Mit Künstlicher Intelligenz zum Zwei-­Prozent-Ziel

KI

Künstliche Intelligenz (KI) wird die 2020er-Jahre prägen: Immer mehr KI-Anwendungen verändern Abläufe und Strukturen in Wirtschaft und Gesellschaft. Der Umgang mit KI wird daher auf der politischen Agenda bleiben, sodass es sinnvoll ist, die Strategien laufend zu evaluieren und bei Bedarf anzupassen. Hinsichtlich der deutschen Förderstrategie ist es hilfreich, die KI-Förderstrategien weiterer Staaten in den Blick zu nehmen. Welche Schwerpunkte setzen andere Staaten mit vergleichbaren Ambitionen wie Deutschland? Wie haben sich diese KI-Förderstrategien weiterentwickelt? 

Grundsätzlich unterscheiden sich die Strategien aufgrund unterschiedlicher Ausgangslagen und existierender Fördersysteme: Die Strategien Frankreichs und Deutschlands sind wirtschafts-, werte- und forschungsgetrieben, wobei Frankreich auch einen Fokus auf die militärische KI-Forschung setzt. Die USA haben dagegen einen forschungs- und verteidigungspolitischen Schwerpunkt. Insgesamt konzentrieren Deutschland und Frankreich sich darauf, starke Wirtschaftszweige dazu zu befähigen, KI gewinnbringend einzusetzen.

Grundsätzlich sind die Voraussetzungen für Deutschland und Europa gut und die Schwerpunkte erscheinen angesichts der existierenden Stärken – wie einer starken verarbeitenden Industrie – folgerichtig. Es ergibt wenig Sinn, in jedem Sektor den teilweise vorhandenen KI-Forschungsrückstand hinsichtlich China und die USA aufzuholen. Der relativ strenge Datenschutz und die größere Sensibilität hinsichtlich der Verwendung von Daten durch den Staat innerhalb der EU können grundsätzlich eine Hürde bei der KI-Entwicklung und -Anwendung sein.

Abwanderung von Unternehmen und Experten droht

Um – wie insbesondere in der KI-Strategie Frankreichs beschrieben – diesen scheinbaren Wettbewerbsnachteil zu einem -vorteil zu entwickeln und  bei der Entwicklung einer “ethischen KI” eine führende Rolle einzunehmen, müssen zunächst die existierenden Regeln innerhalb der EU besser durchgesetzt werden. Ansonsten haben Unternehmen aus Drittstaaten einen Wettbewerbsvorteil und es besteht ein Anreiz für europäische Unternehmen und KI-Experten, in die USA zu wechseln, die mit größeren Freiheiten und viel Geld winken. Kritisch zu beurteilen sind Vorstöße wie die automatisierte Gesichtserkennung in Deutschland oder die geplante Steuerfahndung mithilfe eines automatisierten Abgleichs in sozialen Netzwerken in Frankreich, da sie unter Umständen gegen Grundrechte verstoßen.

Der bedeutendste Unterschied zwischen den KI-Strategien der Staaten ist, dass die Bundesregierung die verteidigungspolitische Relevanz in den zwölf definierten Feldern für die Anwendung von KI ausklammert und bei der Gesamtbudgetierung das Verteidigungsministerium keine Rolle spielt. In den USA und Frankreich haben die KI-Strategien einen deutlich stärkeren Fokus auf die Förderung militärischer KI-Anwendungen. Die USA investieren mehrere Milliarden US-Dollar nur in die militärische KI-Forschung des Pen­tagons. Frankreich arbeitet am ARTEMIS-Projekt, mit dem die Verarbeitung von Big Data und die Entwicklung von KI sowie anderer Innovationen vorangetrieben wird. In Deutschland existiert bislang nur ein Positionspapier des Amts für Heeresentwicklung, das unabhängig von der Strategie der Bundesregierung zu sehen ist. 

Militärische Forschung spielt in Deutschland keine Rolle

In Deutschland ist die Debatte also kaum über die Erstellung von Positionspapieren hinausgekommen, wohingegen in anderen Staaten seit Jahren Millionen Euro, Dollar und Yen in die militärische KI-Forschung fließen. Dies hat sicherlich mit dem unterschiedlichen Selbstverständnis der Staaten zu tun: Die USA und Frankreich sehen sich jeweils als führende Militärmacht, während sich Deutschland stärker als Zivilmacht versteht.

