Die Weltbühne

[no-lexicon]Der Artikel kommt für Gerhard Schröder zur Unzeit. Eine Londoner Zeitung hat gedruckt, was man sich im politischen Berlin nur hinter vorgehaltener Hand erzählt: Der Kanzler habe eine Affäre mit einer Journalistin. Ausgerechnet jetzt steht seine Neujahrspressekonferenz an. Eigentlich wollte er über Wichtigeres reden: Die UNO hat eine zweite Resolution zum Irak verabschiedet und Sigmar Gabriel fordert in Niedersachsen die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Doch unter den Journalisten im gut gefüllten Saal der Bundespressekonferenz gibt es nur noch das eine Thema. Nur: Danach zu fragen, traut sich keiner.

Schließlich meldet sich ein ausländischer Kollege. Der Amerikaner fragt Schröder, was er denn von der Berichterstattung über sein Privatleben halte. Die Leiterin der Veranstaltung, Angela Wefers, wiegelt ab: Die Frage habe nichts mit Innenpolitik zu tun. Sie lasse sie nicht zu. Plötzlich wird es laut im Saal. „Doch, doch!“, rufen die Pressevertreter. Nach einem Moment des Zögerns lehnt sich der Kanzler nach vorne: „Wie geht es denn Ihrer Ehe?“, fragt er den Korrespondenten.

Heute kann Erik Kirschbaum über diese Episode aus dem Jahr 2003 lachen. „Ich war neugierig“, sagt der Reuters-Korrespondent im Newsroom am Schiffbauerdamm. Der 53-jährige gebürtige New Yorker lebt und arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren als Journalist in Deutschland. Er fühlt sich hier zu Hause. Sein Deutsch ist tadellos. Ab und an verwendet er eine amerikanische Floskel. Dass seine deutschen Kollegen den Kanzler damals nicht zu der angeblichen Affäre befragt haben, findet er immer noch merkwürdig: „Manchmal stellen deutsche Journalisten einfach nicht die Frage des Tages“, sagt er.

Ausländische Korrespondenten, die aus Deutschland berichten möchten, müssen sich den deutschen Gepflogenheiten anpassen. „When in Rome, do as the Romans do“, nennt Kirschbaum das. Er ist heute Vorsitzender des Vereins der Ausländischen Presse (VAP), der Interessenvertretung der internationalen Korrespondenten. Wer für ausländische Medien über die Bundespolitik berichten möchte, der kommt am VAP kaum vorbei. Der Verein vermittelt Kontakte zu Verbänden und Ministerien, veranstaltet Pressekonferenzen und Hintergrundgespräche. Auch der denkwürdige Dialog zwischen Schröder und Kirschbaum wäre ohne den VAP kaum möglich gewesen. „Zugang zur Bundespressekonferenz ist ein wichtiger Grund, warum die Leute zu uns wollen“, weiß Kirschbaum. Der Verein pflegt seit jeher gute Beziehungen zu seinem innerdeutschen Gegenstück. Das Sekretariat des Vereins hat seinen Sitz im Haus der Bundespressekonferenz.

Ein internationales Netzwerk

Heute sind mehr als 400 internationale Korrespondenten in dem Verein organisiert. Die meisten von ihnen leben und arbeiten in der Hauptstadt. Viele sind Generalisten, berichten genauso über Politik wie über Wirtschafts- und Kulturthemen. Ähnlich vielseitig sind daher auch die mehr als 60 Termine, die der VAP seinen Mitgliedern jährlich bietet.

Nicht alle sind so gut besucht wie die Veranstaltung mit Dieter Kosslick. Einen Tag vor der großen Programm-Pressekonferenz stellt sich der Berlinale-Direktor traditionell den VAP-Mitgliedern. Rund 40 Korrespondenten sind zu dem Termin ins Magnus-Haus am Kupfergraben gekommen. Die Stimmung ist gut. Kosslick testet seine Pointen für die deutsche Presse. Die Fragen kommen aus Mexiko, Japan, China und Polen. Wenn einem Journalisten ein deutsches Wort entfällt, helfen die Kollegen auch mal gerne bei der Übersetzung. „Durch die Krise der Branche erleben wir einen Zuwachs an freien Journalisten“, sagt Regine Standke. Sie leitet das Sekretariat des VAP. Die entspannte Atmosphäre sei typisch für solche Termine, da nur wenige Journalisten Korrespondenten direkt konkurrierender Medien eines Landes sind.

Die meisten ausländischen Korrespondenten bleiben nur kurz in Deutschland. Nach drei bis vier Jahren rücken oft neue Kollegen nach. Das heißt auch, dass der VAP immer wieder Aufklärungsarbeit leisten muss. Für Erik Kirschbaum sind die kulturellen Reibungspunkte offensichtlich: „Autorisierung von Interviews ist ein Problem für Ausländer. So etwas gibt es bei uns nicht. Ein Interview ist ein Interview.“ Die deutschen Gepflogenheiten können sogar manchmal zu Streit unter den Korrespondenten führen. „Hintergrundgespräche sind beim VAP ein heißes Thema.“ Manche Korrespondenten wollen nicht „unter 3“ sprechen.

Beliebter Gastgeber

Nicht nur bei Medienmenschen wie Kosslick sind die VAP-Termine beliebt. Auch deutsche Regierungspolitiker sind oft zu Gast. „Manche Minister sind schlau geworden“, meint der Vorsitzende Kirschbaum. Inzwischen kommen sie selbst auf den Verein zu. So veranstaltete der VAP im Mai auf Initiative der damaligen Arbeitsministerin von der Leyen und Finanzminister Schäuble eine gemeinsame Pressekonferenz zum Thema Jugendarbeitslosigkeit in Europa. „Der Raum war bombenvoll mit Leuten aus Spanien, Italien und Griechenland,“ berichtet Kirschbaum. So erreichten die Minister in einer Stunde 50 bis 80 Journalisten aus ebenso vielen Ländern. Auch die Kanzlerin weiß die Reichweite des VAP zu schätzen. Einmal im Jahr stellt sie sich den Fragen der Mitglieder.

Zu den deutschen Kollegen indes ist das Verhältnis nicht immer gut. In Pressekonferenzen stellen die ausländischen Korrespondenten – wie eingangs geschildert – schon mal unkonventionelle Fragen – sehr zur Irritation der deutschen Kollegen. Kirschbaum sieht das anders. Bei Reuters arbeitet er täglich mit deutschen Kollegen zusammen. Aber die meisten ausländischen Korrespondenten sind Einzelkämpfer. Das macht den VAP für sie besonders wichtig.

Wenn ausländische Journalisten anecken, ist es oft unfreiwillig. Nach seinem denkwürdigen Dialog in der Bundespressekonferenz wollte sich Kirschbaum bei Schröders Pressesprecher entschuldigen. Der sah dazu aber keinen Grund. Ganz im Gegenteil, der Kanzler war mit seinem Auftritt offenbar sehr zufrieden. Am nächsten Tag druckten die Zeitungen seine Antwort: Journalisten dürften fragen und schreiben, was sie wollen, wenn es aber die Unwahrheit sei, werde er alle rechtlichen Mittel dagegen anwenden. Damit war die Geschichte für die Hauptstadtpresse vom Tisch. Kirschbaum lacht: „Schröder war auf die Frage vorbereitet, nur hätte sie fast keiner gestellt.“[/no-lexicon]

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Wer das Sagen hat. Das Heft können Sie hier bestellen.