Glanz oder Elend der wirtschaftspolitischen Beratung?

Politikberatung

Die Komplexität des Themas ist hoch, die Interessen scheinen unüberbrückbar und die Diskussion festgefahren. Eine Analyse der Politikberatung sowie des Politikerverhaltens kann helfen, das eigeninteressierte Verhalten der politischen Entscheidungsträger zu erklären. Politiker sind eben keine perfekten und stets nur wohlmeinenden Akteure im Auftrag der Bürger. Politiker sind vielmehr vorrangig daran interessiert, (wieder-)gewählt zu werden sowie ihr Ansehen und ihre Reputation zu steigern. Daher handeln sie durchaus zweckmäßig, wenn sie Beratungsvorschläge ignorieren, die in der Regel auf eine Verbesserung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt gerichtet sind – andererseits aber Maßnahmen ergreifen, die bestimmte Wählergruppen privilegieren und damit ihre Wahlchancen erhöhen. Politiker verhalten sich hinsichtlich der gesamtwirtschaftlichen Effizienz ökonomisch irrational, in Bezug auf die Eigengesetzlichkeiten des politischen Prozesses aber völlig rational.

Für Politiker kann es von Vorteil sein, Partikularinteressen zu befriedigen

Im Mittelpunkt der Neuen Institutionenökonomik stehen die Anreizwirkungen, die von unterschiedlichen institutionellen Arrangements ausgehen und das gesellschaftliche Verhalten der Akteure leiten. Politische Prozesse zeichnen sich zum einen durch die “Prinzipal-Agent-Beziehungen” aus. Danach ist es den Wählern aufgrund der asymmetrisch verteilten Informationen nur bedingt möglich, die als ihre Agenten handelnden Politiker zu kontrollieren. Die Wähler haben zu wenig Informationen, um die Entscheidungen der Politiker zu beurteilen, und sie haben aufgrund des Wahlmodus nur wenig Möglichkeiten, um Politiker für einzelne Entscheidungen hinreichend zu sanktionieren.

Zum anderen sind politische Prozess durch den “Rent-Seeking-Ansatz” gekennzeichnet, worunter man die zielgerichteten Bemühungen der gesellschaftlichen Gruppen um eine ökonomische Besserstellung versteht. Je spezifischer die Interessen dabei sind, desto besser organisierbar und durchsetzungsfähiger ist die Interessengruppe. Der Staat wird zum Einfallstor organisierter Interessengruppen, die sich um eine Privilegierung bemühen, die unweigerlich zulasten anderer Gruppen beziehungsweise der Allgemeinheit geht. Für Politiker kann es daher von Vorteil sein, Partikularinteressen zu befriedigen und sich der politischen Unterstützung wichtiger Wählergruppen zu versichern, als Maßnahmen umzusetzen, die im Interesse der Allgemeinheit liegen.

Aus institutionenökonomischer Sicht ist die steuerliche Förderung als ein Vertrag zulasten Dritter zu sehen. Dieser Dritte ist der Staat, der einen Teil der privaten Investitionskosten übernimmt. Das erklärt, weshalb dieses Instrument breite Unterstützung in Verbänden und der gesamten Wirtschaft genießt.

Aus wirtschafts- und klimapolitischer Sicht ist eine steuerliche Förderung zu begrüßen. Energetische Gebäudesanierungen rufen positive gesellschaftliche Externalitäten hervor. Sie bewirken mehr Beschäftigung im Handwerk und in der regionalen Bauwirtschaft, einen Innovationsschub in der Gebäudeeffizienztechnologie, führen zu Mehreinnahmen bei der Einkommens-, Umsatz- und Gewerbesteuer und leisten einen substanziellen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele.

Hemmnisse und Widerstände der steuerlichen Förderung

Im vergangenen Jahrzehnt wurde immer wieder über die steuerliche Förderung diskutiert und mehrere Gesetzesentwürfe im Bundesrat (2008 und 2013) und Bundestag (2011) vorgelegt. Die steuerliche Förderung wird in mehreren Koalitionsverträgen auf Bundesebene – und ebenso in einigen Ländern (zum Beispiel in Bayern, NRW und Hessen) – programmatisch gefordert. Doch waren die politischen Hemmnisse und Widerstände so groß und dauerhaft, dass bisher alle Versuche gescheitert sind. Die drei zentralen Hemmnisse liegen in der Verteilungspolitik, Fiskalpolitik und Parteiideologie.

Mit der steuerlichen Förderung unterstützt der Staat die qualitative Verbesserung des Wohnungsbestands von Eigentümerhaushalten. Linksstehende Politiker, deren Wählerzielgruppe eher die Mieter und unteren Einkommensbezieher sind, wollen diese verteilungspolitische Wirkung nicht mittragen. Die Eigentümerstruktur im Wohngebäudebestand in den einzelnen Bundesländern, insbesondere den Stadtstaaten, spricht dafür, dass diese Länder dieses Instrument ablehnen.

Die steuerliche Förderung kann nur kommen, wenn sich Bund, Länder und Gemeinden über die hinzunehmenden Mindereinnahmen aus der Einkommensteuer einigen, die auf bis zu 1,5 Milliarden Euro pro Jahr veranschlagt werden. Da die Länder und Gemeinden laut Verteilungsschlüssel davon rund 862 Millionen Euro zu tragen haben, fordern die Finanzpolitiker vom Bund eine finanzielle Kompensation, während der Bundesfinanzminister sich qua Amt strikt dagegen verwahrt. Fiskalpolitische Gründe sprechen daher gegen eine Einführung.

