Die Zukunft der Interessenvertretung

Round Table

Der “Postillon” veröffentlichte kürzlich die Meldung: “Reichstagsgebäude soll erweitert werden, um allen 2.000 registrierten Lobbyisten Platz zu bieten.” Wie viel Wahrheit steckt in dieser Satiremeldung, leben wir in einer “Lobby-Republik”?

Kathrin Zabel: Ich halte diese Zahlenspiele für sehr gewagt. Bei allen Zahlen, die in Umlauf sind, sollte man sich fragen, von wem diese stammen und was damit ausgedrückt werden soll. Ich bin der Meinung, dass die Lobbyismus-Debatte entdramatisiert werden muss. Es nützt nichts, immer nur möglichst hohe Zahlen in die Welt zu setzen.

Timo Lange: Die genannte Zahl bezieht sich auf die etwa 2.000 Hausausweise für den Deutschen Bundestag, die laut Bundestagsverwaltung an Interessenvertreter herausgegeben wurden. Es gibt jedoch keine gesicherten Erkenntnisse darüber, wie viele Lobbyisten tatsächlich in Berlin arbeiten. Das muss sich ändern. Wenn man als professioneller Interessenvertreter an politischen Entscheidungsprozessen mitwirken möchte, sollte man sich offiziell registrieren und Informationen über seine Arbeit offenlegen müssen. Es ist ein Problem, dass zum Großteil nicht bekannt ist, wer einen Hausausweis besitzt.

Hier am Tisch, wer von Ihnen hat einen Hausausweis?

Alle heben die Hand – und lachen.

Axel Wallrabenstein leitet den Beschwerdeausschuss Politik des Deutschen Rats für Public Relations (DRPR) und ist Chairman der Agentur MSL Germany (c) Julia Nimke

Axel Wallrabenstein: Diese Zahlenspielerei ist nicht das entscheidende Thema, auch wenn Medien es gern so darstellen. Worum es eigentlich geht: Lobbying ist fester und legitimer Bestandteil des demokratischen Prozesses. Wir brauchen aber eine gewisse Kontrolle, damit nicht jeder machen kann, was er will. Ob es 2.000, 5.000 oder 10.000 Interessenvertreter in Berlin gibt, ist dabei nicht die entscheidende Frage.

Dominik Meier: Das sehe ich genauso: fünf oder 5.000 – das ist egal. Die Degepol begrüßt übrigens die Offenlegung der Hausausweise durch die Bundestagsfraktionen ausdrücklich.

Wallrabenstein: Ich habe auch überhaupt kein Problem damit, wenn veröffentlicht wird, wer über wen einen Hausausweis bekommt. Das ist im Grunde auch uninteressant. Als die SPD-Fraktion kürzlich veröffentlicht hat, wer von ihr einen Hausausweis erhalten hat, waren auch Caterer und Kleinstfirmen dabei, die kein Mensch kennt. Da stellt sich doch die Frage, ob man – wie Lobbycontrol es tut – diese Frage überhaupt diskutieren muss.

Lange: Dienstleister der Fraktionen hätten tatsächlich nicht veröffentlicht werden müssen.

Wallrabenstein: Das sehe ich anders: Wenn, dann sollte man alle nennen.

Zabel: Richtig, man muss schon sorgfältig mit Zahlen umgehen, damit nicht aus 2.000 Inhabern von Hausausweisen automatisch “2.000 Lobbyisten” werden.

Wallrabenstein: Der “Postillon” hätte genauso gut schreiben können: “Bundestag muss erweitert werden, weil jeder Netzaktivist einen Hausausweis haben will.”

In den Medien kursieren nicht nur Zahlen. Lobbyisten werden oft als im Verborgenen tätige Einflüsterer dargestellt. Die Community weist diesen Vorwurf zurück, räumt aber ein, dass es schwarze Schafe gibt. Die Deutsche Gesellschaft für Politikberatung (Degepol), Herr Meier, setzt sich für “ethisches Lobbying” ein – was heißt das?

