Keine leichte Aufgabe

Auf die ungarische Ratspräsidentschaft wartet eine ganze Reihe schwieriger Aufgaben. Die Euro-Krise, der Streit um die zukünftige Finanzierung der EU, Beitrittsverhandlungen mit den Balkanstaaten, Strafen für Defizitsünder und mögliche Änderungen der EU-Verträge – all diese Entscheidungen haben maßgeblichen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der EU. An der erfolgreichen Bewältigung dieser Aufgaben müssen sich die Ungarn messen lassen. Anders als zuvor die Belgier oder die Tschechen im Jahr 2009, kann Regierungschef Viktor Orbán dabei auf stabile innenpolitische Verhältnisse setzen. Mit einem Sieg bei den Kommunalwahlen konnte seine rechtskonservative Partei Fidesz ihre Dominanz festigen, nachdem sie bereits bei den Parlamentswahlen im April eine satte Zweidrittel-Mehrheit errungen hatte.

Kampf mit dem Defizit

Als letztes Land in der Trio-Präsidentschaft mit Spanien und Belgien ist Ungarn zwar an das gemeinsame Programm gebunden, will in vielen Bereichen aber dennoch eigene Akzente setzen. Der Einfluss der ungarischen Ratspräsidentschaft ist dabei nicht zu unterschätzen. Ihr Verhandlungsgeschick entscheidet über Fortschritte in mehr als 250 Arbeitsgruppen. Im Kontakt mit Vertretern der ungarischen Präsidentschaft sollten sich Public-Affairs-Abteilungen und Delegationen aus anderen Ländern nicht dazu verleiten lassen, das verbreitete Selbstbild der Ungarn zu übernehmen, sie seien ein vergleichsweise kleiner und daher eher unbedeutender Mitgliedsstaat. Gehör verschafft sich derjenige, der glaubhaft verdeutlicht, dass er die Präsidentschaft bei ihrer Rolle als Vermittler unterstützt, denn auf Unterstützung sind die Ungarn jetzt angewiesen.
Ungarn fällt die Rolle zu, im Streit um Vertragsänderungen und einen wirkungsvolleren Sanktionsmechanismus zur Bestrafung von Defizitsündern zu vermitteln. Als einer der neuen Mit-gliedsstaaten musste das Land die im Vertrag von Maastricht festgesetzte Drei-Prozent-Defizitgrenze bisher allerdings selbst nie einhalten. Innenpolitisch steht die Haushaltskonsolidierung neben der Stärkung der eigenen Wirtschaft und der Senkung von Steuern aber mittlerweile an erster Stelle. 2011 soll erstmals die Defizitgrenze aus dem Maastricht-Vertrag unterschritten werden. Nicht zuletzt die Glaubwürdigkeit der eigenen Haushaltsdisziplin wird darüber entscheiden, inwieweit die Ungarn in dieser Frage eine Lösung auf europäischer Bühne mitgestalten können. Mit der geplanten Neugestaltung des langfristigen Finanzrahmens wartet ein weiterer Balanceakt. Das haben schon die Verhandlungen über den Nothaushalt 2011 gezeigt. Kommission und Parlament fordern eine neue Einkommensquelle für die EU. Der Widerstand vieler Mitgliedsstaaten gegen eine EU-Steuer ist jedoch groß.

Gemeinsamkeiten mit Deutschland

„Als Ratspräsident wird Ungarn alles unterstützen, was Deutschland nutzt“, versicherte Außenminister János Martonyi seinem deutschen Amtskollegen Guido Westerwelle bei seinem vergangenen Besuch in der deutschen Hauptstadt. Den Beitritt des Nachbarn Kroatien sowie die Einbeziehung Bulgariens und Rumäniens in das Schengen-Abkommen verstehe man als wichtige gemeinsame Anliegen. Budapest hofft darauf, die Verhandlungen mit Zagreb innerhalb seiner Präsidentschaft abschließen zu können. EU-Kreise sind davon jedoch nicht mehr überzeugt. Der zunächst für 2013 erhoffte Beitritt könnte sich somit verschieben. Die ungarische Regierung will auch die Beitrittsgesuche von Montenegro und Mazedonien unterstützen. Beim Gipfeltreffen der östlichen Partnerschaft am 26. Mai 2011 soll zudem die Zusammenarbeit mit den Anrainerstaaten verbessert werden. Neben wirtschaftlichen Vorteilen erhoffen die Ungarn sich auch positive Auswirkungen für die vielen ungarischen Minderheiten, die außerhalb der nationalen Grenzen leben. Gleiches gilt für den Schengen-Beitritt Bulgariens und Rumäniens. Ob der für März 2011 vorgesehene Beitrittstermin eingehalten werden kann, ist jedoch unklar.
Budapest wird die in der Trio-Präsidentschaft vereinbarten Anstrengungen zur Umsetzung der EU-2020-Strategie weiter vorantreiben. Dabei steht die Schaffung von Arbeitsplätzen an erster Stelle. Zudem soll das gemeinsame Arbeitsprogramm zum Umgang mit natürlichen Ressourcen weiterverfolgt werden.
Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Entwicklung einer integrierten europäischen Wassermanagement-Politik. Die Verhandlungen zum Netzausbau für Gas und Elektrizität, die Umsetzung der Klima- und Umweltschutzstrategie sowie die Frage nach der Atommüllendlagerung werden ebenfalls unter ungarischer Leitung geführt. Aufgrund ihres hohen Bevölkerungsanteils von zwei bis fünf Prozent ist gerade auch die Roma-Frage von besonderer Bedeutung für die Regierung Orbán, die eine europäische Strategie zur Verbesserung der Lage der Roma fordert. Ein für April erwartetes Kommissionspapier will man mit besonderer Nachdringlichkeit unterstützen.

Die richtige Besetzung?

Einige Personalien könnten für Aufsehen sorgen. Innenpolitische Kritik gab es bereits an der Benennung von Péter Györkös zum Leiter der Ständigen Vertretung in Brüssel. Ihm würde die Erfahrung und Bekanntheit seines Vorgängers fehlen, heißt es. Die Leitung der Präsidentschaft wird mit Außenminister János Martonyi allerdings ein mit dem Brüsseler Parkett bestens vertrauter Politiker übernehmen. Er war bereits in der Legislaturperiode von 1998 bis 2002 Außenminister. In Brüssel, wie in großen Teilen der ungarischen Gesellschaft, erfreut sich der erfahrene Diplomat außerordentlich großer Beliebtheit.
Orbán verfolgt die Vision eines durch Kooperation unter starken nationalen Führungsfiguren geprägten Europas. Für das Gros der ungarischen Analysten deutet jedoch vieles darauf hin, dass die Europäische Union nach der Präsidentschaft stärker sein wird und die Mitgliedsstaaten an Einfluss einbüßen. Ob sich diese Prognose bewahrheitet, bleibt abzuwarten.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Hannelore Kraft – Politikerin des Jahres. Das Heft können Sie hier bestellen.