Like mich, Politiker!

Preisfrage: Was haben Philip Murphy, Alexander Dobrindt, Frank-Walter Steinmeier und Cem Özdemir gemeinsam? Antwort: Sie alle lächeln auf der Webpräsenz der „Facebook-Botschaft Berlin“. So nennt sich das seit kurzem bestehende Berliner Büro des mit weltweit über 900 Millionen Mitgliedern größten Sozialen Netzwerks im Internet. Neben den prominenten Politikern ist meist ein gut gelaunter Mann mittleren Alters zu sehen – sein Name: Gunnar Bender. Der 41-Jährige ist seit April dieses Jahres „Director Public Policy“ von Facebook in Deutschland. „Wir wollen über Chancen und Risiken von Social Media aufklären“, so beschreibt der Cheflobbyist seine Kernaufgabe und die seiner Kollegin Eva-Maria Kirschsieper, die sich bereits seit März vorigen Jahres um die politische Interessenvertretung in Deutschland kümmert. Die Berliner Facebook-Repräsentanz ist ein zirka 20 Quadratmeter großes, eher bescheiden anmutendes Büro am Pariser Platz in Berlin-Mitte. Doch nicht die Räumlichkeiten sind entscheidend – sondern die Lage: Aus dem Fenster blickt man auf das Brandenburger Tor und wichtige diplomatische Vertretungen. „Die Nähe zu den Botschaftsgebäuden ist bewusst gewählt“, so Bender, „wir verstehen uns als Botschafter für Soziale Medien in Berlin.“

Raus aus der Nische

Ein richtiger Zeitpunkt. Denn das Internet ist längst ein alle Ebenen der Gesellschaft durchziehender Wirtschaftsfaktor. „Die Relevanz der Sozialen Netzwerke im politischen Raum ist derzeit herausragend. Die Unternehmen haben erkannt, dass die Geschäftsentwicklung zunehmend davon abhängig ist, wie man sich politisch Gehör verschafft“, sagt Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom). Der Verband gilt als mächtiges Sprachrohr der IT-Branche. Er vertritt mehr als 1700 Unternehmen – darunter alle großen Player wie die Telekom, SAP oder Microsoft –, die nach Bitkom-Angaben 135 Milliarden Euro Umsatz im Jahr erwirtschaften und Hightech im Wert von 50 Milliarden Euro exportieren. Solche Zahlen beeindrucken auch das Bundeswirtschaftsministerium. Um auf dem Laufenden zu bleiben, richten dieses und der Bitkom seit 2006 jährlich den Nationalen IT-Gipfel aus.
Auch Wolfram Sauer, seit Februar Public Policy Manager bei Deutschlands größtem Berufsnetzwerk Xing, bemerkt diesen reger gewordenen Austausch mit der Politik: „Netzpolitik ist viel bedeutender geworden, sie ist mittlerweile kein Nischenthema mehr, sondern ein Querschnittsthema, das viele Politikbereiche betrifft.“ Seine Aufgabe sehe der 38-Jährige, der zuvor Koordinator für Netzpolitik und Internetkommunikation bei der FDP-Bundestagsfraktion war, in erster Linie darin, mit der Politik ins Gespräch zu kommen und ein Bewusstsein für die Bedeutung Sozialer Medien zu schaffen.
Vor allem dem Kurznachrichtendienst Twitter kommt eine herausragende Bedeutung zu, da dort viele Politiker miteinander kommunizieren. Peter Altmaier, frisch gebackener Bundesumweltminister, gilt als Twitter-König des Parlaments. Und wenn schon ein CDU-Mann im neuen Zeitalter der 140-Zeichen-Nachrichten so verwurzelt ist, dann sind die Sozialen Netzwerke wirklich in der Berliner Republik angekommen. Schließlich tut es auch die Regierung ganz offiziell: Regierungssprecher Steffen Seibert posaunt schon lange über den Kurznachrichtendienst in die Republik. Folgerichtig gab auch Twitter selbst kürzlich bekannt, seine Deutschland-Zentrale in Berlin anzusiedeln. Deutschland-Chef wird Rowan Barnett, der bisher das Community-Management und Social Media bei „Bild.de“ leitete. Stehen wir also kurz vor der nächsten Kommunikationsrevolution? Heißt es statt Bild, BamS und Glotze bald nur noch: Zum Regieren brauche ich Twitter, Facebook und einen RSS-Kanal?
Welch hohen Stellenwert netzpolitische Themen inzwischen besitzen, hat in jüngster Vergangenheit am eindrucksvollsten der kometenhafte Aufstieg der Piratenpartei im deutschen Parteiensystem gezeigt. Die Piraten, die heute in vier Landesparlamenten vertreten sind, stehen wie keine andere Partei für die Generation der „Digital Natives“, der Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist. Doch auch die etablierten Parteien stärken seit geraumer Zeit ihre Netzkompetenz: „D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt“ heißt ein im Dezember 2011 gegründeter SPD-naher Verein und mit „CNetz“ hat auch die Union seit April dieses Jahres eine Lobbygruppe für Netzpolitik.
Im Deutschen Bundestag ist Netzpolitik ebenfalls angekommen: Seit 2010 diskutieren in der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ Abgeordnete aller Fraktionen über netzpolitische Themen.
Einer davon ist Jimmy Schulz von der FDP. Für ihn sei es folgerichtig, dass der Austausch zwischen Politik und IT-Unternehmen in letzter Zeit stärker werde. Gerade was Facebook anbetreffe, sei es schwierig gewesen, dass die Politiker keinen Ansprechpartner in Deutschland hatten. Die Tatsache, dass Facebook erst in jüngster Zeit bei der politischen Interessenvertretung aktiver wird und beispielsweise der kalifornische Kult-Konzern Apple laut Schulz „in Berlin wenig macht“, erklärt sich der 43-Jährige auch mit der US-amerikanischen Mentalität: „Amerikanische Unternehmen fällt es schwer, den deutschen Markt und die deutsche Mentalität zu verstehen.“ Diesen Eindruck kann Schulz’ Kollege Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, bestätigen: „Amerikanische IT-Unternehmen wie Facebook und Google lernen unser politisches System jetzt erst kennen und verstehen, dass der Dialog in Deutschland sehr wichtig ist.“