Meier: Wir setzen uns als Politikberater seit zehn Jahren für professionelles Lobbying nach klaren Ethik- und Qualitätsstandards ein. Diese Standards können wir aber nur durchsetzen, wenn wir in diesem Ziel von der Politik unterstützt werden. Wir haben einen Kodex verabschiedet, der für alle verbindlich ist. Außerdem haben wir im Deutschen Rat für Public Relations (DRPR) einen Lobby-Ausschuss geschaffen, den Axel Wallrabenstein derzeit führt. Wer gegen die Kodizes von Degepol und DRPR verstößt, wird untersucht und gegebenenfalls sanktioniert. Mit Transparency International haben wir außerdem schon 2007 ein verpflichtendes Lobbyregister gefordert, das Auskunft über Namen, Auftraggeber, Ziele und Finanzen gibt.

Frau Zabel, im Gegensatz zur Degepol hat der von Ihnen geleitete Arbeitskreis Public Affairs der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG) damals für ein freiwilliges Register plädiert. Welche Aussagekraft soll eine Liste haben, die nur einen Teil der Akteure abbildet?

Zabel: In der Vergangenheit haben wir uns in der Tat etwas zurückgehalten. Aus folgendem Grund: Ein Register ergibt nur Sinn, wenn es für alle gilt und auch für alle erfüllbar ist. Aus unserer Sicht war der Vorschlag eines Pflichtregisters insbesondere für Rechtsanwälte – Stichwort Mandantenschutz – nicht erfüllbar. Inzwischen haben wir aber eine Idee entwickelt, die Anwälte mit einbezieht, ohne dass diese ihre berufsständischen Interessen verletzen.

Kathrin Zabel leitet den AK Public Affairs der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG) und ist Senior Manager Govern­ment & Public Affairs bei der Deutschen Post (c) Julia Nimke

Wie soll das funktionieren?

Zabel: Wir wollen Transparenz schaffen, indem Interessenvertreter ihren Namen, die Organisation, für die sie tätig werden, Kontaktdaten sowie thematische Schwerpunkte offenlegen. Der entscheidende Punkt ist aber die Angabe über eine prozentuale Zusammensetzung der Finanzierungsquellen. Das ist viel aussagekräftiger, als wenn es heißt, dass einem Unternehmen X für Lobbyarbeit 30.000 Euro oder einem Verband Y 300.000 Euro zur Verfügung stehen. Allein bei Mietkosten macht es einen gewaltigen Unterschied, ob man sich eine gute Adresse wie Unter den Linden leistet oder im zweiten Hinterhof jenseits der Oranienburger Straße logiert. Eine Agentur kann durchaus offenlegen, dass soundso viel Prozent ihrer Einnahmen von Wirtschaftsverbänden, Unternehmen, NGOs oder aus der öffentlichen Hand stammen, ohne absolute Zahlen preisgeben zu müssen. Und Anwälte können das auch.

Stimmen Sie zu, Herr Wallrabenstein?

Wallrabenstein: Man kann das so machen, das ist völlig okay. Aber am Ende ist das ebenso nutzlos wie ein Lobbyregister. Ich bin zwar für ein Lobbyregister, vor allem, wenn es auch für Kanzleien und Anwälte gilt, aber es wird uns bei dem entscheidenden Problem nicht weiterbringen: Wie trennen wir die Spreu vom Weizen? Wir müssen beim Selbstverständnis der Branche ansetzen und dürfen diese Fragen nicht delegieren. Wir müssen selbstbewusst vorangehen. Hat es in den vergangenen zehn Jahren einen Lobbyskandal gegeben, den ein Register verhindert hätte? Nein.

Beim Lobbyregister geht es auch um Information der Öffentlichkeit.

Wallrabenstein: Damit tue ich mich etwas schwer. Ich will keine Medienschelte betreiben, aber wir sollten davon wegkommen, aus dem Lobbyregister ein billiges Recherchetool für investigative Journalisten zu machen.

Wäre das so schlimm?

Wallrabenstein: Nein, aber es ist nicht Aufgabe unserer Branche. Das beste Beispiel ist das Lobbyradar des ZDF. Das ist das nutzloseste Produkt, das ich jemals gesehen habe. Wenn ich meinen Namen dort eingebe, werde ich mit zwei Personen verlinkt. Das ist eine Beleidigung jedes professionellen Lobbyisten. (alle lachen) Ich möchte nicht wissen, wie viele Gebührengelder dort hineingeflossen sind.

