Eine Täter-Opfer-Beziehung

Interview

Herr Müller, Terminkalender, Notizblock, Stifte, Papier- und Zeitungsstapel – all diese Gegenstände lassen sich heute gegen Smartphone oder Tablet austauschen. Wie prestige- und aussagekräftig sind Schreibtische da noch?

Gerade unter den Älteren gibt es aber auch noch immer viele, die überhaupt kein Notebook auf dem Tisch haben. Richard von Weizsäcker beispielsweise, ich glaube nicht, dass er mit einem Computer umgehen konnte. Aber einiges hat sich schon verändert. Für mich ist immer eine gewisse Unordnung von Vorteil – was bringt mir ein leerer Schreibtisch? Da gibt es auch Gemeinheiten meinerseits. So habe ich den ehemaligen Innenminister Otto Schily, der ein knallharter Mensch ist, an seinem ersten Tag im neuen Berliner Büro fotografiert. Da saß er natürlich hinter einem leeren Schreibtisch. Aber die Kälte, die er ausstrahlt, sieht man auf dem Foto – insofern ist es auch wieder gerecht.

Was macht Schreibtische so faszinierend für Sie?

Ich stelle mir immer vor, dass Adolf Hitler ja auch einen Schreibtisch hatte, in einem Raum, der so groß war wie ein Fußballfeld. Ein Schreibtisch ist immer ein Instrument der Macht – seine Größe und Schwere, und die Chefsessel, die so anders aussehen als die Stühle für die Besucher, all das hat eine Wirkung. Wenn jemand an Hitlers Schreibtisch herangetreten ist, war er ja kaum noch zu sehen, nur noch als kleines Würmchen. Schreibtische dienen zur Selbstinszenierung. Wladimir Putin, den ich für den Band ebenfalls fotografiert habe, hatte vermutlich einem Stuhl, den er hochstellen konnte. Er ist ja ein ganz kleiner Mann.

Kann die Atmosphäre eines Arbeitsplatzes einen Menschen in neuem Licht erscheinen lassen?

Ja, klar. So ging es mir zum Beispiel mit dem Modemacher Harald Glööckler. Ein hochinteressanter und intelligenter Mensch, der allerdings eine Mode gestaltet, die mir nicht gefällt. Ich habe ihn gebeten, sich für den Bildband an einen Schreibtisch zu setzen, obwohl er an einem solchen gar nicht arbeitet. Also hat er sich an seinen nachgemachten Louis XV gesetzt, auf dem ein riesiger Apple-Bildschirm steht. Er wusste überhaupt nicht, was er dort machen sollte. Er sitzt also da und jeder Mensch sieht sofort, dass er damit nichts anfangen kann. Ich habe aber nicht das Gefühl, ihn reingelegt zu haben. Herr Glööckler ist selbstironisch genug für so etwas.

Foto: Laurin Schmid

Und welche Rolle spielt in so einer Situation Authentizität?

Das ist natürlich reine Inszenierung, wenn die Menschen für das Foto einen Blick in den Kalender werfen oder einen Brief auf dem Schreibtisch so positionieren, dass man den Briefkopf eines bedeutenden Absenders erkennen kann. Authentisch ist der Raum in jedem Falle, authentisch ist auch der Mensch, den ich fotografiere. Aber so, wie er agiert, in dem Moment, in dem der Fotograf kommt, das ist eine ganz andere Sache. Und die meisten inszenieren sich eben. Es gibt nur ganz wenige Ausnahmen, bei denen ich davon ausgegangen bin, dass sie das nicht tun. Zum Beispiel der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt. Und dann hängt es natürlich auch immer davon ab, wie diskret der Fotograf ist. Ich habe nur eine einzige Kamera und ein Stativ, auch vom Licht her verändere ich überhaupt nichts. Ich schminke Menschen nicht und zwinge sie auch nicht, etwas zu tun, das ihnen widerstrebt. Meine Arbeit besteht eigentlich immer in der Beobachtung der Menschen. Deshalb lässt sich unsere Bundeskanzlerin auch nicht von mir fotografieren, weil sie sich nicht beobachten lassen möchte.

Aber Sie haben Angela Merkel doch fotografiert.

Ja, sie hat sich zweimal jeweils fünf Minuten auf einen Stuhl gesetzt, in einem Raum, den sie ausgesucht hat, mit dem Licht, das sie wollte. Da wäre ich einmal fast gegangen.

Und warum sind Sie geblieben?

Weil es immerhin die deutsche Bundeskanzlerin ist. Ich habe alle Kanzler fotografiert, von Konrad Adenauer an. Da wollte ich für meine Galerie mindestens ein halbwegs vernünftiges Porträt. Das Foto von ihr sieht ganz anders aus als die der anderen, weil es mit Ungeduld von ihr inszeniert ist. Das kann man nicht machen. Ich bin 15 Jahre älter als die Frau Bundeskanzlerin und beherrsche meinen Beruf mindestens so gut wie sie ihren.

Wie viel Zeit erfordert es denn, ein gutes Porträt zu fotografieren?

