Ohne Durchblick

In den Büros der Berliner Kommunikationsagenturen herrscht dicke Luft. Dort, wo es normalerweise darum geht, diplomatische Antworten auf kritische Fragen zu finden, hat sich Frust angestaut. Grund dafür: der aktuelle Kampf um die oft millionenschweren Kommunikationsetats der Bundesministerien. Denn viele Agenturvertreter sind der Meinung, dass die Vergabepraxis in jüngster Zeit komplizierter und ungerechter geworden ist. Im Gespräch mit Branchenvertretern fallen Formulierungen wie „völliger Irrsinn“, „absurder Aufwand“ und „große Ungerechtigkeit“. Was genau steckt hinter den Vorwürfen?
„In letzter Zeit sind unsere Aufgaben bei Ausschreibungen noch schwieriger, da komplexer und umfangreicher geworden“, sagt Gregor Blach, Geschäftsführer der Agentur We-do. Für Blach nicht nur die Folge einer steigenden Anzahl konkurrierender Teilnehmer, sondern auch die zur Routine gewordene Praxis, für geleistete Arbeit nicht bezahlt zu werden. Es geht dabei um die sogenannten Pitches, also die Wettbewerbspräsentation der Agenturen. „Ein Team arbeitet dafür teils wochenlang an einer Bewerbung. Ohne Pitch-Honorar bleibt die Agentur auf diesen enormen Kosten sitzen“, sagt Blach. Und fügt an: „Es kann dabei schnell um die Größenordnung eines Mittelklassewagens gehen.“

Ähnlich, aber nie gleich

Nach dem Krisenjahr 2009, in dem viele Dienstleister laut dem Branchenverband Gesellschaft Public Relations Agenturen (GPRA) mit Umsatzeinbußen zu kämpfen hatten, sind ausbleibende Pitch-Honorare für die PR-Berater ein besonderes Ärgernis – jedoch nicht das einzige.
Für Axel Wallrabenstein, Managing Partner bei Publicis Consultants Deutschland, ist vor allem der „riesige Verwaltungsaufwand“ bei jeder Ausschreibung Grund dafür, warum sich viele Agenturen über die deutsche Vergabepraxis beschweren. „Viele Teilnehmer fallen bereits durch das Raster, wenn sie ihr Angebot einreichen.“ Formfehler wie veraltete Nachweise könnten dazu führen, dass ein erfolgversprechendes Konzept abgelehnt wird. Wallrabenstein: „So gewinnen nicht die kreativsten Agenturen, sondern die, die sich am besten in Verwaltungsfragen auskennen.“ Dass die Ministerien ähnliche, aber in wesentlichen Details unterschiedliche Forderungskataloge hätten, erschwere die Arbeit zusätzlich.
Wallrabenstein und Blach fordern ein einfacheres Verfahren, wissen aber, dass den Mitarbeitern in den Presse- und Öffentlichkeitsstellen der Ministerien die Hände gebunden sind. Denn betragen die Auftragskosten mehr als 137.000 Euro, muss eine Bundesbehörde ihr Vorhaben europaweit ausschreiben. So will es die Europäische Union. Die Folgen: Formularberge – und unnötig hohe Kosten für Auftraggeber und -nehmer.
Gleichzeitig führt das komplizierte Verfahren auch zu Spekulationen über mögliche parteipolitische Hintergründe bei einigen Etatvergaben. So wunderten sich einige Agenturchefs, als das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA) seinen Kommunikationsetat an die Agentur Meta-Design vergab. Schließlich hatte sich Meta-Design in der Vergangenheit auf Produkt-Design und den Aufbau von Marken konzentriert – nicht aber auf politische Kommunikation. Bei dem prestigeträchtigen BPA-Etat sind Diskussionen vorprogrammiert; aber auch bei anderen Ausschreibungen zweifeln viele Agenturvertreter mittlerweile an objektiven Entscheidungen. Ganz nach dem Grundsatz: Wer lange genug nach Fehlern in den Pitch-Bewerbungen sucht, der findet sie auch.  