Lange: Deshalb wäre es ja auch gut, ein aussagekräftiges Lobbyregister zu haben. Es geht um mehr, als nur Zahlen und Listen für die Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Es geht um ein wirkungsvolles Instrument zur Lobbyregulierung. So könnte man etwa nachvollziehen, welche ehemaligen politischen Entscheidungsträger nun in wessen Auftrag unterwegs sind. Das wäre auch nützlich für Parlamentarier. Außerdem würde ein solches Register die Frage klären, wer eigentlich als Lobbyist einzustufen ist. Viele Menschen wissen nichts über Lobbyismus und stellen sich vor, wie hunderte Lobbyisten vor der Bundestagskantine auf Abgeordnete warten.

Lobbycontrol stellt das ja zum Teil auch so da.

Lange: Nein, aber es gab in den vergangenen Jahren durchaus Fälle, wo die Akteure hinter einzelnen Kampagnen nicht sichtbar waren. Und in vielen anderen Fällen ist unklar, wer in die Lobbyarbeit für bestimmte Firmen und Interessen alles eingebunden ist. Darum geht es doch auch beim Lobbyregister.

Herr Meier, Kritikern zufolge fordert die Degepol ein Pflichtregis­ter auch deshalb, weil sich der Politikberatermarkt so bereinigen ließe – zutreffend?

Meier: Diese Mythen gibt es immer. Ein Lobbyregister muss universell, sanktionierbar, legitim und durchsetzbar sein. Dass wir nach acht Jahren immer noch kein Register haben, liegt nicht an der Branche, sondern an der Politik, die das nicht möchte. Das gehört zu einer ehrlichen Diskussion dazu. Es kann nicht sein, dass wir als “die Bösen der Republik” dargestellt werden. Die entscheidende Frage ist: Wer ist mit welchen Interessen wo und wann unterwegs? Und solange die Politik nicht reagiert, bleibt uns nur die Selbstregulierung.

Wallrabenstein: In dieser Frage möchte ich die Politik verteidigen. Natürlich machen sich die eher wirtschaftsfernen Parteien einen schlanken Fuß, denn sie betrifft die Debatte im Zweifel nicht. Für wirtschaftsnahe Parteien ist die Diskussion dagegen problematisch, denn Organisationen wie Lobbycontrol sind auch nicht objektiv. Es ist immer die Rede von guten Lobbyisten und bösen Lobbyisten – und natürlich sind NGOs immer die Guten und Wirtschaftsverbände und Unternehmen immer die Bösen. Wenn jemand vom Verbraucherverband ins Verbraucherschutzministerium wechselt, höre ich von Lobbycontrol nichts dazu. Wenn jemand gleichzeitig einen Verband der Musikindustrie führt und das Wirtschaftsministerium berät, wird dazu auch nichts gesagt. Wäre aber jemand vom Bankenverband ins Wirtschaftsministerium gewechselt, hätte es sofort eine Stellungnahme gegeben. Insofern ist das eine wechselseitige Geschichte: Wenn die Politik kein Vertrauen in die Aufsichtsgremien hat und nicht davon ausgehen kann, fair behandelt zu werden, ist die Motivation relativ gering, etwas zu tun. Ich gehe aber davon aus, dass das Thema Lobbyregister bei den Koalitionsverhandlungen nach der nächs­ten Bundestagswahl auf der Agenda stehen wird.

Herr Lange, die Wechsel von Gerd Billen und Helga Springeneer ins BMJV und die Berateraufgabe von Dieter Gorny im BMWi wurden angesprochen. Wie steht Lobbycontrol zu diesen Fällen?

Lange: Diese Seitenwechsel sind nicht unproblematisch, wir haben uns auch entsprechend geäußert. Allerdings fordern wir keine Verbote für Wechsel aus der Praxis in die Politik. In den USA gibt es das zum Teil, in Deutschland diskutieren wir dagegen vor allem Wechsel aus der Politik in Unternehmen und Verbände. Bei den genannten Fällen trägt die Politik die Verantwortung, dass es nicht zu einer einseitigen Bevorteilung kommt. Anders als bei Wechseln aus der Politik heraus ist das schwieriger durch eine Karenzzeit zu regeln. Der Großteil der Wechsel findet allerdings zwischen großen Unternehmen und Wirtschaftsverbänden und der Politik statt, Wechsel von und zu NGOs sind eher selten.

Timo Lange ist Politikwissenschaftler und als Campaigner im Berliner Büro von Lobbycontrol für die Themenfelder Transparenz- und Lobbyregulierung zuständig (c) Julia Nimke

Für Wechsel von Ministern und Parlamentarischen Staatssekretären in die Wirtschaft wurde 2015 eine je nach Einzelfall zwölf- bis 18-monatige Karenzzeit beschlossen. Ist es nicht Augenwischerei, für eine so kleine Gruppe Regeln zu treffen?

