Ist die SPD eine schwer führbare Partei, Herr Beck?

Politik

Herr Beck, was sagt Ihnen das Verhältnis acht zu eins?

Gar nichts.

Das ist die Anzahl der SPD-Vorsitzenden während der Amtszeit der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel.

Ich hatte nicht mitgezählt, aber Sie haben recht. Das ist ein Teil der Herausforderung, vor der wir jetzt stehen: personelle Kontinuität und die inhaltliche Wiedererkennbarkeit der SPD-Werte in die eigenen Reihen zu bringen.

Was bedeutete das Amt des SPD-Vorsitzenden für Sie?

Das ist natürlich eine Herausforderung, denn die SPD hat eine große Geschichte. Von daher ist es nicht bloß irgendein Amt, das man mal hat. Es ist schon etwas, was einen – wenn man sozialdemokratisch denkt und empfindet – innerlich in Anspruch nimmt. Das meine ich aber positiv, man ist sich da einer gewissen Verantwortung bewusst.

Ist die SPD eine schwer führbare Partei?

Ja. Das ist auch ein Grund, weshalb ich dabei bin: dass man eben nicht obrigkeitsgläubig ist. Das steckt ganz tief in den Genen unserer Partei, die von der Obrigkeit immer abgelehnt worden ist. Es gibt da eine gesunde, aus den Ursprüngen kommende kritische Haltung gegenüber denen, die an der Spitze stehen. Aber man muss wissen, dass man jemandem, den man in die Verantwortung gestellt hat, Loyalität entgegenbringen muss. Wenn man dann sieht, dass es nicht geht, kann man darüber diskutieren und Gegenkandidaten aufstellen. Jemanden zu unterminieren ist jedoch auf Dauer tödlich. Warum sollten uns Menschen glauben, dass wir für eine solidarische Gesellschaft sind, wenn wir es selbst nicht hinbekommen? Ich habe derzeit aber den Eindruck, dass es besser geworden ist.

Macht es die CDU ihren Parteivorsitzenden leichter?

Es ist sicher so, dass man mit dem Erringen der Macht zufriedener ist. Die SPD hat den Anspruch zu fragen, was wir denn in der Sache erreichen. Wie bekommen wir etwas für die Leute hin, für die wir Politik machen wollen? Das ist bei der CDU ausgeprägter, aber mehr mit Blick nach hinten. Was sich gerade dieser Tage abspielt, ist ja eigentlich unglaublich. Leider haben wir eine Bundeskanzlerin, und das sage ich wegen des Amts und der Bedeutung für die Republik, die nicht mehr Herrin in ihrem Kabinett ist. Man muss sicherlich immer auf Koalitionspartner Rücksicht nehmen, das ist so. Aber wie Seehofer in den vergangenen Monaten mit ihr umgegangen ist, das darf sich ein Regierungschef nicht gefallen lassen.

Ist da nicht ein Punkt erreicht, an dem die SPD sagen könnte: Wir kündigen diese Koalition auf?

Da bin ich nicht so schnell. Was wäre, wenn wir hinterher eine Situation hätten, in der kaum noch Koalitionen zu finden sind? Könnte die SPD dann glaubhaft sagen, dass die anderen es machen sollen, allen voran die FDP, die die Sache ursprünglich in den Sand gesetzt hatte? Wenn man Verantwortung übernommen hat, muss man auch ernsthaft damit umgehen.

Aktuell liegt die SPD in den Umfragen im Deutschlandtrend bundesweit zum zweiten Mal hinter der AfD. Ich denke, dass auch vor diesem Hintergrund Neuwahlen aus Sicht der SPD nicht angesagt sind?

Es ist nicht die kurzfristige Betrachtung dieser Stimmungslage, wir müssen vielmehr insgesamt einmal sortieren: Was ginge denn nach einer jetzt abgehaltenen Wahl, und was würde in diesem Kuddelmuddel an Missstimmungen noch an Abstrafungsaktionen seitens der Bürger entstehen? Und was wäre hinterher möglich? All das gilt es zu bedenken. Dass man nach dem ersten Viertel der Legislaturperiode viele offene Baustellen hat, das ist immer so.