Lobbying per Mausklick

Die Personalie Bender wird daher von Kennern der Berliner Politikszene als Indiz dafür gewertet, dass Facebook verstanden hat, wie wichtig dieser Dialog mit Politik und Gesellschaft für die Außendarstellung eines Unternehmens in Deutschland ist. Denn der Jurist Bender ist im politischen Betrieb der Hauptstadt bestens vernetzt – und das im wahrsten Sinne des Wortes: Der nach eigenen Worten „erste Internet-Lobbyist Deutschlands“ ist ein Urgestein der digitalen Lobbybranche. Er arbeitete vor seinem Wechsel zu Facebook für Bertelsmann, AOL, Time Warner und zuletzt E-Plus. Dort lotste er den Begriff „Digital Public Affairs“ in den Diskurs. Im Unterschied zur klassischen Public-Affairs-Arbeit will diese noch recht junge Disziplin, die ihre Ursprünge unter anderem in Obamas Präsidentschaftswahlkampf von 2008 hat, die Öffentlichkeit stärker in die politische Kommunikation miteinbeziehen. Geschehen soll dies in erster Linie über Soziale Medien wie unternehmenseigene Blogs, Twitter, Youtube oder eben Facebook. „Wer als Interessenvertreter in Zukunft nicht versteht, wie die Sozialen Medien funktionieren, kann seinen Job an den Nagel hängen“, sagt Bender. Seiner Ansicht nach bedeute dies auch, dass Lobbying im 21. Jahrhundert transparenter sein müsse als bisher. Zusammen mit seinem Team wolle er ein „transparentes Office“ vorleben und dies – wie sollte es anders sein – auf der Facebook-Präsenz des Berliner Büros auch dokumentieren.
Ob darin wirklich eine genuin neue Form des Lobbyings – ein „Lobbyismus 2.0“ – zu erkennen ist, ist noch unklar. „Bei Digital Public Affairs handelt es sich oft um digitale PR-Arbeit, die harte Lobbyarbeit findet weniger im Internet statt“, sagt Axel Wallrabenstein, Chairman der MSL-Group in Deutschland und Experte für Digitalkommunikation. Allerdings stellt der 48-Jährige auch fest, dass Internetunternehmen wie Facebook, Google und Microsoft im Gegensatz zu anderen Unternehmen, bei denen Digital Public Affairs noch in den Kinderschuhen stecke, verstärkt über Soziale Medien kommunizierten. Dies sei ein klares Zeichen für einen Sinneswandel in der Public Affairs. Die Botschaft wird häufiger über die Öffentlichkeit an die Politik getragen, als noch in der Bonner Republik. Beispiele hierfür sind die Blogs „Google Collaboratory“ und „Microsoft Digital Policy Europe“, in denen über aktuelle netzpolitische Herausforderungen diskutiert wird.