Lange: Nein, diese Gruppe ist durch ihre besondere Verantwortung auch besonders wichtig.

Wallrabenstein: Die Politik hat damit Handlungsfähigkeit bewiesen. Inwieweit das Gesetz wirklich etwas bringt, wird sich zeigen. Man muss dieser Regelung aber erst mal eine Chance geben. Wichtig ist, dass für alle dieselben Regeln gelten.

Zabel: Niemandem ist daran gelegen, Berufsverbote zu verhängen. Es muss auf allen Ebenen immer wieder einen Austausch geben, nur so kann sich unsere Gesellschaft weiterentwickeln. Wir sollten erst einmal schauen, wie das Gesetz wirkt, und nicht sofort überlegen, auf welche Gruppen es ausgeweitet werden könnte. Das führt zu Rechtsunsicherheit in der Branche und zu Politikverdrossenheit in der Bevölkerung.

Was halten Sie von der Regelung, Herr Meier und Herr Lange?

Meier: Wichtig ist, dass bei Seitenwechseln kein Unterschied gemacht wird: Unternehmen, NGOs, Verbände – das sind alles Interessenvertreter. Wir als Degepol begrüßen das Gesetz als einen ersten wichtigen Schritt. Das Wichtigste an dieser Regelung ist, dass Rechtsanwälte zum ersten Mal explizit mit enthalten sind.

Lange: Das stimmt. Es ist bemerkenswert, dass es nun möglich ist, einem ehemaligen Minister, der als Anwalt tätig ist, nach dessen Ausscheiden Auflagen zu erteilen. Das ist wirklich ein Durchbruch. Die Politik hat hier einen großen Schritt nach vorne gemacht.

Bringt Transparenz auch ­Probleme mit sich?

Meier: Transparenz ist kein Selbstzweck. Es braucht geschützte Räume in der politischen Kommunikation. Sonst ist Politik am Ende.

Wallrabenstein: Das Problem ist folgendes: Die, die sich transparent geben, sind am Ende die, über die in den Medien berichtet wird und die am Pranger stehen. Journalisten wie der “Stern”-Reporter Hans-Martin Tillack machen einen guten Job. Aber je präsenter man zum Beispiel auf Twit­ter ist, umso angreifbarer wird man, weil man wahrgenommen wird. Für mich sind Digital Public Affairs Alltag. Aber Lobbyisten, die ihre Arbeit nach wie vor im stillen Kämmerlein machen, werden in Ruhe gelassen. Ich bin sehr für Transparenz. Aber diese Transparenzbesoffenheit, die wir inzwischen haben, die halte ich für falsch. Nicht alles, was transparent ist, ist per se gut. Da bin ich eher bei Helmut Kohl: Entscheidend ist, was hinten herauskommt. Das Ergebnis ist entscheidend, nicht der Weg.

Ein Beispiel?

Wallrabenstein: Nehmen wir den Atomdeal mit dem Iran. Der wäre auf transparentem Wege nicht zustande gekommen.

Lange: Es gehört zum Wesen des Lobbyismus, dass derjenige, der intransparent handelt, einen Vorteil hat. Deswegen braucht es Regeln, die für alle gelten.

Zabel: Richtig. Solange es von Nachteil ist, transparent zu agieren, kommen wir in der Debatte nicht vorwärts.

Wallrabenstein: Deshalb muss sich unsere Branche – und das sage ich als Agenturvertreter – viel selbstbewusster aufstellen. Dazu gehört auch, dass man schwarze Schafe in den eigenen Reihen sanktioniert und notfalls auch ausschließt. Am Ende muss ein Gütesiegel stehen, das Mitglieds­agenturen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Auftraggebern bietet. Nur dann besteht ein Anreiz, sich Regeln und Kodizes zu unterwerfen.

Das klingt nach einer Art “Lobby Tüv”. Herr Meier, kürzlich haben Sie die Einführung eines unabhängigen Lobbybeauftragten im Bundestag gefordert. Könnte der diese Funktion ausfüllen?