Kein deutscher ­Terminator
Wenn an militärische KI-Forschung gedacht wird, drängt sich schnell ein dystopisches Szenario mit skrupellosen Kampfrobotern und -drohnen auf. Hier existiert – zu Recht – ein gesellschaftlicher Konsens, solche letalen autonomen Waffensysteme (LAWS) auch in Zukunft zu ächten. Das betont auch die Bundeswehr in einem Positionspapier. Dort wird daher vor allem die Unterstützung und Weiterentwicklung existierender Systeme mithilfe von KI aufgeführt, insbesondere in der Aufklärung (zum Beispiel automatisierte Bildanalyse, autonome Drohnen) sowie bei der Entscheidungsunterstützung (zum Beispiel Berechnung von Erfolgs­wahrscheinlichkeiten verschiedener Handlungsoptionen). (c) picture alliance/Zoonar/Stefan Ziese

Die Fähigkeit, große Datenmengen auswerten zu können und nutzbar zu machen, wird allerdings für die Gefahrenabwehr unabdingbar sein. Dennoch besteht für Deutschland hier eher eine Chance als eine Schwäche: Ein stärkerer Fokus der Bundeswehr auf KI und die Zusammenarbeit mit zivilen Forschungseinrichtungen, die sich intensiv mit KI beschäftigen, stärkt mittel- bis langfristig die militärische Rolle Deutschlands. 

Die relevanten KI-Anwendungen existieren insbesondere in der Aufklärung oder der Entscheidungsfindung im Einsatz und sind daher insbesondere beim derzeitigen Fokus der Bundeswehr auf Auslandseinsätze relevant. Durch eine vergleichsweise gute KI-Forschungslandschaft in Deutschland können leicht Ressourcen der KI-Forschung auch für militärische KI-Forschung eingesetzt werden, von der letztlich auch die zivile KI-Forschung und Unternehmen in Deutschland profitieren.

Auch zivile Projekte profitieren

Vorbild könnte das ARTEMIS-Projekt Frankreichs sein, mit dem der militärische Nachrichtendienst beziehungsweise das Militär insgesamt befähigt werden soll, Big Data zu verarbeiten. Umgesetzt wird das Projekt von einem Konsortium aus privaten und staatlichen Institutionen. Dazu wird eine Infrastruktur aus Hochleistungsrechnern aufgebaut. Konkrete Ziele der Initiative sind ein effizienter Wissensaustausch, die bessere Überwachung des Gesundheitszustands der Soldaten, die vorausschauende Wartung der Ausrüstung und eine effizientere Nutzung strategischer und taktischer Informationen. 

Ein derartiges Projekt würde sich auch in Deutschland mittel- und langfristig auszahlen. Die Fähigkeit, mit großen Datenmengen umzugehen, stärkt Deutschlands Position im Machtgefüge der Nato und mindert die technologische Abhängigkeit von den USA. Nicht zuletzt zählen die Investitionen in die KI-Forschung zu den militärischen Gesamtausgaben. Das gäbe Deutschland die willkommene Gelegenheit, sich dem umstrittenen NATO-Ziel zu nähern, zwei Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung in das Militär zu investieren. Die USA fordern seit Jahrzehnten mit zunehmender Dringlichkeit, dass Deutschland dieser Selbstverpflichtung endlich nachkommt. 

Kritiker warnen davor, die Sicherheitsausgaben zu steigern, indem überflüssige, teure Waffen angeschafft werden, die dem Einsatzprofil der Bundeswehr gar nicht entsprechen. Eine Steigerung des Wehretats durch höhere Investitionen in die militärische KI-Forschung schaffen dagegen ein Spezialwissen, von dem letztlich auch zivile Projekte profi­tieren.

Insgesamt sollte die KI-Strategie der Bundesregierung eine Erweiterung auf verteidigungspolitische Aspekte allein deshalb erwägen, weil andere Staaten sich stark auf militärische KI-Forschung fokussieren. Angesichts der Debatte um die Erreichung des Zwei-Prozent-Ziels der NATO und einer Anhebung des Budgets des Verteidigungsministeriums erscheint es sinnvoll, die Ressourcen in KI und entsprechende Aufklärungskapazitäten zu investieren. Die Bildung eines Konsortiums entsprechend des französischen Vorbilds hätte den Vorteil, nicht in dauerhafte Konkurrenz bei der Nachfrage nach KI-Fachkräften mit privaten Unternehmen zu geraten. Im Gegenteil: Durch die Investition in solch ein Konsortium wird das Know-how der Privatwirtschaft gesteigert.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 132 – Thema: Warten auf grünes Licht. Das Heft können Sie hier bestellen.