Ich will da rein

Brötchen, Käse, Marmelade: Die Frage, wen eine Partei als Spitzenkandidat aufstellt, kann auch bei einem profanen Frühstück entschieden werden. Oder die Entscheidung, wer den Wahlkampf der Oppositionspartei führen wird, endet mit einem Knall, inklusive Rücktritt, wie jüngst bei Kurt Beck. Doch so spektakulär oder unscheinbar die Entscheidung auch fällt, häufig geht der Wahl des Kanzlerkandidaten ein langwieriger Machtkampf voran, in dem die Herausforderer nicht nur um die Gunst von Parteipräsidium und Basis werben, sondern stets auch versuchen, die Medien für sich einzunehmen. Die Entscheidung für einen Spitzenkandidaten ist keine bloße Personalie. Mit ihm fällt die Partei Grundsatzentscheidungen, eröffnet oder verbaut mögliche Koalitionen. Entsprechend hoch ist das öffentliche Interesse.
Die Medien sind längst nicht mehr nur Beobachter parteiinterner Auseinandersetzungen. Zuweilen treiben sie die Politiker vor sich her, wenn sie diesen immer wieder die eine Frage stellen: die K-Frage. Doch auch die Politiker wissen sich die Meinungsführerschaft einiger Medien zunutze zu machen.

K-Frage als Notlösung

Beim so genannten Wolfratshausener Frühstück beendete Angela Merkel im Januar 2002 eine heftige Debatte zwischen CSU und widerstreitenden Flügeln der CDU über den Kanzlerkandidaten, der die Unionsparteien gegen Gerhard Schröder in den Wahlkampf führen sollte. „Ich glaube, dass die Geschlossenheit der Union mit dem Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber hervorragend herzustellen ist und deshalb halte ich diesen Vorschlag für richtig“, lautete die knappe Erklärung Merkels. Die K-Frage wurde im Haus der Stoibers, fernab der Medienöffentlichkeit, entschieden. Doch waren die Akteure durch die Spekulationen der Medien gehörig unter Druck geraten. So entstand sogar ein neuer Begriff, der sich in Windeseile durchsetzte. Ein Schlagwort, der in Wirklichkeit zunächst nur eine Notlösung war. „Der Begriff entstand schlicht aus Platzgründen“, sagt Susanne Höll, Hauptstadtkorrespondentin der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ). „Das Wort Kanzlerkandidatenfrage war einfach zu lang.“ Was Heribert Prantl, Leiter des Ressorts Innenpolitik bei der „SZ“, der Redakteurin als Slang herausstreichen wollte, entwickelte sich zum Schlagwort, für das die Journalistin mit dem Pons-Pons-Preis für kreative Wortschöpfer ausgezeichnet wurde.
Die K-Frage entwickelte fortan eine seltsame Eigendynamik. Sie war plötzlich nicht mehr nur Spitzenpolitikern vorbehalten, sondern erstreckte sich auch auf den Fußball: „Spielt nun Oliver Kahn oder nicht?“ „Der Begriff wird inzwischen inflationär genutzt, deshalb verwenden wir ihn kaum noch“, sagt Höll. Doch nicht allein der Begriff K-Frage ist medial geprägt, auch die Entscheidung, wer als Spitzenkandidat antritt, wird mitunter in der Medienöffentlichkeit gefällt. Große Teile der CDU hielten Stoiber 2002 für den aussichtsreicheren Kandidaten, auch weil Merkel noch das Image anhaftete, sich nicht um medienwirksames Auftreten zu scheren. „Anders als 2005 war im Wahlkampf 2002 der Aspekt der Medientauglichkeit noch ein deutliches Ausschlusskriterium gegen Merkel“, sagt Hans-Hermann Tiedje, Journalist und Kommunikationsberater sowie ehemaliger Berater von Helmut Kohl. Auch sozialdemokratische Kanzlerkandidaten wurden wegen mangelnder Medientauglichkeit Zielscheibe des Spotts: „Klamm, unbeholfen, fast tölpelhaft trat Rudolf Scharping aus der Provinz in die große Welt“, schrieb Sibylle Krause-Burger, in der „Stuttgarter Zeitung“ im Jahr 2002 rückblickend über den SPD-Kanzlerkandidaten, der Helmut Kohl 1994 herausforderte und verlor. „Sie können keine Wahlen mit einem Kandidaten gewinnen, der nicht in den Medien ankommt“, sagt Tiedje.

