Lobbyiert disruptiv!

Public Affairs

Wer in der Kommunikationswelt nicht den Anschluss verlieren will, muss nicht nur mit den technologischen Veränderungen Schritt halten, sondern auch einen offenen Kanal für neue Ideen etablieren. Das gilt für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gleichermaßen. Doch neue Ideen zu entwickeln, klingt leichter, als es ist, denn der Mensch neigt dazu, sich mit Gleichgesinnten zu umgeben und Fremdes erst einmal argwöhnisch zu beobachten. So verschließt er sich gegenüber der notwendigen Inspiration von außen. An dieser Stelle setzt disruptives Denken an – ein Ansatz, der endlich auch in der politischen Kommunikation angekommen zu sein scheint.  

Das Wort Disruption ist zu einem der zentralen Modewörter der digitalen Wirtschaft geworden. Seine aktuelle Bedeutung geht zurück auf Clayton M. Chris­tensen, der Mitte der neunziger Jahre das Prinzip disruptiver Technologien beschrieb. In seinem Buch “The Innovator’s Dilemma. Warum etablierte Unternehmen den Wettbewerb um bahnbrechende Innovationen verlieren” zeigt er, wie neue Märkte für etablierte Anbieter in der Regel unerwartet entstehen oder aber für diese uninteressant sind.

Die Idee der ökonomischen Verdrängung kam bereits Anfang des 20. Jahrhunderts auf: Der Ökonom Joseph Alois Schumpeter beschrieb die Auslöser einer solchen, in seinen Worten schöpferischen Zerstörung, welche Unternehmer mit dem Ziel vorantreiben, sich auf dem Markt durchzusetzen. Heute ist Disruption durch wesentlich höhere Geschwindigkeiten und Plattformeffekte geprägt. Neue Player verdrängen etablierte Unternehmen nicht nur aus ihren Märkten, sie nutzen deren Verharren in innovationsfeindlichen Geschäftsmodellen auch zum eigenen Vorteil. Sie wissen: Wer sich schnell bewegt und vor kreativer Zerstörung nicht zurückschreckt, wird durch Netzwerkeffekte gewinnen. Bei Facebook übersetzt sich diese Geisteshaltung in dem internen Slogan “Move fast and break things”, eine Aufmunterung an die Mitarbeiter, in eben dieser Geisteshaltung zum Erfolg des Unternehmens beizutragen.

Wer hätte vor wenigen Jahren zu denken gewagt, dass das weltgrößte Taxi-Unternehmen keine Autos besitzen, der wertvollste Händler keine eigenen Lager betreiben oder der größte Unterkunftsanbieter keine eigenen Hotels zu betreiben braucht. Doch genau das sehen wir heute: Uber, Alibaba oder Airbnb sind Paradebeispiele für das Potenzial sogenannter Plattformgeschäftsmodelle. Sie produzieren keine eigenen Produkte mehr, sie vermitteln nur noch den Zugang zu diesen. Die Hälfte der 20 weltweit größten Unternehmen macht sich das disruptive Plattformgeschäftsmodell inzwischen zunutze.

Doch nicht nur die ökonomischen Spielregeln verändern sich grundlegend. Disruptive Unternehmenskulturen und das Denken in Plattformmodellen haben auch die politische Interessenvertretung verändert und werden das auch in den nächsten Jahren tun. Hatten große Konzerne früher allenfalls eine für die Öffentlichkeit geschlossene Unternehmensrepräsentanz, so öffnen sich heute politische Interessenvertretungen. Die E-Plus Gruppe zählte vor einigen Jahren zu den ersten Unternehmen in Berlin, die mit dem Basecamp eine Bühne für den öffentlichen politischen Diskurs in Deutschland baute. Dabei handelte es sich zunächst um nichts anderes als einen Mobilfunkladen mit integrierter Veranstaltungsfläche.

