Labour droht die Spaltung

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Sollte Jeremy Corbyn weiter an der Spitze der Partei verharren, werde es bis zu seinem Lebensende keine Labour-Regierung mehr geben – mit diesen eindringlichen Worten warnte Neil Kinnock am Montag seine Parteifreunde vor der erneuten Wahl Corbyns. Kinnock ist nicht irgendwer. Die Worte des langjährigen Vorsitzenden und EU-Kommissars haben in der Arbeiterpartei weiterhin Gewicht. Doch es darf bezweifelt werden, dass sein Ratschlag die Wiederwahl von Corbyn ernsthaft gefährden kann.

Während traditionell Hinterbänkler aller Fraktionen für das Sommertheater zuständig sind, waren es diesmal vornehmlich Vertreter der Arbeiterpartei, die mit ihrem Richtungs- und Führungsstreit die Schlagzeilen dominierten. Ausgangpunkt war die Entlassung des populären Abgeordneten Hillary Benn aus dem Schattenkabinett. Der außenpolitische Sprecher hatte es gewagt, Corbyns mäßigen Einsatz gegen den Brexit öffentlich anzuprangern und zudem die Führungstauglichkeit des Parteivorsitzenden infrage gestellt. In der Folge trat mehr als die Hälfte des Schattenkabinetts zurück. Corbyn brauchte mehrere Wochen, um willige Fraktionsmitglieder zu finden, die eines der ansonsten begehrten Ämter annahmen.

Ohne Rückhalt der Fraktion

Zu diesem Zeitpunkt erhöhte die Unterhausfraktion den Druck: In einem Misstrauensvotum sprachen sich 80 Prozent der Labour-Abgeordneten gegen den in Umfragen unpopulären Altlinken Corbyn aus. Doch der zeigte sich unbeeindruckt. Er verschanzte sich mit seinen wenigen Getreuen in der Fraktion in der Wagenburg und brachte seinerseits seine “Momentum”-Bewegung in Stellung – eine Graswurzelbewegung, die der Labour Party einen sechsstelligen Mitgliederzuwachs beschert hat und ihn im vergangenen Jahr mit überwältigender Mehrheit in das Amt des Vorsitzenden spülte. Drohungen machten die Runde, unbequeme Abgeordnete bei der Aufstellung zur nächsten Unterhauswahl auf den Nominierungsveranstaltungen abzusetzen.

Doch damit nicht genug: Es folgten gerichtliche Auseinandersetzungen darüber, ob Corbyn auch ohne ausreichende Anzahl an Unterstützern aus der Fraktion auf dem Wahlzettel stehen darf. Ergebnis: Er darf. Ebenfalls musste gerichtlich geklärt werden, ob rund 130.000 Neumitglieder bei der Wahl des Parteivorsitzenden stimmberechtigt sind. Das Verwaltungsgericht sagte Ja, das Berufungsgericht final Nein.

Establishment gegen Corbyn

Zusätzliches Öl ins Feuer gossen prominente Labour-Politiker, die allesamt gegen Corbyn ins Feld zogen. Die Liste der Mahner reicht vom letzten Parteivorsitzenden Ed Miliband bis zum frisch gewählten Londoner Bürgermeister Sadiq Kahn, dem Labour-Politiker mit dem aktuell bedeutendsten Mandat im Land. Aus Sicht der Momentum-Mitglieder manifestierte sich hierdurch der Eindruck, dass es sich um einen Kampf zwischen dem Kopf einer konservativen Parteielite und dem Herzen, der linken Parteibasis, handelt.

In dieser aufgeheizten Atmosphäre geriet es fast zur Nebensache, wer eigentlich gegen Corbyn antritt. Nach einigem Zaudern hatten die Abgeordneten Angela Eagle und Owen Smith ihre Hüte in den Ring geworfen. Doch bereits nach einer Woche zog Eagle, die dem gemäßigt konservativen Flügel der Labour Party angehört, ihre Kandidatur zugunsten von Smith zurück. Der steht deutlich weiter links und gilt als Kompromisskandidat zwischen den Flügeln.

In dem sehr intensiv geführten zweimonatigen parteiinternen Wahlkampf standen jedoch nicht die programmatischen Diskussionen im Vordergrund. Vielmehr ging es darum, wer Labour schneller wieder an die Fleischtöpfe führen könne. Corbyn, der es geschafft hat, mit Momentum Jugendliche wieder für die Politik zu begeistern, oder Smith, der auch Wähler jenseits der linken Mitte anspricht.

Von Problemen der Konservativen abgelenkt

Mit ihrem Sommertheater lenkte die Arbeiterpartei von den Problemen der selbst heillos zerstrittenen konservativen Regierung von Premierministerin Theresa May ab. Auch drei Monate nach der Brexit-Abstimmung gibt es keinen konkreten Fahrplan für dessen Umsetzung. Während sich die zuständigen Minister gegenseitig blockieren, beäugen sich die wenigen verbliebenen Brexit-Gegner und die Mehrzahl der Befürworter im Kabinett argwöhnisch.  

Egal, wer die Arbeiterpartei von Samstag an führen wird: Ihm kommt die fast unlösbare Aufgabe der Versöhnung der Flügel zu. Sollte dies nicht gelingen, scheint eine Abspaltung unabwendbar. Frohlocken würden dann insbesondere die Tories, da sie die eigentlichen Profiteure wären. Das Stimmensplitting zwischen zwei linken Parteien würde ihnen dank des Mehrheitswahlrechts bei der nächsten Unterhauswahl eine Vielzahl an weiteren Mandaten bringen und das linke Lager weiter schwächen.