrlichen Text in der „Zeit“ geschrieben. Das war mehrere Monate nach seinem Rückzug aus der ersten Reihe der Politik. Er antwortete mit diesem Text auf sehr viele Zuschriften, die sinngemäß meistens wohl so lauteten: „Schade, dass Sie weg sind, Herr Müntefering.“ Zweiter Satz: „Seien Sie doch froh, dass Sie den Dreck los sind.“ Sein Text gipfelte in dem Fazit: Die Politikverdrossenen sind an ihrer Verdrossenheit mehr schuld als die Politik selbst. Das ist die Grundmelodie auch meines Buchs.

Der Bundestagspräsident hat Ihr Buch in der „Süddeutschen Zeitung“ sehr freundlich besprochen. Werden Sie womöglich noch zum Liebling aller Politiker?
Das glaube ich nun wirklich nicht. Ich habe das Buch nicht aus schlechtem Gewissen geschrieben oder wegen irgendwelcher journalistischer Schandtaten, die ich wieder gut zu machen hätte. Das Buch ist eine Art Streitschrift für ein bisschen Fairness und ein bisschen gute Laune. Dass das Politikern gefällt, macht mir nichts aus.

Sie betonen ja, dass das Buch keine der bei Journalisten „schwer in Mode gekommenen Abrechnungen mit der eigenen Zunft“ ist. Finden sie diese Abrechnungen übertrieben?
In manchen Punkten ja. Das politische Berlin ist ein sehr spezielles Biotop, das ist wahr. Aber zum Beispiel die sehr heftige Selbstkritik an der Nähe zwischen Journalisten und Politikern wundert mich. Da fällt mir nur die Frage ein: Wie, wenn nicht aus der Nähe, soll ich über Politiker berichten, deren Entscheidungen Millionen von Menschen betreffen oder Milliarden von Euro bewegen? Die Nähe per se zu diffamieren, ist widersinnig.

Sie gehen in Ihrem Buch auch auf den Parteienrechtler Hans-Herbert von Arnim ein, der die Parteien sehr stark kritisiert. Das deutsche Parteiensystem hat seiner Meinung nach Demokratiedefizite. Muss man die Parteien auch in Schutz nehmen?
Ja. In Maßen zumindest. Die Parteien stellen den zentralen Mechanismus zur Auswahl und Rekrutierung von Nachwuchs für die Politik. Herr von Arnim ergeht sich in Angstbildern und behauptet sogar, Deutschland sei gar keine Demokratie mehr. Das richtet sich selbst.

Welche Rolle hat Plato-Geschäftsführer Sebastian Fischer-Jung bei dem Buch gespielt? Ihm danken Sie im Nachwort besonders, und man gewinnt den Eindruck, das Buch sei schon fast ein gemeinsames Projekt.
Sebastian Fischer-Jung hat das Buch mit großer Fachmannschaft und viel Engagement an genau den Verlag vermittelt, an den es gehört, den wjs verlag, in dessen Programm es perfekt passt, wie ich finde.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Verhandeln – Die vernachlässigte Kunst. Das Heft können Sie hier bestellen.