Das Erfolgsgeheimnis lag letztlich nicht in der Fläche selbst, sondern in der Art und Weise, wie diese von Anfang an genutzt wurde: partizipatorisch. Das ursprüngliche Konzept war vergleichbar mit dem Spielplan eines Theaters: Durch das Bespielen der Bühne mit unternehmensinternen Akteuren sowie externen Ensembles mit Bezug zur digitalen Wirtschaft gelang der Aufbau einer loyalen Community, auf die man im politischen Prozess zugreifen konnte. Die Kommunikation der Veranstaltungen über Social Media führte zu einem raschen organischen Wachstum des Unterstützerkreises.

Die Verzahnung der realen Bühne mit der digitalen Kommunikationsplattform ist ein wichtiger Erfolgsfaktor des disruptiven Lobbyings. Denn der direkte Draht zu Journalisten und Meinungsführern der Szene, der heute oftmals erst über digitale Kanäle entsteht, wird nicht zuletzt über die crossmedialen Verbindungen im Social Web aufrechterhalten. Einfache, schnelle und informelle Kontaktaufnahmen bieten Unternehmens­auftritte bereits heute auf Facebook, Twitter oder Instagram. Dort werden Botschaften schnell kommuniziert oder mit Videos und Fotos veranschaulicht.

Verschiedene Unternehmen haben das Konzept im Berliner Regierungsviertel seither kopiert. Microsoft hat mit der Digital Eatery beispielsweise einen ähnlichen Ansatz gewählt, ebenso Volkswagen mit dem Drive Forum. Allerdings bleiben bisher alle Unternehmen hinter den Möglichkeiten echter disruptiver Kommunikationsansätze zurück. Zu groß scheint die Sorge zu sein, mit innovativen, kreativen Ideen im politischen Berlin zu laut zu werden oder gar negativ aufzufallen. Selbst Google veranstaltet seine Events meist in der geschlossenen Unternehmensrepräsentanz unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Eine kurzsichtige Fehl­einschätzung, denn es ist gerade der Plattformgedanke, der neuartige Kommunikationsideen mit nachhaltiger Wirkung zulässt. Wichtig ist dabei, dass das Vorgehen und die Beteiligungsmöglichkeiten transparent sind und nachvollziehbar erläutert werden.

Um disruptives Lobbying in der politischen Kommunikation einsetzen zu können, muss man sich immer vor Augen führen, wie erfolgreiche disruptive Denker an die eigenen Herausforderungen herangehen würden. Der Journalist Jeff Jarvis hat einen solchen Ansatz mit dem Titel seines Bestsellers “Was würde Google tun?” beschrieben. Neben Google haben auch Red Bull, Apple und viele andere Unternehmen eine disruptive Sichtweise. Sie alle stellen sich stets die Frage, wie ein Sachverhalt neu zu denken wäre: Was wird passieren, wenn wir das Gegenteil von dem machen, was unsere Wettbewerber tun? Red Bull ist es auf diese Weise gelungen, den Markt für Softdrinks erfolgreich auf den Kopf zu stellen.

Ähnliches ist mit disruptivem Lobbying möglich, wenn Unternehmenslobbyisten beginnen, beispielsweise wie NGO-Aktivisten zu denken. Ein Beispiel: Die Metro Gruppe ist in Berlin nicht nur mit einem digitalen Hauptstadtbüro präsent, sondern kommuniziert über diese Plattform ihren Ansatz eines “responsible lobbying”. Das Unternehmen beschreibt damit nicht nur den offenen Dialog mit Verbraucherschutzorganisationen, es geriert sich mit seinem Kommunikationsansatz sogar wie eine Nichtregierungsorganisation. Über all dem steht die Frage: Was würde eine NGO tun?

Welche Wahrnehmungen sich für politisch kommunizierende Unternehmen ergeben, wird maßgeblich davon abhängen, wie authentisch und glaubwürdig die handelnden Mitarbeiter den Dialog mit den Zielgruppen führen werden. Am Ende wird der disruptiv denkende Interessenvertreter erfolgreich sein, der es schafft, auf seiner politischen Kommunikationsplattform neue Ideen zu generieren, um über diese sodann seine Zielgruppen zu informieren, zu involvieren und schließlich zu mobilisieren.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation IV/2015 Zukunft. Das Heft können Sie hier bestellen.