Es geht um viel Geld

Ein verändertes Vergaberecht könnte das ändern. Dabei ist mangelnde Transparenz nicht die einzige Schwäche des aktuellen Verfahrens: Ende 2008 veröffentliche das Bundeswirtschaftsministerium eine Studie, in der es die Kosten der öffentlichen Vergabeverfahren in Deutschland auf rund 19 Milliarden Euro einschätzt; davon tragen rund 10 Milliarden Euro die Unternehmen, der Rest fällt auf Seiten der öffentlichen Auftraggeber an. Das Ministerium geht in der Studie davon aus, dass sich die Kosten durch neue Richtlinien um bis zu 20 Prozent reduzieren ließen.
Niedrigere Kosten während eines Vergabeverfahrens: Ein Ziel, das auch bei der GPRA auf der Agenda steht. Der Verband setzt dabei vor allem auf die sogenannte Präqualifizierung (PQ). Seit Ende 2009 können Unternehmen aus dem Liefer- und Dienstleistungsbereich, zu letzterem gehören Agenturen, einmalig alle Unterlagen, die bei einer Bewerbung notwendig sind, bei einer zentralen Stelle einreichen und eine Art Gütesiegel erwerben. Der Vorteil des „Agentur-TÜVs“: Auftraggeber können während des Ausschreibungsverfahrens auf die Daten der „PQ-Stellen“, meist die örtlichen Industrie- und Handelskammern, zugreifen, Auftragnehmer reichen bei der Angebotsabgabe nur noch das entsprechende Zertifikat ein. Für Agenturen bedeutet das: weniger Aufwand und die Gewissheit, nicht mehr wegen Formfehlern von einem Pitch ausgeschlossen zu werden.
Für die GPRA kümmert sich Christina Marx, Managing Director bei der Düsseldorfer PR-Agentur Crossrelations, um die Präqualifizierung. „Das neue Zertifikat spart nicht nur Zeit und Geld, es sorgt auch für einen professionelleren Umgang zwischen Auftraggeber und -nehmer“, sagt sie. „In Ministerien und Kanzleien sind oft Mitarbeiter für die Angebote zuständig, die wenig von kommunikativen Inhalten verstehen; für sie zählt eine sichere Ausschreibung.“ Marx, deren Firma seit März dieses Jahres präqualifiziert ist, weiß jedoch, dass es noch viel Überzeugungsarbeit bedarf, um das neue System bekannt zu machen. „Hilfreich wäre, wenn ein Ministerium die Präqualifizierung akzeptieren würde; bislang ist diese noch in keiner Leistungsbeschreibung enthalten.“
Dominik Grobien weiß, warum das so ist. Der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit im Bundesfinanzministerium sagt: „Bei einer solchen Ausschreibung geht es um Geld – um Steuergeld. Für die Ministerien ist es deshalb wichtig, eine gerechte und formell korrekte Ausschreibung durchzuführen und den optimalen Dienstleister zu finden.“ Es müsse klar sein, dass eine Agentur solide genug ist, einen solch großen Kunden mit seinen Aufgaben zu stemmen. „Was bringt mir da ein Zertifikat, das ein Jahr alt ist?“ Grobien, der bis Mai dieses Jahres geschäftsführender Gesellschafter bei der Agentur Common Works war, ist sich bewusst, dass auf Agenturen bei jeder Ausschreibung viel Bürokratie zukommt. Trotzdem sei der Aufwand notwendig. „Im Vergaberecht gibt es feste Regeln, die wir übernehmen müssen, damit keine Ungleichheit aufkommt.“

Am Nasenring durch die Manege

Die Agenturen fordern Reformen, das Ministerium setzt auf den Status quo. Aber was können beide Seiten unternehmen, um das Vertrauen wiederherzustellen? Für die GPRA-Beauftragte Christina Marx ist das oft ausbleibende Pitch-Honorar die „größte Ungerechtigkeit“. Sie fordert die Auftraggeber dazu auf, weniger Agenturen zur Ausschreibungsteilnahme einzuladen, diese für ihre Leistungen aber auch angemessen zu entschädigen. Vertritt Dominik Grobien vom Bundesfinanzministerium beim Thema „Agentur-TÜV“ eine andere Meinung als Marx, so kann er ihr bei diesem Appell zustimmen. „Klar ist, dass wir sorgsam mit Arbeitsplätzen und Arbeitszeit umgehen müssen.“ Und auch Grobien sagt, dass es wenig Sinn mache, zehn Agenturen zur Präsentation einzuladen. „Eine im Vorfeld gezielt ausgewählte kleine Anzahl von präsentierenden Teilnehmern führt am Ende zu einem besseren Ergebnis.“
Während das Vergaberecht bei vielen PR-Beratern Frust hervorruft, versuchen andere Profit daraus zu schlagen. Mittlerweile haben sich in Deutschland mehrere Dienstleister etabliert, die Auftraggeber und -nehmer bei der Pitch-Vorbereitung unterstützen. Agenturen beraten Agenturen: Ein Weg, mehr Verständnis bei allen Beteiligten herzustellen.
Gregor Blach, der Geschäftsführer von We-do, dagegen, würde sich bereits über aussagekräftigere Absagen aus den Ministerien freuen. „Es ist schon ärgerlich, wenn wir nach wochenlanger Arbeit lediglich eine zweizeilige Absage per E-Mail bekommen.“ So bliebe vor allem ein Gefühl zurück: „Als ob man am Nasenring durch die Manege gezogen wird.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Schlechte Gesetze – dank Lobby, Hektik und Symbolpolitik. Das Heft können Sie hier bestellen.