Meier: Die Ausgangsfrage war, welche Möglichkeiten Politikberater neben der Selbstregulierung haben, Verantwortung für den demokratischen Prozess zu übernehmen, um für mehr Vertrauen bei der Bevölkerung in die Politik zu werben. So entstand die Idee des Interessenbeauftragten – einer beim Bundestag angesiedelten Vertrauensperson, die die Sorgen der Bevölkerung ernst nimmt, aber auch die Möglichkeit hat, schwarze Schafe unter den Interessenvertretern zu identifizieren. Ein Vorteil wäre, dass man dem Interessenbeauftragten im Gegensatz zu Selbstregulierungsorganen nicht vorwerfen könnte, dass er jemanden aus Wettbewerbsgründen sanktioniert.

Dominik Meier ist Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Politikberatung (Degepol) sowie Inhaber und Geschäftsführer von Miller & Meier Consulting (c) Julia Nimke

Ist der Ruf nach einem Interessenbeauftragten nicht Ausdruck der Erkenntnis, dass die Selbstregulierung nicht funktioniert?

Meier: Nein. Es ist nur eine ergänzende Möglichkeit, das Thema Transparenz voranzutreiben. Noch einmal: Es wird gern so dargestellt, aber wir leben hier nicht in einer Lobby-Republik. Wir leben in einer Demokratie, in der Interessen Mehrheiten finden müssen. Deshalb wehre ich mich vehement dagegen, uns Interessenvertreter pauschal als Sündenböcke für schlechte Politik abzustempeln.

Wallrabenstein: Ich finde es gut, wenn aus der Branche neue Transparenz­initiativen kommen. Aber wir sollten nicht ständig eine neue Kuh durchs Dorf treiben. Wir sollten die Dinge selbst in die Hand nehmen und nicht an Bundesregierung oder Parlament auslagern. Auch aus staatspolitischer Sicht halte ich das für falsch. Agenturen und Unternehmen, die Millionen verdienen, können die Kosten für einen Interessenbeauftragten nicht auf den Steuerzahler umlegen. Wenn es einen Lobbywächter braucht, soll der Bundestag sagen, was das kostet und das sollen dann Industrie und Agenturen bezahlen. Wer bestellt, der soll auch zahlen.

Zabel: Die Einführung eines Interessenbeauftragten ist eine durchaus interessante Idee. Damit soll aber vor allem eine zusätzliche Kontrollfunktion geschaffen werden und nichts, was per se mehr Transparenz bringt. Dann stellt sich aber die Frage: Funktio­niert die Selbstregulierung nicht? Ich bin der Ansicht, dass der Ethikrat beim DRPR gut funktioniert. Er hat auch den Vorteil, dass dessen Mitglieder die Branche genau kennen und damit einen viel besseren Einblick haben als Externe. Außerdem gibt es verschiedene Eskalationsstufen, sodass im ersten Schritt nicht gleich ein großer Skandal entsteht, der das Ende einer Karriere bedeuten kann. Jemanden an den Pranger zu stellen, kann einem Berufsverbot gleichkommen – darüber muss man sich im Klaren sein.

Wallrabenstein: Bedenken sollte man auch, dass der Ethikrat bislang ehrenamtlich organisiert ist. Ähnlich wie beim Werberat sollte die Branche die Einrichtung einer hauptamtlichen Struktur diskutieren. So ließe sich die Arbeit weiter professionalisieren.

Zabel: Das kann man durchaus debattieren.

In der Diskussion über Interessenvertretung wird oft so getan, als würde jeder Lobbyist, der Zugang zu Politikern hat, automatisch an Gesetzen mitschreiben. Herr Lange, warum wird Politikern nicht zugetraut, Interessen anzuhören und dann gewissenhaft abzuwägen?

Lange: Das hat auch mit Vertrauensverlust zu tun. Die Menschen leiten vom Ergebnis ab, dass sich bei einem Gesetz eine Lobbygruppe mit ihren Partikularinteressen durchgesetzt hat. So entsteht der Eindruck von Einflussnahme im Hinterzimmer. Es ist aber falsch, die Debatte auf das Parlament zu verkürzen. Die eigentliche Anlaufstelle für Lobbyisten im Hinblick auf Gesetzgebung sind die Minis­terien. Die sind natürlich angewiesen auf den Input von Experten. Ich halte es aber für wichtig, dass geregelt wird, dass bei der Anhörung von Interessenvertretern Ausgewogenheit und Transparenz herrscht.

