Lust auf Zukunft

Politik

Das Hambacher Fest, was war das noch? Man kramt im vergilbten Schulwissen über eine konturlose Epoche. Es war diese fidele Pfälzer Vormärzfete. Kurzes Erwachen aus dem Biedermeierschlaf. 30.000 Patrioten beim Massenpicknick für Einigkeit und Recht und Freiheit. Schwarzrotgolden umwogte ein Fahnenmeer die Schlossruine auf der Haardt.

Ihre Mauern stehen heute als Beweis dafür, dass unsere Demokratie keine Importware ist, sondern Traditionsqualität made in Germany. Vermarktet wird die halbamtliche Ikone als “Wiege der deutschen Demokratie”. Eintritt für mündige Bürger vier Euro fünfzig, das Café “1832” hat Pfälzer Saumagen und Panoramablick.

Skepsis ist gesund. Auf Hambach gärte ein Sauerteig. Fertig gebacken wurde nichts. Doch der Auflauf am Trümmerhaufen machte den Deutschen Lust auf Zukunft als freien Raum, der gestaltbar ist. 100 Jahre später meinte Theodor Heuss, die Festteilnehmer “glaubten die Zeugen eines geschichtlichen Aufbruchs zu sein. Hambach war eine Fanfare”.

Ihr Sound klang anders als beim Wartburgfest 1817, das Heinrich Heine “teutomanisch” nannte. Da “krächz­­te die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang”, doch “auf Hambach jubelte die moderne Zeit ihre Sonnenaufgangslieder”.

Das Fest war erstens eine grandios inszenierte friedliche Großdemo, die jeden bekannten Rahmen sprengte. Ihre Größe, Volksnähe und öffentliche Wirkung ließ das Metternich-System der Monarchen nach Luft schnappen. Das “Massenmedium Straße” wurde sichtbar.

Zweitens war das Fest der Zukunftskongress einer APO-Bewegung, die mit groben Strichen romantische, kühne Entwürfe für das Morgen malte. Nur in deutschen Farben? Keineswegs. Es feierte Europas “Völkerfrühling”, der ab 1830 Nationen, Revolutionen und Reformen schuf.

Drittens gehört eine Strategiekonferenz zum Fest, die seinen zerstrittenen Initiatoren zukunftsfähige Strukturen verschaffen sollte. Die Party zu Hambach gebar fast die erste echte deutsche Partei. Ein Schlüsselmoment.

Die lange Lunte der Pressezensur

Für freie Meinungsäußerung sah es 1832 nicht gut aus im Deutschen Bund. Nicht mal mehr in der Pfalz, dem bayerischen Rheinkreis. Aus ihren Franzosenjahren 1794 bis 1815 waren ihr Freiräume geblieben, die Vereine und Presse nutzten. Nun zog die Zensur an. Es hagelte Zeitungsverbote. Der Unmut stieg, verkoppelt mit Protest gegen Beamtenwillkür, Armut, Steuern und Zölle, die Auflösung des Landtags.

Für all das war die Presse ein Ventil gewesen. Es fiel nun häufiger aus. Da gründeten Pfälzer Publizisten den “Press- und Vaterlandsverein” als Pressehilfsfonds. Der PVV besorgte Abos für Oppositionsblätter, bezahlte Zensurstrafen und Anwälte, flocht ein Nachrichten-, Drucker- und Vertriebsnetz, sammelte Unterschriften.

Das PVV-Organ “Deutsche Tribüne” warf den Kronen “Terrorismus” gegen die Presse vor. Ziel sei, die Kraft des Volkes durch “grausame Beschränkung der Gedankenmitteilung auf immer zu brechen”. Chefredakteur Johann G. A. Wirth druckte frech und frecher, bis es dem Staat genug war. Er verhängte Berufsverbote. Wirth und viele Journalisten kamen in Haft. Doch die Gerichte sprachen alle frei. Der PVV roch in diesem Justizskandal Morgenluft.

Wirths Kollege Philipp Jakob Siebenpfeiffer warb im PVV für eine Volksversammlung. Ein großes “Natio­nalfest” sollte “an die Stelle der zertretenen Presse treten”. Es gelte, die von Königstreuen gestreute Idee einer Maifeier am Schloss zu kapern. Gedenk- und Feiertage boten sich an, um Versammlungsverbote zu umgehen. Siebenpfeiffers Zeitung “Westbote” rief zum Fest. Prompt wurde es verboten.

Der PVV wirbelte durch die Rathäuser und fuhr Rechtsgutachten auf. Nach wochenlangem Gezerre nahm der entnervte Provinzregent das Verbot zurück. Deutschlandweit verfolgte die Öffentlichkeit den Streit. Der Triumph war perfekte Werbung. Der PVV hatte 1.000 Gäste erhofft. Am großen Tag verstopften 30.000 Leute die Straßen, nicht nur aus der Region, sondern viele aus dem In- und Ausland, sogar Polen, Franzosen und Briten.

In Neustadt komponierte die PVV-Filiale den Festzug zum Schlosshügel als Gegenszene zu Staatsparaden. Das war keine Latschdemo, eher mobiles Theater. Kirchglocken läuteten, Böller donnerten, Kapellen spielten, Chöre verteilten Liederzettel. “Hinauf, Patrioten, zum Schloss!” röhrten 300 Handwerkerkehlen Schillers Reiterlied in Siebenpfeiffers Version: “vor der Tyrannen Angesicht / Beugt länger der freie Deutsche sich nicht!”.

