"Politik ist keine Einbahnstraße mehr"

p&k: Herr Altmaier, im Mai 2012 wurden Sie überraschend zum Bundesumweltminister berufen. Vorher hatten Sie mit diesem Ressort nicht viel am Hut. Bei wem haben Sie sich anfangs Rat geholt?
Peter Altmaier: Ich habe mich eigentlich immer sehr für Umweltschutz interessiert – insofern war die Herausforderung nicht ganz so neu. Gerade anfangs habe ich viel mit dem früheren Umweltminister Klaus Töpfer gesprochen – und natürlich mit Vertretern von Umwelt- und Naturschutzverbänden.

Sie sind ein gutes halbes Jahr im Amt. Was mögen Sie daran und was nervt Sie?
Was ich mag, ist die Chance, ein politisches Projekt gestalten zu können. Denn die Energiewende gehört zu den größten wirtschafts- und umweltpolitischen Herausforderungen seit dem Wiederaufbau.
Ein Aspekt, an den ich mich noch gewöhnen muss, ist die Tatsache, dass ein sehr großer Teil meiner Zeit verplant ist. Das hängt aber auch mit dem riesigen Interesse zusammen, auf das die Energiewende in der Öffentlichkeit stößt.

Als Umweltminister stehen Sie vor der Herausforderung, die Energiewende erfolgreich zu meistern. In Ihrem vorherigen Job als Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion haben Sie genau das Gegenteil gemacht und eine Mehrheit für längere Laufzeiten der Atomkraftwerke geschmiedet. Können Sie den Vorwurf verstehen, dass Sie immer nur das machen, was Angela Merkel will?
Nein. Es ist nun einmal Aufgabe des Parlamentarischen Geschäftsführers, Mehrheiten für seine Koalition zu organisieren. Ich war nie ein ideologischer Befürworter oder Gegner der Kernenergie. Allerdings ist mir unmittelbar nach der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 klar geworden, dass ein gesellschaftlicher Konsens zugunsten der Kernenergie nicht mehr möglich war, weshalb der Atomausstieg die einzig richtige Entscheidung war. Von der Notwendigkeit der Energiewende war ich im Übrigen schon vor dem Ausstiegsbeschluss überzeugt. Die Energiewende bezieht sich ja nur zu einem Teil auf die Laufzeiten von Kernkraftwerken. Es geht vor allem darum, die Energieversorgung vom CO2-Ausstoß auf erneuerbare Energien ohne CO2-Ausstoß umzustellen.

Als Mitglied der Pizza-Connection sind Sie durchaus grün angehaucht. Wie sehr freuen Sie die momentanen Gerüchte über eine schwarz-grüne Koalition?
Diese Gerüchte entbehren aus meiner Sicht jeder Grundlage. Wir werden in diesen Wahlkampf mit einer klaren bürgerlichen Perspektive gehen. Die Grünen haben sich eindeutig für eine Koalition mit der SPD ausgesprochen. Damit ist die Ausgangslage im Wahlkampf klar.

Würde aber nicht manches mit einem grünen Koalitionspartner besser laufen, gerade beim Thema Energiewende?
Nein. Ein Hauptproblem der Grünen besteht darin, dass sie sich in den letzten sieben Jahren politisch nicht weiterentwickelt haben. Außerdem sind sie nicht bereit, Entscheidungen zu treffen, die unpopulär, aber notwendig sind, wenn wir bestimmte strukturelle Probleme in unserem Land lösen wollen.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Die Grünen waren etwa in Fragen der Sozialpolitik Ende der neunziger Jahre wesentlich aufgeschlossener und reformbereiter, als sie das heute sind. Und was die Energiewende betrifft, sind sie sehr einseitig fixiert auf den Ausbau der erneuerbaren Energien. Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass man den Kostenanstieg bei den Strompreisen vernünftig begrenzen muss, wenn die gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende gewahrt werden soll.