Damit die steuerliche Förderung eingeführt wird, muss sich die Politikberatung auf die Politiker konzentrieren. Hierbei gilt es, sowohl die Parteistrategie als auch die Pfadabhängigkeit der (partei-)politischen Entscheidungen zu berücksichtigen. Um die politische Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren, sind Politiker meist nur zu kleinen, kaum wahrnehmbaren Positionsveränderungen imstande.

Wie gestaltet sich die aktuelle Diskussion?

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wird zum wiederholten Male der politische Wille bekräftigt, die steuerliche Förderung einzuführen. Dabei ist ein Wahlrecht zwischen einer Zuschussförderung und einer Reduzierung des zu versteuernden Einkommens vorgesehen. In der politischen Debatte stehen weiterhin die finanziellen Aspekte im Vordergrund. Zahlreiche Länder fordern vom Bund eine finanzielle Kompensation. Doch hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) bei den kürzlich vom Bundeskabinett verabschiedeten Eckwerten für den Bundeshaushalt 2020 diesen Posten nicht berücksichtigt – obwohl eine Umsetzung in den vergangenen Wochen von Mitgliedern der Bundesregierung in Aussicht gestellt worden war.

Ein neuer Impuls ging im April 2019 von Bayerns und Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsministern, Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und Andreas Pinkwart (FDP), aus. Sie forderten von Bundesfinanzminister Scholz und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die rasche Einführung einer attraktiven und einfach umsetzbaren steuerlichen Förderung. Attraktiv heißt, dass 20 bis 30 Prozent der Investitionssumme über drei Jahre abgesetzt werden kann. Der Bundesverband der Deutschen Industrie begrüßt diesen politischen Vorstoß. Fast zeitgleich appellierten 41 Verbände in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die zuständigen Bundesminister, die steuerliche Förderung im Rahmen des Bundeshaushalts 2020 jetzt endlich umzusetzen.

Jenseits der politischen Rhetorik, mit der dem jeweiligen politischen Gegner “parteitaktisches Verhalten” oder “Blockadehaltung” vorgehalten wird, scheinen manche Vorschläge in der aktuellen Diskussion nur der unnötigen Verkomplizierung und Verschleppung des gesamten Themas zu dienen. Der Vorschlag, auch vermietete Wohngebäude in die steuerliche Förderung mit einzubeziehen, führt geradewegs zu einem schwer lösbaren Vermieter-Mieter-Dilemma und zu einer nicht enden wollenden Gerechtigkeitsdebatte, inwieweit eine Kostenüberwälzung auf die Miete sozial angemessen ist oder nicht. Auch der Vorschlag, die steuerliche Absetzbarkeit an die anfallende Erbschafts- oder Grunderwerbssteuer zu knüpfen, scheint wenig zielführend. Da diese beiden Steuerarten Landesertragssteuern sind, hätten die Länder diese Steuermindereinnahmen (allein) zu schultern. Es ist mutlos und ideenlos, den Bundestag-Gesetzentwurf von 2011 wieder aufzugreifen – und dabei den Abschreibungssatz auf zehn Prozent und den Abschreibungszeitraum auf zehn Jahre festzulegen. Dies beraubt diesem Instrument jegliche finanzielle Substanz und Attraktivität.     

Es scheint unverständlich, warum Politikberater in den zurückliegenden elf Jahren bisher nicht fähig oder willens waren, dieses klimapolitisch wichtige Thema mit halbwegs innovativen Finanzierungskompromissen abzuräumen. Kompromisslinien lassen sich mit zusätzlichem Geld sicher finden. So hätten die politischen Gegner der Eigentümerprivilegierung längst eine zusätzliche (Zuschuss-)Förderung für die Vermieter oder eine kostenlose Energieberatung für die Mieter als Gegenleistung einfordern können. Wo sind die Berater, die den Politikern solche gangbaren Lösungen zur Gesichtswahrung vorschlagen?

Oder bewegt sich vielleicht doch etwas in der politischen Diskussion? 

Jüngst hat Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bekundet, dass er sich zur steuerlichen Förderung durchringen könnte. Dies ist ein beherzter Sprung der Sozialdemokraten über die langjährigen partei- und verteilungspolitischen Gräben.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat im Juni die steuerliche Förderung dem Klimakabinett unterbreitet, das am 20. September über ein Maßnahmenpaket entscheiden wird. Für dieses Maßnahmenpaket sind Sondermittel des Bundesfinanzministeriums im Gespräch. Von einer Einigung von Bund und Ländern über eine Kompensation der Steuermindereinnahmen ist im Vorfeld allerdings nichts bekannt. Dass der Bundesfinanzminister aber mit diesen Sondermitteln gerade jetzt die Länder finanziell kompensieren will, ist zu bezweifeln.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Verteilungspolitische, fiskalpolitische und parteipolitische Gründe verhindern die Einführung der steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudemodernisierung und damit eine breit angelegte Sanierungsoffensive im Gebäudebestand. Glanz und Elend der Politikberatung liegen hier eng beieinander.