Etwa 40 MdBs legen ihre Lobby-Termine freiwillig offen, EU-Kommissare müssen das sogar tun. Aber führen Terminlisten zu echter Transparenz?

Lange: Freiwillige Terminlisten sind natürlich begrenzt nützlich. Zumindest zeigen sie aber, ob in einem konkreten Fall wirklich alle relevanten Stimmen gehört wurden oder ob nur einseitig Gespräche stattfanden.

Aber lädt das nicht zum Tricksen ein – dass man sich an der Hotelbar statt im Amtszimmer trifft?

Lange: Es gibt immer Umgehungsstrategien, deshalb reicht eine reine Terminliste auch nicht aus. Wir brauchen ein klares Verfahren in der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Ministerien, wie man die Expertise der Stakeholder in den Prozess einbezieht. Und dieser Prozess sollte transparent sein.

Wallrabenstein: Es muss aber auch noch Raum für vertrauliche Gespräche geben. Und wenn sich Günther Oettinger mit zehn Vertretern der Wirtschaft aber nur mit drei NGOs trifft, sagt das doch nichts über die Qualität und Ergebnisse der Gespräche aus. Bei jedem direkt gewählten Abgeordneten wird, wenn ihn zehn Personen aus seinem Wahlkreis wegen eines Problems anschreiben, viel schneller die Alarmlampe angehen, als wenn ihn zwei Lobbyisten in Berlin um einen Termin bitten. Außerdem kann ein Abgeordneter doch unterscheiden, ob er in einem Gespräch informiert oder bedrängt wird.

Lange: Auch wir fordern nicht, jedes Gespräch live zu streamen. Es braucht durchaus einen Raum, vertrauensvoll Argumente auszutauschen, ohne sich für jeden Gedanken in der Öffentlichkeit rechtfertigen zu müssen. Die relevanten Daten über Auftraggeber und Ziele eines Lobbyisten sollten aber klar für alle sichtbar sein.

Zabel: Also ganz ehrlich: Wenn ein Interessenvertreter einem Abgeordneten Positionen vorträgt und nicht sagt, in wessen Auftrag er unterwegs ist, wird er doch nicht ernst genommen. So bekommt man vielleicht einen Termin, aber dann nie wieder. Das spricht sich doch rum.

Lange: Ich kenne Abgeordnete, die nicht immer wissen, mit wem sie es eigentlich zu tun haben.

Zabel: Aber dann sind sie selbst schuld, das kann man doch erfragen.

Round-Table-Debatte über die Zukunft von Public Affairs (c) Julia Nimke

In der Debatte geht es immer auch um Machtungleich­gewichte. Zum 10. ­Geburtstag zählte Lobbycontrol Erfolge auf, die sich der Verein zuschreibt, darunter Transparenz bei MdB-Nebenverdiensten und Karenzzeiten. Ist ein Verein wie Ihrer mit einem Jahresetat von 600.000 Euro nicht ein Beweis dafür, dass man auch ohne Millionenbudget erfolgreich seine Interessen vertreten kann?

Lange: Ja. Geld ist nicht alles, auch in der politischen Interessenvertretung nicht. Das Machtungleichgewicht ist dennoch sehr groß, denn es ist ja in der Gesellschaft vorhanden. Unternehmen sichern Wohlstand und Arbeitsplätze – das sind schlagkräftige Argumente gegenüber der Politik. Außerdem gibt es gesellschaftliche Gruppen, deren Interessen diffuser und damit in der politischen Kommunikation schwer zu fokussieren sind. NGOs gelingt das punktuell beispielsweise beim Thema TTIP, aber verglichen mit klaren Unternehmensinteressen ist es viel schwieriger, Druck zu erzeugen.

Lobbycontrol finanziert sich über Spenden. Natürliche Personen listen Sie in Ihrem Jahresbericht erst ab einer Höhe von 10.000 Euro auf – ist das transparent?

Lange: Das ist aus meiner Sicht ein angemessenes Level an Transparenz. Gegen die vollständige Offenlegung aller Spender steht der Persönlichkeitsschutz unserer Förderer. Es geht doch darum, ob diejenigen Zuwendungen sichtbar sind, aus denen Interessenkonflikte erwachsen können. Zuwendungen von juristischen Personen legen wir bereits ab 100 Euro offen.

Sie könnten ja in Sachen Transparenz mit gutem Beispiel vorangehen.

