Emanzipierte Campañeros

Die Kampagne war kurz, der Wahltag lang. Erst am späten Abend des 14. April verkündete der regierungsnahe Wahlgerichtshof das vorläufige Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Venezuela. Der von Hugo Chávez designierte Nachfolger im Amt, Nicolás Maduro, und sein Rivale, Henrique Capriles, Einheitskandidat des Oppositionsbündnisses MUD (Mesa de Unidad Democrática), hatten einen fulminanten Wahlkampf in wenigen Wochen hinter sich. Maduro stützte sich dabei, wie bereits sein Ziehvater Chávez, ganz auf den Staatsapparat.
Während der Kampagne stand er im Schatten seines kürzlich verstorbenen Mentors Hugo Chávez. Würden ihn die Wähler als würdigen Erben akzeptieren? Und inwieweit würde er sich von seinem Übervater lösen können, ohne als Verräter dazustehen? Das waren nur einige Fragen, die der Wähler beantworten sollte.
Am Ende wurde es knapp. Nicolás Maduro gewann die Wahl mit mageren zwei Prozentpunkten Vorsprung. Wahlverlierer Capriles muss sich nicht schämen, bescherte er seiner Partei doch das historisch beste Wahlergebnis. Und das, nachdem sein stark demoralisiertes Bündnis zwei Wahlschlappen nacheinander erlittten hatte.

Kein einheitlicher Markt

Das Wahlergebnis ist ein Beweis dafür, dass sich das Regime in Caracas mit einer klaren und stringent umgesetzten Kampagnenstrategie des politischen Gegners ins Wanken bringen lässt. Dreh- und Angelpunkt für Capriles war dabei, Chávez weiterhin als den wahren Gegner zu betrachten und Maduro als unwürdiger Nachfolger Chávez’ darzustellen.
Operativ lief die Kampagne sehr stark über das noch vergleichsweise freie Internet und über „canvassing“, also persönliche Begegnungen mit dem Kandidaten.
Dabei ist Venezuela nur ein Beispiel. Auch in anderen Ländern Lateinamerikas werden die Wahlkampagnen immer professioneller.
Die Pioniere unter den „Campañeros” tauchten mit dem Siegeszug der Demokratie in Lateinamerika Anfang der achtziger Jahre auf. Zumeist handelte es sich um ehemalige Politiker, die versuchten, ihre Kenntnisse auf dem Markt zu vergolden. 1995 wurde die ALACOP gegründet, ein lateinamerikanischer Verband für Politikberater.
Bis heute hat sich kein einheitlicher Markt im Bereich der politischen Kommunikation herausgebildet. Das verwundert kaum, ist die Parteienlandschaft in Lateinamerika trotz Ähnlichkeiten doch sehr heterogen. Hier treffen Parteien wie die Partido Nacional del Uruguay (gegründet 1836), die weit länger bestehen als manch europäische Volkspartei, auf Vereinigungen, die oft nicht länger existieren als einen Wahlkampf lang.
Bis vor 15 bis 20 Jahren waren politische Kampagnen fast das einzige Betätigungsfeld der Kommunikationsberater. Erst als NGOs, Interessenvertretungen und Unternehmen einen nachhaltigeren Einsatz von Kommunikation einforderten, kam unter dem modischen Schlagwort „permanent Campaigning“ die gesamte Bandbreite der institutionellen Kommunikation in Gang.