Massenhaft fabrizierte Dreifarb-Kokarden steckten an Bauern und feinen Leuten, Studenten, Frauen, Kindern. Parolenbenähte Fahnen flatterten über dem Mix aus frommer Kirchprozession, Schützenausmarsch und lustiger Landpartie. Auf Schlosshöhe entfaltete sich ein Festival.

Wem die offizielle Festtafel zu teuer war, der saß Stullen kauend im Gras und lauschte dort der Tribüne oder jedem, der auf Kisten agitierte. Jeder Burgwinkel war Speaker’s Corner. Drum herum Buden, Karussells, Tanzvergnügen. “Die ganze Nacht”, hieß es, “wurde geschossen, gefressen, gesoffen und jubiliert”.

Festival radikaler Zukünfte

Mit gut 25 Reden bot die Haupttribüne ein dichtes Programm. Verfassungsmonarchie oder Republik? Reform oder Revolution? Fürsten- oder Völkerbund? Deutschland zuerst oder europäische Union? Der Wettstreit forscher Zukunftsvisionen ließ Pathos triefen, kontrastreiche Hoffnungen wurden hörbar. Polemiker ätzten gegen Adel und Juste-Milieu.

“Schauermärchen” und “krasse Verzerrung der Realitäten” findet der Historiker Hans Fenske in den Vorträgen. Vieles “mag man unreif, töricht, geschmacklos finden”, urteilt auch Veit Valentin. Was zutage kam, war “die ganze Polyphonie” eines brodelnden Landes. Stets ging es um Ideen für Morgen: solche, “die unmittelbar den Weg zur Frankfurter Paulskirche wiesen, andere zeigten in eine noch viel entferntere Zukunft europäischer, menschheitlicher Gesinnung”.

Solidarität in Europa war wichtig. “In dem Augenblicke, wo die deutsche Volkshoheit in ihr gutes Recht eingesetzt sein wird”, sagte Johann Wirth, “ist der innigste Völkerbund geschlossen.” Die Deutschen gönnten ihre Rechte auch den Nachbarn. “Eu­­ropa wird dann wiedergeboren und auf breiten natürlichen Grundlagen dauerhaft organisiert.” Er schloss: “Dreimal hoch das konföderierte republikanische Europa!”

“Es wird kommen der Tag”, rief Siebenpfeiffer, an dem die “Constitutiönchen” verschwinden, “die man etlichen mürrischen Kindern der großen Familie als Spielzeug verlieh”, und an dem der Bürger “auf den Tafeln des Gesetzes den eigenen Willen liest”. Siebenpfeiffer sah Wahl- und Grundrechte voraus und meinte auch Frauen.

Sein Festaufruf hatte sie, “deren politische Missachtung in der europäischen Ordnung ein Fehler und ein Flecken ist“, explizit aufs Schloss geladen. Sie hörten nun: “Es wird kommen der Tag, wo das deutsche Weib nicht mehr dienstpflichtige Magd des herrschenden Mannes, sondern die freie Gefährtin des freien Bürgers” ist.

Was wäre gewesen, hätte die Menge statt Pfälzer Dubbegläsern Flinten gepackt? Lieder besangen die Fantasie. “Halt endlichs Maul dort drüben mit deinem Legalitätsschmus!”, fuhr der Bürstenbinder Johann Philipp Becker einen Redner an, erklomm ein Weinfass und tönte: “Hofft nichts von Fürsten und protestiert nicht mehr, denn hinter den Verfügungen der Regierungen sind Bajonette, hinter unseren Protestaktionen aber ist nichts.”

Becker rief zu den Waffen. Er traf ins Herz. (1848 wurde er Volkswehrgeneral.)

Die Strategiekonferenz

Nach Festende tagte der PVV in Neustadt, zunächst mit 600 Aktivisten, dann als Zirkel von 20. Das Fest hatte die Reichweite des PVV bewiesen. Er war rasant auf 5.000 Mitglieder in 116 lockeren Ortsgruppen gewachsen. Wirth drängte zur Vorstandsneuwahl, zu straffer Führung und bindendem Reformprogramm.

Für Wirth war der PVV kein Pressehilfswerk mehr, sondern Partei im Werden. Nur mit stabilen Strukturen wäre sie kampagnenfähig. Die Strategiekonferenz sollte es beschließen.

“Was nun?” fragten alle, doch fehlte jeder Konsens. Und die Regie war mies. Es kam zu Tumulten mit Hitzköpfen, die “losschlagen” und sich zur provisorischen Regierung erklären wollten. Hart traten die PVV-Granden auf die Bremse. Nichts kam mehr durch. Wirth bekam zwar seine Wahlen.

Die chaotisch per Zuruf Gewählten lieferten aber wenig: Fortan wollte man “Deutscher Reformverein” heißen, erst mal weiter Mitglieder werben und Feste à la Hambach anregen. Die strategische Stunde war verpatzt. Der PVV lag im Katzenjammer.

Trotzdem löste das Hambacher Fest Sturm aus. Die Pfalz erlebte Wochen der Anarchie. Beamte liefen um ihr Leben. Militär rückte ein. Der Bundestag in Frankfurt beschloss Jagd auf “Demagogen” in allen Staaten. Wer der Haft entkam, ging ins Exil.

Der Historiker Eike Wolgast resümiert: “Die Verfolgung der Hambacher beraubte Deutschland einer ganzen Generation der demokratischen Elite.” Ihr Fest war Aufbruch in die Zukunft. Doch die Antwort darauf warf ihn um Jahre zurück.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation IV/2015 Zukunft. Das Heft können Sie hier bestellen.