Digital kollaborieren, persönlich vernetzen

Politik

Im Washington der New-Deal-Ära machte sich Henry Pomeroy “Roy” Miller einen erfolgreichen Namen als Lobbyist, indem er auf ein relativ einfaches, aber offenbar tragfähiges Konzept setzte: “Bourbon, beefsteak and blondes”. Im Restaurant des Repräsentantenhauses unterhielt er einen auf seinen Namen reservierten Tisch, an dem sich Abgeordnete auf seine Kosten stärken konnten. Er konnte sich auf eine nicht allzu große, aber verlässliche Zahl von Repräsentanten stützen, die als die Miller Group bekannt waren. Gleichwohl sich die Zunft der politischen Kommunikation bis heute dem Verdacht ausgesetzt sieht, Einflussnahme genauso zu betreiben, haben sich in den vergangenen 80 Jahren bei der politischen Interessensvertretung nicht nur die ethischen Standards geändert. Vor allem der technische Fortschritt verändert seitdem die Art und Weise, wie wir – nicht nur mit politischen Entscheidungsträgern, sondern in allen Bereichen – kommunizieren. Und mit dem Fortschrittssprung der Digitalisierung hat sich auch die Public-Affairs-Arbeit wesentlich gewandelt.

Der Begriff “Digital Public Affairs” erfreut sich in der politischen Kommunikationsszene wachsender Begeisterung. Nach der Public-Affairs-Umfrage von MSL Germany nutzt fast jeder zweite (46 Prozent) Public-Affairs-Verantwortliche Social-Media-Kanäle zur politischen Kontaktpflege. Spitzenreiter unter den Kanälen ist mit 60 Prozent Twitter, ungeachtet der Tatsache, dass immer mehr Politiker ihren Account dort löschen. Doch trotz dieser neuen Möglichkeiten, die die technische und soziale Entwicklung mit sich bringt, gilt nach wie vor: Es gibt kaum ein Geschäft, das so sehr mit dem persönlichen Gespräch verbunden ist wie die Lobbyarbeit. Digital Public Affairs wird damit immer ein komplementäres Element sein, aber im Kern bleibt die Politikkommunikation so, wie schon zu Zeiten von Roy Miller: Eine auf Vertrauen und persönliche Netzwerke gestützte Kommunikation – freilich mit anderen Begleitumständen als seinerzeit.

Die unterschätzte Komplexität

Die wichtigsten Arbeitsutensilien des Lobbyisten sind nach wie vor sein Adressverzeichnis, der Kalender und ein Notizbuch – selbstverständlich heute alles in digitaler Form. Und natürlich sein, meist über Jahre aufgebautes, Fachwissen über Themen sowie Erfahrung in politischen Prozessen. Aber so selbstverständlich wie wir alle die Digitalisierung unserer Adresskalender mitgemacht haben – so sehr vertrauen wir bei Prozessen und Wissen nach wie vor auf unseren Kopf. Das mag ausreichend sein, solange die Politikkommunikation eines Unternehmens oder eines Verbands lange in einer bewährten Hand liegt und die Themen wie Prozesse eine gewisse Komplexität nicht übersteigen – beides Merkmale der Bonner Republik. Doch heute sehen sich professionelle Interessenvertreter vor neue Herausforderungen gestellt, die sowohl innerhalb ihrer Organisation, aber natürlich auch von außen an sie gestellt werden.

Es ist eine Binsenwahrheit, dass die Politik in den vergangenen Jahrzehnten sehr viel komplexer geworden ist. Der Bedarf und die Detailtiefe von Regulierungen steigt, gleichzeitig spielen immer mehr Ebenen von internationalen Organisationen über die Europäische Union bis in die föderalen Strukturen eine Rolle. Die Medien, früher in der Politikkommunikation eher gemieden, sind heute integraler Bestandteil von Kommunikationskonzepten, sorgen aber auch für größere Transparenz. Immer mehr nationale wie internationale Nichtregierungsorganisationen betreten den Kreis der Stakeholder. Bürgerbeteiligung stellt neue Anforderungen an die Public-Affairs-Arbeit – tatsächlich wird diese in zunehmendem Maße “Public” und damit nehmen auch Forderungen nach organisierter Transparenz und gesetzlicher Regulierung zu. Roy Miller hätte heute wohl kein Vergnügen mehr an seinem Job.