Medien strategisch genutzt

Von potenziellen Kandidaten wird in der öffentlichen Auseinandersetzung jedoch mehr erwartet als ein Hang zur Selbstinszenierung. Sie stehen unter ständiger Beobachtung. „Willy Brandt konnte mit Depressionen zehn Tage von der Bildfläche verschwinden, ohne dass es die Medien bemerkt hätten. Heute reichen drei Tage fernab der Öffentlichkeit, um wildeste Spekulationen in der Presse auszulösen“, sagt Gerhard Vowe, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Düsseldorf. „Die Suche der Volksparteien nach ihren Spitzenkandidaten erfolgt über die Medien und wird dem Parteiapparat ein Stück weit entzogen.“
Doch von der medialen Präsenz profitieren die Kandidaten erheblich. „Will sich ein Bewerber durchsetzen, muss er nicht nur die Parteibasis hinter sich bringen, sondern auch die Eliten und die Bevölkerung. Das gelingt nur, wenn der Kandidat medial präsent ist“, sagt Vowe. Seit der Kandidatur Gerhard Schröders nutzten Kandidaten und Parteien die Medien strategisch, um sich selbst in Szene zu setzen. Auch die innerparteiliche Kommunikation erfolge immer öfter über die Massenmedien. Das ambivalente Verhältnis zwischen Medien und Parteien zeigte sich in der Auseinandersetzung um Kurt Beck und Frank-Walter Steinmeier besonders deutlich. „Man konnte den Eindruck gewinnen, dass bestimmte Medien Beck systematisch runter schrieben, Steinmeier systematisch hoch“, sagt Oskar Niedermayer, Professor für Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Gleichzeitig hätten Teile der Partei über die Medien versucht, Druck aufzubauen und eine vorzeitige Entscheidung herbeizuführen. „Ein schönes symbiotisches Verhältnis“, sagt Niedermayer.
Doch entscheiden die Medien natürlich nicht allein über Wohl und Wehe eines Kandidaten. Wer das letzte Wort in der K-Frage hat, ist von Partei zu Partei verschieden. „Es ist das traditionell verbriefte Recht des SPD-Vorsitzenden, den Spitzenkandidaten formell vorzuschlagen“, sagt Niedermayer. „Darum konnte Beck auch nicht anders, als zurückzutreten – man hatte ihm das Heft des Handelns aus der Hand genommen.“ Die Kanzlerkandidatur ist bei den Sozialdemokraten eng mit dem Posten des Parteivorsitzenden verwoben. „Eine solche Tradition gibt es bei der Union nicht.“

Kein Gottschalk als Kandidat

Nicht zu vergessen bleibt schließlich die parteipolitische Position, die ein Kandidat nach außen vertritt. Denn mit einem Kandidaten entscheidet eine Partei nicht nur über ein Wahlprogramm, sondern auch über eventuelle Koalitionen. Neben Parteivorstand und Medien muss sich der Kandidat auch der Unterstützung möglicher Koalitionspartner sicher sein. Kohls erneute Kandidatur im Wahlkampf 1998 – oft als störrisches Festhalten an der Macht interpretiert – sei eine strategische Entscheidung gewesen, sagt Hans-Hermann Tiedje. „Wolfgang Schäuble hätte ähnlich gute Chancen gehabt wie Helmut Kohl. Doch die FDP hätte ihn nicht mitgewählt.“ So wichtig die Medienöffentlichkeit für die Suche eines geeigneten Kanzlerkandidaten ist, ihre Bedeutung sollte nicht überstrapaziert werden, sagt Gerhard Vowe. „Die Bevölkerung will schließlich keinen Thomas Gottschalk wählen.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe 27 – Sonntag. Das Heft können Sie hier bestellen.