„Ich simse auch zurück“

p&k: Frau Kramp-Karrenbauer, Sie sind derzeit Ministerin für ­Arbeit, Familie, Soziales, Prävention und Sport, davor waren Sie Ministerin für Inneres, Familie, Frauen und Sport, davor für Inneres und Sport …
Annegret Kramp-Karrenbauer: Dazwischen noch Ministerin für Bildung, Familie, Frauen und Kultur!
… weshalb das Amt der Ministerpräsidentin, das Sie demnächst übernehmen werden, wohl nur die logische Fortsetzung ist – Sie haben fast jedes Ressort kennengelernt.
Politische Karrieren haben selten etwas mit logischen Fortsetzungen zu tun, sondern sind geprägt von vielen Zufällen und Unwägbarkeiten. Aber es ist schon so, dass ich durch meine bisherige Ministertätigkeit umfassende Erfahrungen gesammelt habe.
Die Zuständigkeit für Sport ist eine Konstante. Sind Sie Fußballfan?
Ich bin Sport- und Fußballfan. Ich spiele zwar selbst nicht Fußball, schaue es aber sehr gern, zwar mit relativ geringer Sachkenntnis, aber mit umso mehr Begeisterung. Ich habe eine fußballverrückte Familie mit lauter untröstlichen Bayern-Fans, die in dieser Saison gelitten haben. Es erfordert immer einiges an psychologischem Fingerspitzengefühl, nach einem verpatzten Bayern-Wochenende den Familienfrieden wiederherzustellen.
Die Fans des FC Saarbrücken müssen deutlich mehr leiden, weil ihr Verein momentan in der dritten Liga spielt.
Da hat der FCS aber gerade einen tollen Saison-Endspurt hingelegt. Wir wollen die Bedingungen für den professionellen Fußball weiter verbessern – was auch mit der Frage zu tun hat, wie wir Talente im Saarland halten können.
In welcher Liga spielt das Saarland politisch? Als Peter Müller vor zwölf Jahren angetreten ist, hat er die Parole ausgegeben: „Aufsteigerland Saarland“.
Wenn man sich die Daten der vergangenen Jahre anschaut, dann muss man sagen, ist der Aufstieg in die erste Liga gelungen. Bei den Arbeitslosenzahlen gehören wir seit Jahren konstant zu den besten fünf Ländern der Bundesrepublik, und beim Wirtschaftswachstum sind wir nach Baden-Württemberg und Bayern das Land mit der drittstärksten Dynamik. Wenn man das Saarland allerdings mit Bundesligavereinen vergleicht, dann ist es gewissermaßen der Verein mit dem geringsten Budget.  
Das Saarland macht derzeit einen Strukturwandel durch, der Bergbau, der das Land geprägt hat, läuft bald aus. Das betrifft Sie auch persönlich: Ihr Mann ist im Bergbau tätig. Ist ein solcher Prozess dann besonders schmerzvoll?
Ja, das ist so. Mein Mann und mein Bruder arbeiten beide im Bergbau. Es war für uns alle eine schwierige Debatte, besonders für die in der Branche Beschäftigten, als wir in der CDU klipp und klar gesagt haben, dass wir ein festes Ausstiegsdatum für den Bergbau brauchen. Das war eine Debatte, die auch innerhalb der Partei schwierig zu führen war, die aber aus meiner Sicht durchgestanden ist. Die Menschen, die im Bergbau arbeiten, sind ein ganz besonderer Menschenschlag. Es ist eine Gefahrengemeinschaft, das kann man nur nachvollziehen, wenn man selbst mal unter Tage war.
Bei einem anderen Ausstieg, dem aus der Atomenergie, haben Sie sich kürzlich zu Wort gemeldet: Sie sagten, dass es ein Fehler gewesen sei, die AKW-Laufzeiten zu verlängern. Warum haben Sie sich dazu nicht schon im vorigen Jahr zu Wort gemeldet?