Gefragte Sozialforscher

Doch die Größe dieses Marktes ist überschaubar. Zum Vergleich: Der gesamte argentinische PR-Markt (inklusive Public Affairs und Governmental Relations) dürfte mit zirka 40 Millionen Euro dem Honorarvolumen des deutschen Marktführers entsprechen. Das meiste Geld verdienen Berater nach wie vor mit Wahlkämpfen. Selbst in kleineren Ländern wie Paraguay überschreiten Wahlkampfbudgets der einzelnen Parteien schnell die Grenze von 100 bis 200 Millionen Euro.
Lange dominierten in Lateinamerika Kampagnen-Experten aus den USA den Markt. Sie waren geografisch nah dran, außerdem ähneln sich die politischen Systeme. Doch der Einfluss des „Bruders im Norden“ geht seit etlichen Jahren zurück. Die Branche emanzipiert sich, auch weil die US-Kampagnenstars enttäuschten.
Viele von ihnen brachten ihre Strategien gleich in vorgefertigter Form mit nach Lima oder Buenos Aires – ohne Rücksicht auf lokale Besonderheiten, dafür mit sehr großzügigen Honorarvorstellungen. Ein Beispiel hierfür lieferte eine renommierte US-Firma, die den bolivianischen Ex-Präsidenten Gonzalo „Goni“ Sánchez de Lozada im Wahlkampf 2002 beriet. Die Berater verkannten den Underdog unter den damaligen Herausforderern völlig. Und so verfehlte ein gewisser Evo Morales nur ganz knapp den Wahlsieg.
Lokale Berater werden indes immer wettbewerbsfähiger. Besonders erfolgreich sind empirische Sozialforscher. Das ist allerdings kaum überraschend, bedenkt man, dass selbst grundlegende soziodemographische Daten in Lateinamerika wie Staatsgeheimnisse behandelt werden. Möglicherweise ist dies eine Erklärung dafür, dass den Meinungsforschern schnell der Nimbus von Strategen anhaftet.
Brasilien fällt in vielerlei Hinsicht aus dem Rahmen. Die Sprache, die politische Kultur und die Mentalität unterscheiden sich deutlich vom Rest Lateinamerikas.
Die dichte Vertaktung an Wahlgängen – alle zwei Jahre wird in ganz Brasilien zeitgleich entweder auf kommunaler, bundesstaatlicher oder nationaler Ebene gewählt – führt zu einem sehr kleinteiligen, aber nachfrageintensiven Markt für politische Kampagnen.

Fröhlich, frisch, Brasilien

Brasilianische Kommunikationsberater sind aber auch außerhalb ihres Landes immer gefragter. Einige von ihnen berieten im Oktober 2012 den damaligen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez (Joao Santana) wie auch seinen Rivalen Henrique Capriles (Renato Pereira und Francisco Mendes). Ebenso griffen der Mexikaner A.M. López Obrador sowie der Peruaner Ollanta Humala auf die Expertise von Brasilianern wie Luis Favre zurück.
Die Kampagnen der brasilianischen „Campagneiros“ sind meist fröhlich, frisch und oft an der Grenze zum Kitsch. Sie werden immer dann gerufen, wenn die Ausgangslage besonders schwierig ist. Schließlich haben sie den Ruf, sprichwörtlich einen Wolf in ein Schaf verwandeln zu können. Beispielhaft war die Kampagne, die 2002 Duda Mendonça für den damaligen Kandidaten L.I. „Lula“ da Silva umsetzte.
Mendonça machte aus dem Bürgerschreck einen Staatspräsidenten. Die von Mendonça konzipierte Kampagne setzte auf Dialog und Ausgleich. Die Botschaft des Slogans „Lulinha, Paz e Amor“ (Lulachen, Friede und Liebe) vermittelte eine konziliante, dialogbereite Haltung. Glaubhaft wurde sie auch durch Äußerlichkeiten: So trat Lula im Anzug auf und stutzte seinen Bart.
Dass diese Expertise in den vergangenen Jahren besonders nachgefragt wurde, liegt jedoch weniger an einer vermeintlichen Vorherrschaft brasilianischer Berater. Tatsache ist, dass es in den vergangenen Jahren einfach dem lateinamerikanischen Zeitgeist entsprach, sich seinen Wählern als moderat und geläutert zu präsentieren.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Na, Klassenfeind? Ein Linker und ein Liberaler über Freundschaft zwischen politischen Gegnern. Das Heft können Sie hier bestellen.