Aljoscha Kertesz und Kurt Beck (c) privat

Die aktuelle Lage ist für die SPD schwer. Es gibt erste Parteienforscher, die die Grünen dauerhaft vor den Sozialdemokraten sehen.

Da warten wir erst einmal ab. Die Grünen irrlichtern im Moment inhaltlich zwischen der CSU und der Linken, und das wird ihnen momentan abgenommen. Auch, weil sie als Oppositionspartei nicht Farbe bekennen müssen. Ich bin ganz sicher: So wichtig die ökologische Frage ist – die soziale Frage hat, gerade vor dem Hintergrund der Veränderungen in der Welt, eine höhere Bedeutung. Es gibt so viele sozialdemokratische Herausforderungen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir sie wieder mit Deutlichkeit angehen werden.

Kann Andrea Nahles das besser als Sigmar Gabriel?

Ich würde nicht sagen besser. Beide sind sehr verschieden. Sie ist definitiv als Typ in solchen Fragen kämpferischer. Außerdem ist sie exzellent, was Arbeits- und Sozialfragen angeht. Das habe ich selbst erlebt. Ich habe sie öfters als Arbeits- und Sozialministerin bei Veranstaltungen der Stiftung gehabt.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Andrea Nahles?

Gut, sehr gut.

Das war nicht immer so, oder?

Nein. Wir hatten nach der Abwahl von Rudolf Scharping ein sehr gespanntes Verhältnis. Ich habe ihr damals gesagt, dass man keine Freudentänze aufführt, wenn derjenige, der einen über viele Jahre gefördert hat, auf offener Bühne eine solche Niederlage verarbeiten muss. Aber das ist lange her. Später habe ich mit dafür gesorgt, dass sie auf der Landesliste von Rheinland-Pfalz Spitzenkandidatin wurde. Und ich habe sie zunehmend schätzen gelernt, wegen ihres Engagements und ihrer Fähigkeit, sich exzellent in Themen einzuarbeiten. Wir haben ein entspanntes Verhältnis.

Sie haben vorhin die soziale Frage angesprochen, mit denen eine klassische Arbeiterpartei bei ihren Wählern punkten sollte. Bei den letzten Wahlen in Nordrhein-Westfalen und im Bund sind die Arbeiter jedoch in Scharen zur AfD abgewandert.

Das ist leider so. Die kann man auch nicht einfach mit einem Federstrich zurückgewinnen. Aber ich bin davon überzeugt, dass es mit der SPD, wenn sie jetzt keine populistische Politik macht, auch wieder aufwärts geht.

Was braucht es dafür?

Es geht darum, eine klare Politik zu machen. Wieder für eine Gesellschaft dazustehen und zu zeigen, dass wir die sogenannten kleinen Leute im Blick haben und sie mitnehmen.

Die Wählerwanderung von der SPD zur AfD zeigt, dass die Wähler anscheinend stärker auf das Thema Migration anspringen.

Natürlich ist das ein Thema für die Leute. Meiner Meinung nach konnte es aber nur deshalb so aufgeladen werden, weil vielfältige Ängste und Unsicherheiten vorhanden sind. Ich glaube, dass die Migrationsfrage nicht unabhängig davon betrachtet werden kann.

Als Sie Parteivorsitzender waren, entbrannten heftige Diskussionen über den Umgang der SPD mit der Linken, weil Sie keinen Einwand gegen die Wahl von Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin durch die Stimmen der Linken geltend machten.

Das war ein bisschen anders. Ich hatte Andrea Ypsilanti bei einem Gespräch im Gästehaus der Landesregierung dringend davon abgeraten. Als sie sich allerdings dafür entschieden hat, habe ich in unseren Reihen dafür plädiert, nicht wieder den Schwur abzulegen: Nie und nimmer mit denen. Das hat uns ja immer gebunden, und jeder wusste, dass es zumindest im Osten auch nicht sinnvoll ist. Darum ging es mir. Es ist ja dann auch einige Jahre später auf einem Parteitag diese Öffnung beschlossen worden. Mittlerweile gibt es in den Kommunen und in einigen Ländern Koalitionen.