Lange: Das tun wir auch, mit unseren Transparenzregeln gehen wir deutlich über die Anforderungen der Initiative Transparente Zivilgesellschaft hinaus. Ein Lobbyregister würde wiederum auch für NGOs klare und verbindliche Standards setzen.

Meier: Ich finde es gut, dass Timo Lange sagt: Geld ist nicht alles. Es tut der Debatte gut, mit dem Mythos “David gegen Goliath” aufzuräumen. Lobbycontrol hat 600.000 Euro Jahresbudget, die Degepol 30.000 Euro – Geld ist wirklich nicht der entscheidende Punkt.

Lange: Geld ist natürlich trotzdem wichtig.

Wallrabenstein: Da würde ich auch nicht widersprechen.

Meier: Aber das Thema Machtungleichgewichte hat verschiedene Dimensionen – Geld ist eine, gesellschaftliche Akzeptanz, mediale Präsenz und Fähigkeiten der Organisation sind weitere.

Zabel: Das Thema Machtungleichgewichte in der Gesellschaft möchte ich hinterfragen. NGOs und Wirtschaftsunternehmen funktionieren einfach unterschiedlich. NGOs suchen öffentliche Präsenz, wenn sie von der Bevölkerung Geld haben wollen. Dafür müssen sie ihre Daseinsberechtigung belegen. So sind hervorragende Geschäftsmodelle entstanden und es gibt NGOs mit Millionenbudgets, von denen manche Verbände und Unternehmen nur träumen können. Wichtig ist, dass die Diskussion auf einer sachlichen Ebene stattfindet. Sobald Emotionen im Spiel sind, wird es unsachlich und auch so entstehen Machtungleichgewichte. Professionelles Lobbying erfordert Zeit, Knowhow und Erfahrung. Geld ist zwar wichtig, da wir alle nicht für umsonst arbeiten, aber es ist für den politischen Einfluss nicht entscheidend.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wie stellen Sie sich Lobbying im Jahr 2050 ideal­typisch vor?

Zabel: Die zentrale Frage wird auch 2050 lauten: Wen will ich mit welcher Botschaft erreichen? Entsprechend wähle ich das passende Mittel. Das ist Kommunikations-Einmaleins, wie wir es vor 25 Jahren gelernt haben. Auch 2050 wird ein Nebeneinander der Kanäle und Methoden möglich und notwendig sein. Auf Seiten der Interessenvertretung wird sich die Professionalisierung und Spezialisierung fortsetzen. Es gibt schon heute viel weniger Generalisten als vor 15 Jahren. Das politische Geschäft ist viel komplexer geworden. Dafür braucht es Experten.

Lange: Die Frage ist, wie Demokratie aussehen wird im Jahre 2050. Die müssen wir gemeinsam weiterentwickeln und neue Kommunikationswege werden sie verändern. Es wird mehr Partizipation geben – das ist die positive Vision. Doch auch eine weniger schöne Vision zeichnet sich ab: Schon heute wird über neue Gremien nachgedacht, die frühzeitig den Zugang für Wirtschaftsinteressen im Gesetzgebungsprozess ermöglichen. Extraparlamentarische Gremien könnten die Macht der Parlamente schwächen. Das sehe ich mit großer Sorge.

Wallrabenstein: Wenn man nicht 35 Jahre vor-, sondern zurückschaut, entdeckt man viele Parallelen. Parteitage sehen heute im Ablauf nicht sehr anders aus als 1980, auch im Hinblick darauf, wie Lobbyisten dort agieren. So viel hat sich nicht verändert – was gut ist, denn manche Rituale müssen auch sein. Hinzugekommen ist aber die permanente Kommunikation über die sozialen und elektronischen Medien. Im Jahr 2050 wird es neue Dinge geben, an die wir heute noch gar nicht denken. Digital Public Affairs werden eine große Rolle spielen. Und sicher wird alles schneller und transparenter sein.

Meier: Die Grundlage von Politik ist die Logik von Macht. Die Erfahrungen von Sunzi bis Machiavelli zeigen: Instrumente und Methoden von Machtprozessen ändern sich nicht. Es ändern sich die Kommunikationskanäle, der kulturelle Kontext, die Akteure und die Rahmenbedingungen von Politik. Ich sage: Im Kern wird sich damit auch in der Interessenvertretung nichts ändern.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation IV/2015 Zukunft. Das Heft können Sie hier bestellen.