Party außer Kontrolle

I’m counting“ steht auf den Ansteckern der „Tea Party“ und darunter die Anzahl der Tage bis zur Wahl. Der in den Nationalfarben Blau, Rot, Weiß gehaltene Countdown ist mehr als ein Ausdruck der Vorfreude auf die Zwischenwahlen im November. Die Aktivisten verleihen damit auch ihrer Entschlossenheit Ausdruck, „to make their vote count“. Sie zählen die Tage, bis ihre Stimme wieder etwas zählt.
Traditionell sind die Zwischenwahlen ein Gradmesser für die Zufriedenheit mit der Arbeit des US-Präsidenten. Das gilt auch für Barack Obama. Mit seinem Mantra des Wandels und der Hoffnung hat er große Erwartungen geweckt. Gesundheitsreform, Konjunkturpaket und seine Haltung im Streit um den Bau einer Moschee am Ground Zero haben seine Popularitätswerte jedoch sinken lassen. Weniger als 50 Prozent der Wähler hatten im September noch ein positives Bild ihres Präsidenten.
Kein Zweifel: Die „Tea Party“ wird den Ausgang der Wahlen beeinflussen. Seit Wochen schon schaffen es die Aktivisten, den Unmut der Wähler über Obamas Gesundheitsreform, die wachsende Staatsverschuldung und die politische Kaste in Washington für sich zu nutzen. Mit wachsendem Erfolg.
Schreiben politische Beobachter heute über die „Tea Party“, ist ihr Tenor ein anderer als vor wenigen Wochen. Da waren sich die Polit-Strategen einig, dass die „Tea Party“ keine Bewegung sei, sondern lediglich eine geschickt gesteuerte Kampagne der Republikaner.

Schmerzhafte Niederlagen

Noch Anfang des Jahres, nachdem Obama seine Pläne für eine Gesundheitsreform vorgestellt hatte, wirkte die „Tea Party“ nicht wie eine basisdemokratische Unmutsäußerung. Zu plötzlich waren die „Tea Party Patriots“ auf Facebook aufgetaucht, zu professionell ging zeitgleich das „Hot Tea Radio“ auf Sendung, zu groß schien der Aufwand für 850 „Tax Day Tea Parties“, die Mitte April im ganzen Land stattfanden. Beobachter sahen in ihr das Vehikel der Republikaner, Obama eine schallende politische Ohrfeige zu verpassen.
Fakt ist: Die „Tea Party“ hat ihre Gegner mit ihrem Erfolg überrascht. Gänzlich neu ist ein solches Protestbündnis in den USA jedoch nicht. 1994 gelang es Newt Gingrich, dem damaligen republikanischen Fraktionsführer im Repräsentantenhaus, mit seinem Manifest „Contract with America“, die langjährige Herrschaft der Demokraten im Kongress zu beenden. Der Triumph der Republikaner soll sich nun nach Wunsch der Parteistrategen mit Hilfe der „Tea Party“ wiederholen.
Dass die Demokraten die „Tea-Party“-Aktivisten ernst nehmen müssen, zeigte sich im Februar in Massachusetts. Dank der Hilfe der „Tea Party“ konnte der politische Quereinsteiger Scott Brown den Senatssitz im demokratisch geprägten Staat übernehmen. Für Obama eine schwere Niederlage: Seine Partei verlor ihre 60-Stimmen-Mehrheit im Senat, mit der der Präsident wichtige Gesetzesvorhaben verabschieden konnte. Schmerzhafte Kompromisse im Kampf um die Gesundheitsreform waren die Folge.
Chris Cook, langjähriger politischer Kommentator in Washington, schätzt die Zwischenwahlen als zweischneidiges Schwert für die Republikaner ein. „Die gute Nachricht für die Partei ist: Sie wird die Wahlen gewinnen. Die schlechte Nachricht: Es geht dabei gar nicht um sie.“ Grund dafür: Bei den Wahlen stehen die Inhalte der Republikaner im Hintergrund. Das zeigen jüngste Umfragen des TV-Senders CBS und der Tageszeitung „New York Times“.
Deshalb soll die „Tea Party“ helfen, am 2. November konservative Wähler zu mobilisieren. Politisch nahe steht sie den Republikanern zweifelsohne. Die überwiegende Anzahl der rund 120.000 registrierten Aktivisten ist stramm konservativ. An vielen Stellen gibt es personelle und finanzielle Verknüpfungen. Sarah Palin, John McCains Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten im Wahlkampf 2008, gilt als ihre Galionsfigur. Die informelle Dachorganisation der über sechzig Untergruppen, die Stiftung „Freedom Works“, leitet der ehemalige Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Dick ­Armey.