Die D-Frage

Der große Knackpunkt ist das Thema Datenschutz. Die kulturellen Unterschiede sind hier zwischen Deutschland und den USA, der Heimat fast aller IT-Giganten, enorm: „Die Sensibilität des Themas Datenschutz ist in den USA nicht so hoch wie in Deutschland“, sagt Lars Klingbeil, der selbst zweimal im Jahr zu Gesprächen mit Vertretern aus der IT-Branche in den USA weilt. Wie empfindlich die Deutschen hier wirklich sind, hat das kalifornische Internetunternehmen Google vor zwei Jahren schmerzlich erfahren. Damals setzte eine hitzige Debatte über den virtuellen Straßendienst „Street View“ ein, bei der viele Politiker den Schutz der Privatsphäre gefährdet sahen. „Google wurde in Deutschland von der Politik und den Medien ziemlich hart angegangen, viel mehr, als in jedem anderen freien Land der Welt“, sagt der US-amerikanische Journalist und Medienwissenschaftler Jeff Jarvis. Der 57-Jährige gilt als Apologet des Internets. In seinem 2009 erschienen Buch „Was würde Google tun?“ preist der New Yorker Professor die Strategien des Suchmaschinengiganten – und die grenzenlose Transparenz des Netzes. Wie Jarvis berichtet, bereitete Deutschland aufgrund seines Datenschutzverständnisses Google lange Zeit mehr Bauchgrimmen als jedes andere Land. Eine Tatsache, die Markus Beckedahl, Autor des Blogs netzpolitik.org und als Sachverständiger Mitglied der Internet-Enquete des Bundestags, sicherlich gutheißen wird. Denn: Deutschlands Top-Blogger kritisiert das Datenschutzverständnis von Google und Facebook scharf. Er bemängelt vor allem die fehlende Transparenz von Google und Facebook: „Wir haben keine Kontrolle darüber, was mit unseren Daten geschieht. Wir wissen einfach nicht, was sie tun.“ Laut Beckedahl bedürfe es deshalb besserer Datenschutzgesetze, die dem Nutzer mehr Rechte einräumten. Bedenklich, so der Internetaktivist, sei der Umgang von Google und Facebook mit persönlichen Daten vor allem wegen der Monopolstellung beider Unternehmen. Zahlen belegen die Dominanz: Google hat einen Marktanteil von 96 Prozent bei Suchan-fragen in Deutschland und bei Facebook ist mittlerweile jeder zweite deutsche Internetnutzer. Konkurrenten wie die VZ-Netzwerke verlieren dagegen seit Jahren Mitglieder.
Dass Facebook seine Public-Affairs-Arbeit intensiviere, sei, so Beckedahl, geradezu eine logische Folge des rapiden Wachstums in den vergangenen Jahren. Das verstärkte Lobbying sei sogar dringend geboten – denn, wie er ironisch sagt: „Wenn man es als Datenkrake schafft, die deutsche Öffentlichkeit beim Datenschutz auf seine Seite zu ziehen, dann kann man die Welt erobern.“ Facebook geht denn auch offensiv auf die Politik zu: In Kursen erklären Facebook-Mitarbeiter Abgeordneten, wie sie das Soziale Netzwerk am besten für sich nutzen können. Ergänzend gibt es von Facebook auch einen Leitfaden für Politiker und Amtsträger, der zum Beispiel die Tipps gibt, Bilder von politischen Veranstaltungen zu posten und den „Gefällt-mir-Button“ zu verwenden. Nach Beckedahl stelle diese „anrüchige“ Praxis eine klassische „Win-win-Situation“ dar, bei der man ins Gespräch komme. Ob die Facebook-Kurse für Abgeordnete bereits ein Graubereich des Lobbyings sind, ist Ansichtssache. Lars Klingbeil jedenfalls stört sich nicht daran: „Ich finde nichts Anstößiges an den Facebook-Kursen für Abgeordnete.“

Googles Grundlagenforschung

Von Google+-Kursen für Parlamentarier ist bisher nichts bekannt. Doch auch das kalifornische Internetunternehmen, das nach einer aktuellen Studie des Marktforschungsunternehmens Millward Brown mit 107,8 Milliarden Dollar die drittwertvollste Marke der Welt ist, baut seine Public-Affairs-Aktivitäten in Deutschland in jüngster Zeit spürbar aus. Nachdem der Suchmaschinenanbieter bisher in Berlin recht bescheiden hauste, können die im April bezogenen bunten und deutlich größeren Büroräume Unter den Linden auch als Symbol für Googles neues Selbstverständnis in Sachen Public-Affairs-Arbeit gesehen werden. „Wir wollen in Berlin von einer eher reaktiven zu einer aktiveren Presse- und Öffentlichkeitsarbeit übergehen“, sagt Ralf Bremer, der seit 2010 als Senior Manager im Communications- und Public-Affairs-Team die politische Kommunikation von Google Deutschland verantwortet. Eine wichtige Aufgabe sieht der lange Jahre als Journalist tätige Bremer darin, die Öffentlichkeit über das Geschäftsmodell Google zu informieren. Viele Leute wüssten gar nicht, wie Google sein Geld verdient. Mit Werbung, die viele, insbesondere kleine Unternehmen bei Google schalten und eben nicht mit der Weitergabe persönlicher Daten. Bei der Public-Affairs-Arbeit gehe es Google in erster Linie darum, Debatten anzustoßen, so Bremer. Statt in teure Kampagnen zu investieren, fördert Google lieber die Grundlagenforschung – und sorgt so für Argumente: Mit 4,5 Millionen Euro unterstützt das Unternehmen das Alexander-von-Humboldt-Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG), an dem netzaffine Wissenschaftler seit kurzem die Wechselwirkungen zwischen Internet und Gesellschaft erforschen. Eine Summe, die Markus Beckedahl lieber von anderer Stelle investiert sähe: „Es ist traurig, dass nicht der deutsche Staat diese Summe zu Verfügung stellt.“ Angesichts der zunehmenden Twitter-Kompetenz der Politik, könnte sich das vielleicht in Zukunft ändern. Denn eines ist klar: Das Internet ist auch in der Politik nun zum Machtinstrument erwachsen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Follow me – Das Lobbying der Sozialen Netzwerke. Das Heft können Sie hier bestellen.