Im Dienste seiner Herrin

Als sich die Aufzugstür in der fünften Etage des Willy-Brandt-Hauses öffnet, steht Thymian Bussemer bereits davor, um die Gäste abzuholen. Bussemer heißt die Besucher freundlich und professionell willkommen. Vorbei an der blauen „Geschichtswand“, einem sich über zwei Etagen erstreckenden Kunstarrangement, das Momentaufnahmen der sozialdemokratischen Vergangenheit zeigt, folgt man ihm in sein Büro.
Dort, zwischen Stapeln von Zeitungen, Magazinen und Büchern, plant Bussemer nichts Geringeres, als Gesine Schwans Sieg bei der Bundespräsidentenwahl am 23. Mai.
Der 36-jährige Bussemer ist seit Oktober vergangenen Jahres Bürochef von Schwan. Vor dieser Zeit war er fast zwei Jahre in Wolfsburg bei Volkswagen. Als Manager kümmerte sich der gebürtige Westberliner um die Grundsätze der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Belegschaft. Daneben machte er Analysen zur Autoindustrie in Deutschland. „Da hatte ich einen attraktiven Denkerjob“, sagt Bussemer.

Kleines Team, große Pläne

Nun arbeitet er mit sechs Kollegen darauf hin, dass die Bundesversammlung am 23. Mai nicht erneut Horst Köhler wählt, auch nicht Peter Sodann, den Kandidaten der Linken, sondern Schwan, die ehemalige Präsidentin der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder. In der SPD-Zentrale sitzt Bussemer zusammen mit zwei Referentinnen, die sich um die Online-Kampagne sowie den Kontakt zur Partei kümmern, und Peter Ziegler, dem ehemaligen Sprecher im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Schwan selbst hat ihr Büro in der Humboldt-Viadrina School of Governance. Mit dabei: ihr persönlicher Referent Philipp Schwörbel, eine Sekretärin und ein Fahrer.
Schwans Chancen auf das höchste Staatsamt sind gering. Die Verhältnisse in der Bundesversammlung sprechen für den Amtsinhaber. Dort konnten Union und FDP nach der Landtagswahl in Hessen ihre knappe Mehrheit ausbauen. Und auch in der Bevölkerung ist Köhler ein angesehener Bundespräsident. Bei Umfragen, wer der beliebteste Politiker im Land ist, steht er oft ganz vorne. „Ich ignoriere das alles nicht“, sagt Bussemer und trinkt einen Schluck Kaffee. „So ist zurzeit eben die Situation.“ Er und sein Team müssten versuchen, das bis Mitte Mai zu ändern. Wahlkampf nennt er das nicht. „Das passt nicht zum Amt des Bundespräsidenten.“ Es gibt keine offene Werbung für die Kandidaten oder gar persönliche Angriffe.

