Politiker ohne Mandat

Rezension

Politische “Alphajournalisten” missbrauchen ihren publizistischen Einfluss, um selbst Politik zu machen. Sie verlassen ihre Rolle, sachlich über das öffentliche Geschehen zu informieren. In ihrer “destruktiven Selbst­überschätzung” entscheiden sie über das Wohl und Wehe der Politik und politischen Akteure, bleiben dabei aber selbst unbelangbar. Diese These stellt der Essay “Die Unbelangbaren” des Politikwissenschaftlers Thomas Meyer auf, der bereits mehrfach zum komplexen Verhältnis von Politik und Medien publiziert hat. In dem Bändchen findet sich manche instruktive Beobachtung, zum Beispiel zum Paradox der Mediendemokratie. Politische Prozesse verlaufen in der Regel über lange Zeiträume mit einer Vielzahl von Akteuren, Normen und Interessen. Mediale Politikvermittlung dagegen lebt oft von der Echtzeit-Fixierung, Simplifizierung und Personalisierung. Diesen Graben zu überwinden, fällt vielen Berichterstattern regelmäßig schwer.

Oder das bekannte Phänomen, dass Journalisten nicht zögern, härteste Kritik am Politikbetrieb zu äußern, als Branche aber eine gewisse Immunität gegen Selbstkritik zeigen. Meyer führt dafür historische Gründe an: Der politische Journalismus sei im Emanzipationskampf des liberalen Bürgertums die “Speerspitze der Bewegung gegen die autoritäre Obrigkeit” gewesen.

Meyers These gehört auf den Prüfstand

Warum aber erscheint dieses Buch gerade jetzt? Die Aussage, Journalisten erlägen der Versuchung, Politik mitzugestalten, ohne dafür demokratisch legitimiert zu sein, ist ja nicht neu. Der Autor stützt sich vor allem auf Beobachtungen aus dem Bundestagswahlkampf 2013. Die “Zeit” schrieb danach, in Zeiten der Großen Koalition müssten alle Journalisten Oppositionelle sein. Auch die aktuelle “Lügenpresse”-Debatte scheint auf.

Meyers These gehört aber im Zeitalter des Internets mehr denn je auf den Prüfstand. Verfügen “die Medien” wirklich noch über ein “unangreifbares Monopol”? Wie passt das zusammen mit dem allseits beschriebenen Verlust der Gatekeeper-Funktion der Journalisten? Einbrechende Werbeeinnahmen, Konzentrationsprozesse und Marktbereinigungen sowie die durch die Digitalisierung gewandelten Produktionsbedingungen machen auch vor den “Alphapublizisten” nicht Halt. Ob sich daraus aber wachsender politischer Einfluss ableiten lässt?

Richtig ist, dass in den vergangenen Jahren zunehmendes Herdenverhalten und Eskalierungsdruck in den Medien zu beobachten sind. Und auch im Netz stammen die meisten relevanten Inhalte von den großen Medienmarken. Meyer sieht die demokratischen Hoffnungen in das Internet vorerst als enttäuscht an. Das Netz ermöglicht jedoch in viel stärkerem Maß, journalistische Bericht­erstattung zu kontrollieren und zu kritisieren. Soziale Netzwerke und politische Blogs haben das Konzert der Meinungen deutlich vielstimmiger gemacht. Wirkliche Gefahr für unsere “Medien­demokratie” erwächst ganz sicher weniger aus überschießendem Ehrgeiz von Edelfedern, als vielmehr aus Versuchen von Putins Trollen, die öffentliche Kommunikation zu zersetzen.