"Jeder Bürger kann ein Journalist sein"

Medien

Herr Humborg, Sie sagen, dass Medien in immer weniger Städten und Dörfern ihrer Rolle als “vierte Gewalt” gerecht werden. Worauf stützen Sie diese These?

Christian Humborg: Ich glaube, dass die “vierte Gewalt” zunehmend wegbricht, weil die traditionellen Geschäftsmodelle der Lokalzeitungen immer weniger funktionieren. Die einfache Erklärung, die Digitalisierung sei an allem schuld, zieht dabei nicht allein. Es gibt verschiedene Gründe. In Regionen in Ostdeutschland zum Beispiel, denen es wirtschaftlich nicht gut geht, ist der Rückgang stärker. Dagegen gibt es wirtschaftsstarke Regionen in Baden-Württemberg, in denen Lokalzeitungen nur sehr wenig einbrechen, stagnieren oder eben auch minimal wachsen.

Was können Zeitungen besser machen, um weiterhin bestehen zu können?

Es gibt Zeitungen, die versuchen, sich durch Innovation zu verändern und anzupassen. Lokalzeitungen müssen sich auf ihre Kernkompetenz konzentrieren. Das heißt, dass sie keinen eigenen Korrespondenten in Berlin haben müssen, der zusätzlich zu den überregionalen Medien das Geschehen in Berlin erklärt. Stattdessen müssen sie die Besten sein, was die lokale Berichterstattung betrifft. Man muss diesen Umbruch auch als Aufbruch sehen. Dinge verändern sich und es entstehen neue Formate.

Fördern neue Online-Erzählformen nicht die Entfremdung von Printformaten?

Medienhäuser sind schon längst nicht mehr nur auf Print fokussiert. Online gibt es aber dennoch Nachholbedarf, weil viele Redakteure aus dem Printgeschäft kommen. Mittlerweile geht es auch gar nicht mehr nur um online, sondern um mobil und social. Alle reden von “mobile first”, aber im Redaktionsalltag ist das noch nicht überall angekommen. Aber am Ende des Tages geht es um gute Geschichten, egal ob in der Zeitung, auf dem Tablet oder auf dem Smartphone. Die Entwicklung ist stark technologiegetrieben. Es muss somit sehr viel mehr Wissen über Technik in den Medienhäusern und Redaktionen vorhanden sein.

Ihrer Meinung nach geht das Vertrauen in die Medien zunehmend verloren.  Was können Journalisten dagegen tun?

Man muss sich auf das fokussieren, was guten Journalismus ausmacht. Das ist zunächst Haltung und Handwerk. Dann müssen Qualitätsstandards organisatorisch und prozessual abgesichert werden. Auch muss man sich der Kritik stellen und Grenzen eingestehen, wenn man etwas nicht weiß und offen damit umgehen. Außerdem ist es wichtig, mehr Menschen zu befähigen, journalistisch zu arbeiten. Das heißt Informationen sammeln, aufbereiten und verbreiten. Und das kann jeder lernen. Von der Recherche bis zur Veröffentlichung.

Wird der Bürger zukünftig selbst zum Journalisten?

Jeder Bürger kann ein Journalist sein. Bildung und Erfahrung sind zwei wesentliche Voraussetzungen, um einen guten von einem schlechten Journalisten zu unterscheiden. Bildung kann vermittelt werden. Erfahrung kommt mit der Zeit. Gerade auf lokaler Ebene müssen sich Bürger mehr journalistisch einbringen. Denn eine Demokratie braucht eine kritische Öffentlichkeit.