It’s the Data, stupid!

Nächstes Jahr ist Bundestagswahl. Während die Parteizentralen mehr oder weniger problemfrei in den Wahlkampfmodus hochfahren, schauen sie auf der Suche nach neuen Kampagnentrends gerne über den eigenen Tellerrand. Es sind vor allem die US-Präsidentschaftswahlen 2012, die im nächsten Jahr Journalisten und Wahlkämpfern als wichtige Referenz dienen werden.
Zunächst eine nicht besonders motivierende Erkenntnis: Die US-Wahlen haben endgültig gezeigt, dass sich die Wahlkampfentwicklung in den USA von der in der restlichen Welt abgekoppelt hat. Die Kampagnenmacher sind technologisch beim Sammeln von Daten und Geld sowie bei der Zielgruppenidentifizierung und -ansprache in Sphären vorgedrungen, die wir in Deutschland sicherlich nicht erreichen können. Nachahmung zwecklos! Das heißt jedoch nicht, dass man nichts mehr lernen kann. Im Gegenteil: Die USA sind immer wieder ein Best Case für Strategien und Ziele politischer Kommunikation. Lediglich das „Wie“ der Umsetzung und Erreichung muss hierzulande ein anderes sein. Was aber sind die Trends?

Big Data

Die Webseite Techpresident, die verfolgt, wie das Internet Wahlkampagnen beeinflusst, titelte bereits im April 2011: „It’s the Data, stupid.“ Die Präsidentschaftskandidaten standen da noch lange nicht fest. Nicht Social Media und Co., so Techpresident, würden das Wahljahr 2012 prägen. Die große Frage sei vielmehr, wie man Daten nutzen könne, um Freiwillige zu gewinnen, eine engere Bindung zum Wähler aufzubauen und vor allem am Ende des Wahlkampfs zu mobilisieren. Und die Obama-Kampagne blieb die Antwort nicht schuldig: Kampagnenmanager Jim Messina verließ sich nicht mehr auf Bäuche, sondern auf Zahlen und stellte fünfmal mehr Leute als 2008 für sein Analyseteam ein.
Seit der Wiederwahl von George W. Bush als US-Präsident im Jahr 2004 wissen wir, was möglich ist, wenn man Wählerdaten mit Lebensstildaten mischt. 2012 ging man vor allem in der Auswertung der Daten einen Schritt weiter. Das Obama-Tech-Team integrierte verschiedene Datenbanken und entwickelte eine einzige, riesige Datenbank, die so ziemlich alles in Echtzeit (!) abbilden konnte, was man aus Sicht der US-Kampagnen über seine Ziele wissen muss: unter anderem soziodemographische und Konsumenten-Daten sowie Wahl- und Medienverhalten. Und das alles personalisiert.

Messen und evaluieren

Angereichert und aktualisiert wurde die Datenbank täglich durch die Ergebnisse von Millionen Hausbesuchen und Telefonanrufen, die Informationen zu den politischen Präferenzen der Wähler vor allem in den Swing States lieferten. Dadurch wurden Vorhersagen möglich, in welchem Maß der potentielle Wähler für eine bestimmte Botschaft empfänglich ist und inwiefern er sich an der Kampagne beteiligen würde. Maßgeschneiderte Botschaften und Instrumente wurden an kleinen Gruppen getestet und die effektivsten sodann in die Kampagne implementiert. Es gab Modellberechnungen für potentielle Wähler, Spender und natürlich Freiwillige. Am Ende flossen Ergebnisse von Umfragen genauso in die Datenbank ein wie Informationen über das Öffnen einer E-Mail oder eine Spende über einen Link auf ­Facebook.
Natürlich wurde die Datenbank auch zur Evaluierung der Kampagnenziele genutzt. Man wusste basierend auf den eigenen Modellen genau, wie viel Unterstützung man an einem beliebigen Tag in einem Ort, einem Kreis oder Staat hatte. Für die ständige Überprüfung und Anpassung der Strategie wurden im September und Oktober 8.000 bis 9.000 Personen mit kurzen Fragebögen befragt – täglich. Das diente zwar auch dazu, potentielle Wähler zu identifizieren. Allerdings waren die Daten vor allem die Grundlage der Schlussmobilisierung, denn durch die Befragung von per Stichprobe zufällig ausgewählten Bürgern bekam man auch ein Bild von der Unterstützung für den Gegner. Das Ergebnis des „Early voting“ – also die Wahl vor dem Wahltag – konnte anhand der eigenen Berechnungen auf einen Prozentpunkt genau vorausgesagt werden.

Erzählung über die Kampagne

Dass eine Kampagne eine Botschaft und Erzählung haben sollte, hat sich auch in diesem Jahr nicht geändert. Dabei ist die Erzählung über die Kampagne ein immer wichtigerer Pfeiler der Kommunikation geworden. Ein Beispiel ist das Kampagnenmanagement, das in Videos erzählt, wie gut die Kampagne läuft und was die anderen schlecht machen, welche Staaten man mit wie vielen Freiwilligen gewinnt und wo der Gegner keine Chance hat. Letzteres hat Romney in der Schlussphase des Wahlkampfes versucht, als er überraschend behauptete, die Staaten Michigan und Pennsylvania gewinnen zu können – ein Versuch, das „Momentum“ nach der ersten TV-Debatte zu verlängern.

Gezielter Einsatz von Videoplattformen

Knapp eine Milliarde Dollar waren am Ende des Wahlkampfs für Fernsehwerbung ausgegeben worden. Die Masse an politischer Werbung führte dazu, dass es Programme gab, die nur noch durch die politischen Ads unterbrochen wurden. In hart umkämpften Staaten kauften die Kampagnen teilweise das Zehnfache der Sendeplätze, die man in einer normalen Kampagne als ausreichend bezeichnet hätte.
Deswegen hat sich die Wähleransprache nicht nur hin zum direkten Kontakt an Telefonen und Haustüren verschoben. Auch wurden Videoplattformen wie YouTube gezielt eingesetzt. So war es normal, dass Videos professionell eigens fürs Internet produziert, getestet und natürlich dann durch Online-Werbung verbreitert wurden. Einer der Vorteile: Die Werbung kann online nahezu in Real-Time gekauft werden und basierend auf den Datenbanken können gezielt Regionen oder Zielgruppen angesprochen werden, die beispielsweise von einer Aussage des politischen Gegners betroffen sind.

Ran an die Wähler

Der Wahlkampf in den USA hat noch viele interessante Beispiele und Ideen parat. Unterm Strich geht es vor allem darum, näher am Wähler zu sein, das heißt, seine Sorgen und Hoffnungen zu kennen, seine Sprache zu sprechen und mit ihm direkt auf seinen Kanälen zu kommunizieren. Dafür engagieren sich in den USA nicht nur die Profis mit ihren Millionen-Wahlkampfbudgets, sondern auch zahllose Freiwillige, die andere überzeugen und mobilisieren. Und das ist wohl das Tröstliche mit Blick auf den bevorstehenden Bundestagswahlkampf: Wir mögen hierzulande nicht das Geld, die Manpower oder die Daten haben. Wir haben aber auch Türen. Also auf geht’s! Von Tür zu Tür!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Wann bringen Sie Angela Merkel das Twittern bei, Herr Altmaier? – Fragen an den Politiker des Jahres. Das Heft können Sie hier bestellen.