Unsere Leser kennen Sie nicht nur als Umweltminister, sondern auch als eifrigen Twitterer. Wann bringen Sie denn Angela Merkel das Twittern bei?
(lacht) Nun, Regierungssprecher Steffen Seibert ist ja sehr erfolgreich auf Twitter aktiv. Ich denke, das ist eine gute Lösung. Und im Übrigen bin ich zum Twittern gekommen, noch bevor ich Minister wurde. Ich habe mich allerdings entschieden, weiter zu twittern – auch wenn ich heute nicht mehr ganz so viel Zeit dafür habe. Aber alles, was von meinem persönlichen Account kommt, ist nach wie vor von mir.

Könnten Sie die Zeit, die Sie aufs Twittern verwenden, nicht besser für die Gestaltung der Energiewende nutzen?
Das sehe ich anders. Viele glauben ja, Twitter sei Zeitvergeudung. Wer so denkt, hat einfach nicht verstanden, dass sich durch das Web 2.0 die Bedingungen für die politische Kommunikation noch stärker verändert haben als durch den Mobilfunk oder die Erfindung des Internets vor 20 Jahren. Das gilt gerade auch für den Bereich der Umweltpolitik.

Wieso?
Weil die meisten Menschen, die mit Umweltschutz zu tun haben, heute einen Twitter-Account haben. Das gilt nicht nur für den Präsidenten des Bundesumweltamtes oder die Vorsitzenden wichtiger Umweltverbände, sondern auch für Energieversorger und Stadtwerke. Sie alle beginnen zu begreifen, dass ihnen dieses Medium interaktive Kommunikationsmöglichkeiten bietet, die es vorher nicht gegeben hat.

Was heißt das konkret für Ihre Arbeit als Minister?
Nun, wenn ich zum Beispiel eine E-Mail zum Thema Energiewende beantworte, dann ist diese Antwort im Normalfall nur für eine Person bestimmt. Wenn ich hingegen einen Tweet beantworte, der an mich gerichtet ist, dann können den 29.000 Follower in Echtzeit zur Kenntnis nehmen. Und sie können meine Antwort weiter verbreiten, sodass ich unter Umständen innerhalb weniger Stunden über 100.000 Menschen erreiche.

Warum sind Sie eigentlich nicht in ähnlicher Form auf Facebook aktiv? Dort würden Sie wahrscheinlich noch mehr Menschen ansprechen können.
Das liegt vor allem daran, dass ich ein großer Freund des geschriebenen Wortes bin. Und deshalb fühle ich mich auf Twitter sehr wohl, weil es ein Medium ist, auf dem man vor allem schriftlich und nicht visuell kommuniziert. Facebook hingegen ist sehr viel stärker visuell ausgerichtet. Das ist aber keine Kritik an dem Medium – Facebook ist für die politische Kommunikation genauso unverzichtbar.

Wann haben Sie erkannt, welche Bedeutung das Web 2.0 für die politische Kommunikation hat?
Klar geworden ist mir das mit dem rasanten Aufstieg der Piratenpartei. Er hat gezeigt, dass sich die materiellen Voraussetzungen von Demokratie verändert haben. Demokratie ist keine Einbahnstraße mehr. Heutzutage kann sich der Einzelne aktiv an der Diskussion beteiligen. Man braucht dazu weder Fernsehen noch Zeitung. Soziale Medien funktionieren nach den Bedingungen der Evolutionstheorie. Das heißt, gute Aussagen und originelle Sprüche verbreiten sich schneller als langweilige Parolen und Propaganda.

Nicht nur Ihr Umgang mit dem Web 2.0, auch Ihre Fähigkeit zur Selbstironie unterscheidet Sie von manchem Ihrer Politikerkollegen. Tut die Politik gut daran, sich manchmal nicht ganz so ernst zu nehmen?
Das tut uns sicher allen gut. Wir Deutschen gelten ja manchmal als bierernst. An meinen englischen Kollegen ist mir aufgefallen, dass sie in viel größerem Maße zur Selbstironie bereit sind. Und genau das kann dazu beitragen, politische Debatten in anderer Weise zu führen. Man muss die Leute schlichtweg dazu bekommen, zuzuhören. Das ist die größte Herausforderung der politischen Kommunikation.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Wann bringen Sie Angela Merkel das Twittern bei, Herr Altmaier? – Fragen an den Politiker des Jahres. Das Heft können Sie hier bestellen.