Mittleres politisches Erdbeben

Doch je näher die Wahlen rücken, desto vehementer entzieht sich die „Tea Party“ den Umarmungsversuchen der republikanischen Partei. Der Washingtoner Berater Donald E. Foley verweist auf die politisch bewegten 70er Jahre in den USA, wenn es um die Emanzipationsversuche der „Tea Party“ geht: „Man kann eine Bewegung nicht auf Knopfdruck starten oder dann wieder stoppen.”
Wie stark die konservative Bewegung mittlerweile geworden ist, zeigte sich bei den jüngsten Vorwahlen, bei denen die Parteikandidaten für die eigentlichen Wahlen im November gekürt wurden. Die Erfolge zweier „Tea-Party“-Kandidaten über etablierte republikanische Amtsinhaber waren ein mittleres politisches Erdbeben. Der Sieg des Palin-Verbündeten Joe Miller in Alaska ist zwar schmerzhaft für den Parteichef der Republikaner, Michael Steele, – er dürfte ihn aber verkraften. Alaska wählt so stabil republikanisch, dass die Partei in den Hauptwahlen nicht um den Sitz bangen muss. Anders sieht das im liberaleren Delaware aus. Hier hat die „Tea-Party“-Kandidatin Christine O’Donell den moderaten Abgeordneten  Michael N. Castle besiegt. O’Donell gilt aufgrund ihrer teils extremen Positionen als nicht vermittelbar für breitere ­Wählerschichten.
Die Demokraten sehen in dieser Entwicklung eine Chance. Haben sie jüngst noch die „Tea Party“ als Kampagne der Republikaner kritisiert, drehen sie den Spieß jetzt um. Die republikanische Partei sei fest im Griff der rechtskonservativen Aktivisten, behaupten sie. Die so geschürte Furcht vor einem Rechtsruck im Kongress soll helfen, die Obama-Anhänger aus dem Jahr 2008 erneut an die Wahlurnen zu bringen.
So nutzte Obama seine Rede zum „Labor Day“ Anfang September, um vor einer Rückkehr zur konservativen Agenda Newt Gingrichs zu warnen. Und Ex-Präsident Bill Clinton zog sogar Parallelen zwischen der kritischen Haltung vieler Aktivisten gegenüber der Zentralregierung und dem Gedankengut des Oklahoma-Attentäters Timothy McVeigh. Die „Tea Party“ sah sich in der Defensive und war gezwungen, mit Videos zu kontern.
Foley jedoch räumt den Demokraten nur geringe Chancen ein, die Bruchlandung im November mit dieser Strategie abfedern zu können. Zu groß sei der Unmut über die schlechte wirtschaftliche Lage. Sein Fazit: Den Republikanern wird ihr Triumph am 2. November nicht zu nehmen sein.
Aber, gibt er zu bedenken: „Der Wandel, den die Konservativen so lautstark fordern, wird in den kommenden zwei Jahren noch nicht zu sehen sein. Die, die jetzt unter dem Banner der ‚Tea Party‘ marschieren, stehen 2012 teilweise wieder zur Wahl. Und dann werden sie Schwierigkeiten bekommen.“

Die Demokraten hoffen

Rund ein Jahr vorher dürfte sich bereits entscheiden, mit welchen Chancen die Republikaner in die Präsidentschaftswahl 2012 gehen. Dann nämlich muss die Suche nach dem Herausforderer für Obama abgeschlossen sein. Ob die Partei dabei an Newt Gingrichs Erfolg im Jahr 1994 denken wird? Sie sollte es. Denn der Rechtsruck, den die neuen Abgeordneten in der Partei auslösten, half den Demokraten, sich als moderate Kraft der Mitte zu positionieren. Clinton konnte seinen Herausforderer Bob Dole zwei Jahre später mit großer Mehrheit schlagen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Lass uns Freunde sein. Das Heft können Sie hier bestellen.