Es gibt in der SPD einige, die eine Zusammenarbeit auf Dauer ablehnen.

Das macht keinen Sinn, denn dass sich die Linke zu einer Partei im demokratischen Spektrum entwickelt hat, ist nicht zu bestreiten. Von daher kann mir niemand erzählen, dass es das Gleiche wäre, als würde man mit der AfD koalieren. Denn die entwickelt sich dahin, wo die Hauptkräfte hinwollen – nämlich, wie hat Gauland gesagt, zur Revolution.

Wann wird sich das Verhältnis zwischen SPD und Linken auf Bundesebene normalisiert haben?

Das traue ich mich nicht zu prognostizieren. Es gibt viele Leute, mit denen man eine verantwortliche Politik formulieren könnte, aber es gibt eben auch andere. Ich erlebe das ja bereits heute ganz praktisch in Gesprächen auf der Ebene der Stiftungen. Wir machen als Friedrich-Ebert-Stiftung mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung gemeinsam Veranstaltungen, um auszuloten, was miteinander geht, wo es Schnittmengen gibt. Wir führen diese Gespräche auf anderen Gebieten auch mit den anderen Stiftungen der Parteien.

Müsste Oskar Lafontaine erst abgetreten sein?

Ich glaube, dass das Verhältnis zwischen der Linken und der SPD maßgeblich durch Lafontaine und das nicht ganz von ihm zu trennende Verhalten von Sahra Wagenknecht geprägt wird. Nicht nur, aber maßgeblich an vielen Stellen. Oskar Lafontaine scheint sich ja vorgenommen zu haben, die SPD zu zerstören. Das ist ihm nicht ganz gelungen, daher versucht er es immer weiter.

Ohne die Linke fehlt der SPD ja auf absehbare Zeit eine Machtoption im Bund.

Es hat aber keinen Sinn, nach theoretischen Machtoptionen zu suchen und dann zu meinen, man könne damit eine Perspektive herbeireden. Die Aufgabe ist jetzt, dass wir in der Regierung ordentliche Arbeit machen. Das ist die Grundaufgabe, wenn man Verantwortung übernimmt. Zum Zweiten gilt es, unsere Programmatik zukunftsfähig zu machen. Die ist zwar von der Orientierung her vollkommen in Ordnung, aber Willy Brandt hat zu Recht gesagt, dass jede Zeit ihre Antworten braucht. Wenn das passt, dann müssen wir wieder schauen, dass wir so auf die Beine kommen, dass man überhaupt auch rechnerisch darüber nachdenken kann, andere Bündnisse als Dreierkoalitionen oder Große Koalitionen zu bilden.

Wenn Sie Große Koalition sagen, dann ist es ja gegenwärtig nur eine vermeintlich große.

Ich meine damit, rechnerisch eine Mehrheit zu bekommen. Man wird auch sehen, wie es in der Union weitergeht.

Parteien wie die AfD und Die Partei sind im Netz erfolgreich. Können die etablierten Parteien kein Social Media?

Was heißt können? Wollen wir uns gegenseitig Halbwahrheiten und Fälschungen um die Ohren hauen, und wer am meisten Geld hat, kann Trolle auf den Weg setzen, die jede Botschaft, die verbreitet werden soll, tausendmal liken? Ich hoffe ja, dass seriöser Journalismus in unserer Gesellschaft seinen Platz behält. Denn Einzelmeinungen, die niemandem gegenüber verantwortlich sind, müssen wir etwas entgegensetzen. Etwas, das diese Welt erklärt und gut recherchiert ist, mit unterschiedlichen Positionen und Meinungen. Das halte ich für wichtiger denn je.