"Man braucht ein dickes Fell"

p&k: Herr Küpper, wird Peer Steinbrück im Bundestagswahlkampf mit Designforscherin Gesche Joost noch mal richtig punkten können?

Moritz Küpper: Die Absicht ist zumindest klar zu erkennen: ein junges, unverbrauchtes und vor allem modernes Gesicht im Schattenkabinett zu haben, das das Thema Internet abdecken soll, wo die SPD-Personalauswahl ja eher gering ist. Medial scheint es aufzugehen. Aber es wird sich zeigen, ob sich Steinbrück mit der Personalie nur schmücken will oder  ob er Joost glaubhaft einbinden kann. Angela Merkel etwa ist das 2005 mit Paul Kirchhof nicht gelungen.

Was genau ist beim ehemaligen Bundesverfassungsrichter Kirchhof, der damals als Parteiloser dem Kompetenzteam von Angela Merkel angehörte, falsch gelaufen?
Fatal war, dass es zwei Steuerkonzepte gab: eines von der CDU, eines von Kirchhof. Das hat nicht nur die eigenen Leute, sondern auch die unentschlossenen Wähler verwirrt. Es ist ein schmaler Grat: Einerseits können Parteien mit Personen von außen und erst recht mit Prominenten Stimmen dazugewinnen. Andererseits muss die Person zur Partei und deren Positionen passen.

Der Titel Ihres Buches „Politik kann man lernen“ ist ein Zitat des CDU-Abgeordneten und früheren Leistungsturners Eberhard Gienger. Was hat er richtig gemacht, warum hat es bei ihm mit dem Seiteneinstieg geklappt?

Die CDU in Baden-Württemberg hat 2002 für den Wahlkreis Neckar-Zaber einen Direktkandidaten gesucht, der nicht mit einem Listenplatz abgesichert war, und hat Herrn Gienger gefragt, ob er sich vorstellen könne, für die CDU zu kandidieren. Er konnte – und war bereit, ein sechsmonatiges Praktikum bei der CDU zu machen, Zeit in den Wahlkampf zu investieren, ohne die Sicherheit, auch tatsächlich in den Bundestag einzuziehen. Natürlich hatte er den Vorteil, finanziell abgesichert zu sein. Aber nicht nur das. Gienger war es gewohnt, in der Öffentlichkeit zu stehen, vor Leuten zu sprechen. All diese Dinge sind förderlich, denn die mediale Aufmerksamkeit ist enorm. Eines müssen alle wissen, die in die Politik gehen wollen: Man braucht ein dickes Fell.

Wie würden Sie den typischen Seiteneinsteiger beschreiben?

Meine Auswertung hat ergeben, dass er männlich, im Schnitt 48 Jahre alt und deutlich gebildeter ist als der klassische Politiker. Das ist auch nicht verwunderlich, denn unter den Seiteneinsteigern waren ja viele Professoren, die gerade aufgrund ihres wissenschaftlichen Renommees für die Politik interessant wurden – wie Paul Kirchhof, Rita Süssmuth oder Roman Herzog. Der typische Seiteneinsteiger ist außerdem – gemessen an der Dauer seines Verbleibs in der Politik – beinahe genauso erfolgreich wie andere Politiker.

Welche Parteien bieten Seiteneinsteigern die besten Chancen?

Bei den Grünen sind die Chancen heute sehr viel schlechter als zu Beginn. Dagegen gehört es bei der Partei Die Linke zur Strategie, Leute aus anderen Bereichen für die Politik zu gewinnen – wie den Schauspieler Peter Sodann oder die Theologin Uta Ranke-Heinemann, die Tochter des dritten Bundespräsidenten Gustav Heinemann. Allerdings muss man klar sagen: Die beiden haben als Marionetten fungiert. Bei der Wahl zum Bundespräsidenten hatten sie keine Chance. Sie aufzustellen, sollte vielmehr die Sympathiewerte im Westen steigern, wo die Partei ja teilweise an der Fünf-Prozent-Hürde geknapst hat.