Wir haben es innerparteilich diskutiert, und die CDU Saar insgesamt gehörte sicherlich zu den Verbänden, die das am kritischsten begleitet haben. Die Diskussionen liefen aber vor allem intern. Ich muss offen sagen, dass ich die Risiken dieser Technologie für etwas Theoretisches gehalten hatte, etwas, über das Wissenschaftler sich streiten. Ich war davon ausgegangen, dass sich so etwas in einem hochindustrialisierten Land nicht realisiert. Das ist der entscheidende Punkt, der sich für mich und viele andere seit Fukushima verändert hat: Es kann etwas passieren, und die Konsequenzen sind nicht beherrschbar. Sie sind nicht lokal eingrenzbar und haben Folgen über Jahrzehnte hinweg. Deswegen halte ich es für richtig, dass wir jetzt sagen: Wir steigen aus. Wenn das gelingt, kann diese Energiewende ein Exportschlager werden. Der europäische Aspekt ist für uns im Saarland besonders wichtig, denn direkt an unserer Grenze steht das drittgrößte französische Kernkraftwerk, eines der ältesten: Cattenom. Wir wollen natürlich wissen, wie es um die Sicherheitsvorschriften dort steht und sind froh, dass sich jetzt bei den Stresstests Beobachter aus dem Saarland das Ganze vor Ort anschauen können.
Hat die wechselhafte Atompolitik der Glaubwürdigkeit von Bundesregierung und Kanzlerin geschadet?
Ohne den Verlängerungsbeschluss wäre die Wende glaubwürdiger ausgefallen, das ist gar keine Frage. Aber in den persönlichen Begegnungen mit Angela Merkel konnte man wirklich spüren, dass Fukushima auch für sie Gewissheiten erschüttert hat. Und es gibt sicherlich kaum jemanden in der CDU, der sich von seinem wissenschaftlichen Background her so intensiv und nüchtern mit der Kernenergie auseinandergesetzt hat wie Angela Merkel. Ich bin der Auffassung, dass Politik in der Lage sein muss, auch umzudenken. Ja, es wäre glaubwürdiger gewesen, wenn man nicht ein halbes Jahr vorher das Risiko von Flugzeugabstürzen auf Kernkraftwerke so beiseite geschoben hätte. Das Hauptproblem des Verlängerungsbeschlusses war, dass er nicht intensiv diskutiert wurde. Nicht in der eigenen Partei und nicht in der Öffentlichkeit. Deswegen halte ich es für richtig, dass wir jetzt einen breiten Konsens herstellen.
Wie steht es nach 16 Jahren unter dem Vorsitzenden Peter Müller um die Diskussionsfreudigkeit der Saar-CDU?
Die Partei steckt sicherlich in der gleichen Situation wie andere Landesverbände, die schon seit geraumer Zeit Regierungspartei sind. Zwischen Partei, Fraktion und Regierung herrscht ein feines Gleichgewicht, das ständig ausgeglichen werden muss. Gerade, wenn man schon so lange regiert, wird die Partei nicht immer in dem Maße eingebunden, wie sie das zu Recht erwartet. Wir werden sicherlich auch in Zukunft nicht vor jeder Kabinettssitzung eine Mitgliederbefragung abhalten, aber in der Vergangenheit gab es schon die ein oder andere Entscheidung, bei der die Mitglieder das Gefühl hatten, sie seien informiert worden, durften zustimmen, und das war’s dann auch. Wir müssen künftig bei den wichtigen Fragen zuerst einmal eine breitere Meinungsfindung innerhalb der Partei herbeiführen.
Wie wollen Sie das erreichen?
Zum Beispiel durch neue Arbeitsstrukturen. Wir arbeiten mit einer Reihe von Landesfachausschüssen, was ein wenig befriedigendes System ist: Schließlich gibt es große und kleine Ausschüsse, aktive und inaktive. Die aktiven beklagen sich darüber, dass die Konzepte, die sie erarbeiten, keinen Eingang in die Regierungsarbeit finden. Die Fraktions- oder Regierungsseite aber beklagt sich darüber, dass es zu wenig Input aus der Partei gibt. Wir müssen eine Form finden, den Fach- und Sachverstand, der in der CDU Saar vorhanden ist, unter Nutzung der neuen Medien zusammenzufassen und den Mitgliedern ein Diskussionsforum zu geben. Andererseits brauchen wir aber auch kleine Ad-hoc-Gruppen, die ganz gezielt zum Beispiel Vorschläge zum Thema Energiewende erarbeiten.