Ich habe neulich als Auftragsarbeit den ehemaligen hessischen Ministerpräsident Roland Koch fotografiert. Das ist ein Mensch, den ich nicht mag. Das Ganze hat fünf Minuten gedauert. Generell: Ich weiß sofort, welcher Raum der passende ist und arbeite analog. Ich habe einen Rollfilm, da sind zwölf Bilder drauf. Die mache ich und danach gehe ich nach Hause. Wenn ich durch den Bildschacht meiner Rolleiflex schaue, weiß ich ganz genau, ob alles stimmt.

Aber das Gelingen hängt immer auch von Ihrem Gegenüber ab.

Ja, da kommt noch die psychologische Rolle des Fotografen hinzu. Viele Menschen, auch berühmte, haben Angst vor der Kamera. Das Bild ist eine unglaublich direkte Konfrontation. Eigentlich ist das eine Täter-Opfer-Beziehung – wobei ich nicht das Opfer bin. Ob die Person bei mir ist, sehe ich sofort an ihren Augen. Wenn Termindruck besteht und der Pressesprecher im Hintergrund mit Papieren herumwurschtelt, ist die Aufmerksamkeit nach zwei, drei Minuten weg.

Foto: Laurin Schmid

Hatten Sie als Fotograf mit den Eitelkeiten von Politikern zu kämpfen?

Ich kenne in der Politik mindestens zwei eitle Menschen: Oskar Lafontaine und Joschka Fischer. Das sind Männer, denen es nicht in die Wiege gelegt wurde, eine steile politische Karriere zu machen. Der eine geht besser damit um als der andere. Der uneitelste war, wie schon gesagt, Willy Brandt. Ein Mann, der immer wusste, was ich mit der Kamera mache und den ich ja auch über zehn Jahre lang begleitet habe, ist Helmut Kohl. Obwohl politisch Galaxien zwischen uns liegen, haben wir uns immer sehr gut verstanden.

Sie haben mal gesagt, ein Politiker habe keine Freunde. Warum glauben Sie das?

Ein Spitzenpolitiker hat keine Zeit, Freundschaften zu pflegen. Füreinander da sein, Konflikte austragen, Liebe austauschen – so viel Zeit haben diese Leute nicht.

Ende der 80er Jahre haben Sie mal von Helmut Kohl einen Schnappschuss gemacht …

Ein Schnappschuss? Was soll das sein? So etwas gibt es bei mir nicht. Alles, was ich mache ist inszeniert und durchdacht. Ein Schnappschuss wäre – was „Spiegel“ und „Stern“ drucken würden – ein Bild von Helmut Kohl, wie er die Zunge zwischen die Lippen schiebt, was er häufig gemacht hat. So etwas würde ich niemals veröffentlichen!

Ich spiele auf die Situation an, in der Sie in einer Kneipe spontan den damaligen Kanzler fotografierten, wie er seine Ehefrau Hannelore anlächelte. Anschließend haben Sie ihm zugeraten, dieses Bild für Wahlplakate zu verwenden, was er 1994 dann auch tat. Warum hielten Sie das für klug?

Da waren wir zusammen in der Pfalz beim Mittagessen. Das Licht kam von oben und ich habe diesen Blick zum ersten und letzten Mal von ihm gesehen, das musste ich fotografieren. Ich habe ihm gesagt: Das ist das Porträt von Ihnen – auf ein Wahlplakat mit diesem Bild müssen Sie nicht mal Ihren Namen oder das Parteilogo drucken, das ist ein Hingucker. Ich glaube generell, dass die Schwarz-Weiß-Fotografie die Menschen zwischen all dem Bunten zum Hinschauen bewegt.

Foto: Laurin Schmid

Wie bewerten Sie es, dass sich Politiker meist auf Fotos für Wahlplakate und Presse am Computer via Nachbearbeitung glätten lassen?

Da sind wir wieder bei der Bundeskanzlerin. Von Angela Merkel gibt es Plakate, auf denen sie aussieht wie ein Girlie, da sie bis zur Unkenntlichkeit bearbeitet sind. Ich halte das für dumm. Denn sie lebt bei jedem von uns im Wohnzimmer, erscheint  jeden Tag auf dem Bildschirm. Wenn sie abends um 23.30 Uhr aus London kommt, einen 18-Stunden-Tag hinter sich hat und dann von den hochauflösenden Kameras gefilmt wird, sehen wir ihr Gesicht so nah, wie man sich selbst nicht mal im Rasierspiegel sehen kann. Jeder weiß genau wie sie aussieht. Die Menschen lachen sie also aus, wenn sie die nachbearbeiteten Fotos sehen. Das ist nicht klug.

Barack Obamas Foto “Four more years”, auf dem er seine Frau umarmt, ging nach seiner Wiederwahl um die Welt. Warum wird die Macht der Bilder in Deutschland nicht auf diese Weise genutzt?

Das sind alles unglaubliche inszenierte PR-Bilder. Aber mit wem sollte Frau Merkel so posieren? Ihr Mann hält sich ja klugerweise zurück. Oder Gerhard Schröder, der müsste ja alle paar Jahre mit einer neuen Frau auftauchen…

Glauben Sie denn, es wird auch in der deutschen Politik künftig vergleichbare Bilder geben?

Das wird kommen, da bin ich sicher. Wir sind ja die ganz großen Nachahmer der USA. Mir ist das wurscht.

Die Fotoausstellung und Buchveröffentlichung “Über Schreibtische” findet vom 15. bis zum 28. Oktober in den Räumen der Agentur Blumberry in Berlin-Mitte statt.