Schickt deshalb Oskar Lafontaine jetzt den Ex-Tennisprofi Claudia Kohde-Kilsch ins Rennen um ein Direktmandat für Die Linke im Saarland?

Ja, da lässt sich das klassische Muster erkennen. Zumal Lafontaine selbst auch gesagt hat, dass er sich die Karriere von Eberhard Gienger angeschaut hat, über dessen Weg in die Politik wir ja eben gesprochen haben. Das geht sogar so weit, dass Lafontaine bereits meint, Claudia Kohde-Kilsch könnte Die Linke ideal im Bundestagssportausschuss vertreten. Mal sehen, ob sie es schafft.

Wie sieht es mit Seiteneinsteigern bei den Volksparteien aus?

Die SPD versucht seit Jahrzehnten, sich für Leute von außen zu öffnen. Allerdings ist es schwierig, den Leuten, die an der Basis arbeiten, Plakate kleben und am Samstag in der Fußgängerzone den Wahlkampf machen, zu erklären, dass die Top-Positionen mit Seiteneinsteigern besetzt werden. Das ist das Grundproblem bei allen Parteien. Bei der SPD war es aber unter Kanzler Schröder besonders stark ausgeprägt: Ein Bundestagsmandat haben die bekommen, die die Kärrnerarbeit geleistet haben, und die Seiteneinsteiger wurden mit der Autorität des Kanzlers auf die Ministerposten gehoben.

Eine der bekanntesten Seiteneinsteigerinnen ist Ursula von der Leyen, die vor ihrer politischen Karriere als Ärztin gearbeitet hat. Inwiefern hat sie davon profitiert, dass ihr Vater Ernst Albrecht viele Jahre lang niedersächsischer Ministerpräsident war?

Mit Sicherheit war das sehr hilfreich. Sie hat von klein auf mitbekommen, was es bedeutet, in der Öffentlichkeit zu stehen, wie die Mechanismen ablaufen. Und was nicht zu unterschätzen ist: Sie kannte natürlich auch schon viele Leute in der Politik – Stichwort Netzwerk. Die Vorteile und Erfolgschancen, die sich vielen Politikern nur mit der typischen Ochsentour bieten, hat sie qua Geburt.

Expertise, Aufmerksamkeit – das sind die Gründe der Parteien, auf Personen von außen zu setzen. Was treibt die Seiteneinsteiger selbst an?

Natürlich ist es zum einen sehr schmeichelhaft, wenn Parteien an einen herantreten. Entscheidend ist aber etwas anderes. In der Regel haben die Seiteneinsteiger in ihrem Leben schon viel erreicht. Es reizt sie dann, sich noch einmal auf einem anderen Gebiet zu beweisen und nach der Kennedy-Maxime zu handeln: „Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst.“

Sie haben mit vielen Seiteneinsteigern gesprochen. Wie bewerten sie selbst ihren Ausflug in die Politik?

Für den ehemaligen Wirtschaftsminister Werner Müller ist es eine Facette seines Lebens. Für Rita Süssmuth ist ihre politische Karriere dagegen sicher bedeutender als ihre wissenschaftliche Laufbahn. Paul Kirchhof verbucht seine Erfahrungen als unerfreuliche Episode. Er hat mir erzählt, dass er nach wie vor um Rat gefragt wird, wenn Menschen vor der Entscheidung stehen, in die Politik zu gehen. Und auch wenn es bei ihm, wie er es selbst sagt, „in die Hose gegangen ist“, ermutigt er jeden, es zu versuchen, weil Seiteneinsteiger seiner Meinung nach der Politik gut tun. Und das ist das Resümee fast aller, mit denen ich gesprochen habe.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Na, Klassenfeind? Ein Linker und ein Liberaler über Freundschaft zwischen politischen Gegnern. Das Heft können Sie hier bestellen.