Wie weit soll die Nutzung der neuen Medien denn gehen: Wollen Sie künftig auch Beteiligungsplattformen wie „Adhocracy“ nutzen?
In einem Punkt bin ich sehr altmodisch: Politik funktioniert immer noch am besten durch die Eins-zu-eins-Begegnung mit den Menschen, und das Saarland ist ohnehin ein in sich existentes Soziales Netzwerk, das lange vor Facebook erfunden wurde. Aber das Web 2.0 eröffnet Möglichkeiten, die wir ergänzend nutzen sollten. Wir haben jetzt zum Beispiel als erster Landesverband ein Townhall-Meeting ausprobiert, eine von unserem Generalsekretär geleitete Telefonschaltkonferenz mit rund 1500 Teilnehmern. Und das war ziemlich interessant: Wir hatten vorher auf dem Landesparteitag zum Thema Präimplantationsdiagnostik abgestimmt, und das Ergebnis fiel sehr eindeutig zu Gunsten einer restriktiven Haltung aus. Aber beim Townhall-Meeting war das Stimmungsbild ein ganz anderes.
Können sie sich vorstellen, die Partei in dem Maß zu öffnen, wie die SPD es jetzt diskutiert, dass also die Partei Nicht-Mitglieder einbindet und auch über Personalien mitbestimmen lässt?
In jedem Fall muss die Partei wieder ein Ort werden, in dem stärker kontrovers diskutiert wird. Viele Parteiveranstaltungen sind mittlerweile geschlossene Veranstaltungen, man fühlt sich wohl unter seinesgleichen und diskutiert gerne miteinander. Doch auch mal ganz bewusst Vertreter anderer, ganz konträrer Meinungen einzuladen, um Reibung und Spannung zu erzeugen, das halte ich für sehr wichtig. Was die SPD jetzt plant, also Nicht-Mitglieder in die Entscheidungen etwa über Kanzlerkandidaten einzubinden, das halte ich für problematisch. Ich frage mal umgekehrt: Was für einen Mehrwert habe ich dann noch, wenn ich als Parteimitglied vor Ort mitarbeite und meinen Mitgliedsbeitrag zahle? Für mich sieht das ein bisschen nach Selbstabschaffung der Partei aus. Ehrlich gesagt: Ich wüsste als politischer Gegner schon, wie ich erreiche, dass die SPD genau den Kandidaten bekommt, mit dem wir im Wahlkampf am besten zu Rande kommen.
Schreiben sie sich eigentlich mit der Bundeskanzlerin schon SMS?
Ja, ich habe auch schon von Angela Merkel SMS erhalten und simse dann auch zurück. Da sehen Sie, wie unprätentiös und unkompliziert sie ist. Manchmal denke ich dann: Du simst hier gerade mit der Regierungschefin der Bundesrepublik Deutschland. Bei Helmut Kohl wäre das doch undenkbar gewesen.
Wobei Kohl doch gerne mal in den Kreisverbänden angerufen hat.
Das stimmt auch wieder. Diese direkte Kommunikation hat er von seiner Seite aus auch betrieben. Kollegen von mir aus dem Landtag, die ihn etwa in Junge-Unions-Funktionen kritisiert haben, haben tatsächlich Anrufe von ihm bekommen. Diese Eins-zu-eins-Kommunikation ist effektiv, egal ob das per SMS, Telefonat oder via E-Mail geschieht.
Das für SMS so praktische Kürzel AKK wird also bundes­politisch künftig eine Rolle spielen?
[lacht] Ja, das sollte es doch.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Querdenker – Zwischen Fraktionszwang und Gewissen. Das Heft können Sie hier bestellen.