Die Arbeitsrealität sieht wenig modern aus

Gleichzeitig nimmt die Komplexität innerhalb der Organisation zu. Public Affairs ist heute ein nicht wegzudenkender Bestandteil der Unternehmenskommunikation, nicht nur auf C-Level-Ebene. Die Schnittstellen zu anderen Abteilungen in einem Unternehmen werden zahlreicher – bis hin zum Marketing und dem Einkauf. Unternehmen machen sich heute im Rahmen von Corporate Social Responsibility verstärkt Gedanken, wie sie gegenüber der Gesellschaft und Öffentlichkeit auftreten. Und in Zeiten von optimierten Budgets und dem scharfen Blick auf den Shareholder Value nehmen Rechenschafts- und Berichtspflichten zu.

Nun ist das eine Entwicklung, die natürlich nicht nur Public-Affairs-Verantwortliche betrifft, sondern die Arbeitsgrundlagen in allen Bereichen einer Organisation verändert. Um diese zunehmende Komplexität zu reduzieren und den einzelnen in seiner Tätigkeit zu unterstützen, bietet die Digitalisierung zahlreiche Lösungen. Unternehmenssoftware zur Kundenpflege oder zum Projektmanagement sind ebenso selbstverständlich wie der Einsatz von Programmen bei der Warenwirtschaft oder beim Knowledge Management. Plattformen zur Kollaboration ermöglichen Teams, transparent an einem Projekt zu arbeiten, Ressourcen effektiv einzusetzen und Wissen wie Ergebnisse zu teilen.

Aber all das ist fern der Arbeitsrealität von Public-Affairs-Teams. Stakeholderlisten werden in Excel erstellt und nach jeder Bearbeitung durch ein Teammitglied mit neuem Datum und zusätzlichem Namenskürzel gespeichert und per Mail an den nächsten Bearbeiter verschickt. Erkenntnisse aus Gesprächen mit Stakeholdern werden – wenn überhaupt – bei einem zufälligen Treffen an der Kaffeemaschine ausgetauscht. Google ist der größte Freund des Content Teams. Kollaboration findet in Teambesprechungen und Telefonkonferenzen statt, aber nicht dauerhaft und nicht in Echtzeit. Und das wichtigste Kapital, das Netzwerk, wird im Outlook-Adressverzeichnis verwaltet. Berufliche Veränderungen einer Kontaktperson werden mit viel Glück über die Timeline eines der sozialen Netzwerke registriert, bilden sich aber nicht im eigenen Verzeichnis ab. Berichte an übergeordnete Ebenen werden an langen Freitagabenden im Büro händisch erstellt. Kurzum: Die Vorteile der Digitalisierung werden auf die direkte Stakeholderkommunikation mit Twitter & Co. beschränkt. Und letztendlich: Verlässt ein Mitarbeiter die Organisation, nimmt er sein Wissen mit, oft zu einer konkurrierenden Organisation.

Roy Miller würde sich hier bequem zurücklehnen und darauf verweisen, dass es eben leider keine Software gibt, die auf politische Kommunikationsprozesse zugeschnitten ist. Dies war bis vor kurzem richtig. Mittlerweile gibt es auf dem Markt jedoch Lösungen, die politische Kommunikationsprozesse abbilden und mit Projekten, Stakeholdern und Dokumenten hinterlegen lassen. Sie ermöglichen Kollaboration, sind inhaltlich dank integrierter Schnittstellen zu Wissensdienstleitern stets aktuell und erstellen eine individuell steuerbare interne Transparenz über eine Vielzahl von Arbeitsebenen und über Ländergrenzen hinweg. Redundanzen in der Stakeholderansprache werden vermieden und dank einer Historie ist für jedes Teammitglied zu jeder Zeit der Kommunikationsstand abrufbar. Und am Freitagabend drückt man auf den Knopf und der Bericht für den Vorgesetzten erstellt sich automatisiert. Dann hat man vor dem Nachhauseweg noch Zeit auf einen Drink mit den Miller Boys – und hey: Das ist doch eigentlich der Job eines Lobbyisten, oder?