Erfolgreich im Internet

Dafür aber hat Schwan eine eigene Webseite und eine eigenes Profil bei der Internetplattform Facebook. „Die Facebook-Seite haben wir nicht gemacht. Anhänger von Gesine Schwan sind von selbst auf diese Idee gekommen“, sagt Bussemer zufrieden. Um die Webseite kümmere sich das Team natürlich weiterhin. Für die Grundsatzreden, die Schwan bis zur Wahl halten werde, brauche man ein Trägermedium. „Aufgrund ihrer Länge müsste jede Zeitung diese Reden kürzen. Die Webseite ist gut dafür geeignet, die Reden zu transportieren und einen Dialog mit den Lesern einzugehen.“
Zusätzlich lud Schwans Mannschaft im Dezember Blogger zu einem Workshop ein. Bussemer: „Für uns war das ein Informationsgespräch. Wir wollten sehen, was der Stand der Dinge der politischen Online-Kommunikation ist.“
Neben den Online-Auftritten versucht Schwans Mannschaft, die Chancen der 65-jährigen Politikwissenschaftlerin in der Bundesversammlung auf zwei Arten weiter zu steigern: „In den letzen Monaten haben wir vor allem versucht, Gesine Schwan öffentlich wieder bekannter zu machen“, sagt Bussemer. Er und seine Kollegen haben politische Positionen erarbeitet, ein Interviewbuch mit dem Journalisten Christian Geyer erschien im Januar, und Schwan selbst ist durch Deutschland gereist. Bussemer: „Mittlerweile bekommt in ihrem Terminkalender die andere Seite mehr Gewicht.“ Damit meint er die Vertreter in der Bundesversammlung.
Bei der Art und Weise, wie Schwan die einzelnen Abgeordneten ansprechen muss, kann Bussemer helfen. In Berlin und London studierte er Kommunikationswissenschaften und Politik, später promovierte er beim ehemaligen SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz mit einer Arbeit über Propaganda. Seit Beginn des Studiums Anfang der neunziger Jahre unterstützte ihn die Studienstiftung des Deutschen Volks. Seine Mentorin damals: Gesine Schwan. Sie machte ihn später auch zum persönlichen Referenten. „Wir tauschen uns seit längerer Zeit über viele Dinge aus, und es war auch klar, dass sie wollte, dass ich für ihre erneute Kandidatur in ihr Team wechsle.“ Ob er ihr wichtigster Berater ist? Bussemer zögert. „Gesine Schwan sagt häufiger, wir seien ein Team.“ Er selbst vermeidet, so etwas zu sagen: „Könnte man komisch auffassen.“
Seine Beziehung zu Schwan erinnert an ein anderes sozialdemokratisches Politikduo: SPD-Chef Franz Müntefering und Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel. „Das hat wahrscheinlich Züge davon“, sagt Bussemer. Passenderweise sitzt er mit seinem Team in den Büros, in denen vor wenigen Monaten noch Wasserhövels Vorgänger, Martin Gorholt, die Geschicke der Partei leitete. Der Gang, der an den Zimmern vorbeiführt, läuft auf Münteferings Büro zu. Klar erkennbar durch ein Schild über der Tür: „Spitzensozis“.
Schwans Mannschaft hat also prominente Raumnachbarn. Aber bekommt sie auch die nötige Unterstützung durch die Parteispitze? Ihre Kandidatur verbinden viele mit Kurt Beck, den Müntefering im Dezember 2008 als SPD-Chef ablöste. Bussemer wiegelt ab. „Wir bekommen hier alles, was wir brauchen.“ Er selbst sei bei der SPD auch kein neues Gesicht. Bereits mit 16 Jahren ist er den Sozialdemokraten beigetreten. Bussemer war Landesschülersprecher der SPD in Berlin, später hat er Reden für den damaligen Politikberater Matthias Machnig geschrieben. „Ich denke, es war logisch, dass ich ins Willy-Brandt-Haus gekommen bin, weil ich auf der einen Seite die Partei und auf der anderen die Kandidatin sehr gut kenne“, sagt Bussemer. In der Parteizentrale können er und seine Mannschaft autonom arbeiten. „Trotzdem koppeln wir zurück, was wir machen.“ Unter anderem mit Markus Engels, dem Büroleiter des SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier, Andreas Kuhlmann, Münteferings Bürochef, und Wasserhövel. „Das gehört sich so. Aber es ist auch normal, dass man eine Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten nicht an der engen Leine der Partei führen kann.“

Zukunft noch offen

Bussemer klingt in solchen Augenblicken wie ein Politikprofi. „Thymian ist in der SPD ein Ausnahmetalent“, sagt einer, der ihn schon lange kennt. „Er ist intelligent und hat Instinkt, aber er muss sich entscheiden, in welche Richtung es gehen soll.“ Fragt man Bussemer, wohin es ihn nach dem 23. Mai zieht, denkt er lange nach. „Unser Ziel ist es, die Wahl zu gewinnen.“ Was danach komme, wisse er noch nicht. „Im Grunde bin ich ein Intellektuellen-Politiker. Personen wie Peter Glotz und Gesine Schwan interessieren mich mehr, als Leute, die in den Biersälen rocken. Ich weiß nicht, ob ich für das normale Politikleben gemacht bin.“ Doch eines weiß er. „Für Gesine Schwan ist es angenehmer, wenn ich da bin. Ich ein treuer Diener meiner Herrin. Ich bin darüber nicht unglücklich, weil ich den größeren – und besseren – Teil meines Beruflebens mit ihr verbracht habe.“
Das könnte man als Zeichen dafür verstehen, dass Bussemer die SPD-Zentrale bald wieder verlässt. Als er die Besucher nach dem Interview und den Portraitaufnahmen vor dem gläsernen Aufzug verabschiedet, bittet er noch darum, ihm einige der Fotos zukommen zu lassen. „Als Erinnerung an das Willy-Brandt-Haus.“ Man wisse ja nie.

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