Die Trickkiste der ­Doppelwahl

Politik

Die bayerische SPD ist nicht zu beneiden. Sie hat insgesamt nur rund zwei Millionen Euro für ihren Landtagswahlkampf zur Verfügung – und das im flächengrößten deutschen Bundesland. Angesichts des drohenden vierten Platzes (nach CSU, Grünen und AfD) kann man auch nicht gerade behaupten, dass sie das politische Momentum auf ihrer Seite hätte. Doch dann kam dieser eine Tag, an dem jemandem aus dem SPD-Team auffiel, dass es die finanziell weit besser aufgestellte CSU versäumt hatte, sich die Domain für ihren Wahlkampfslogan “Söder macht‘s” zu sichern. Ein Anfängerfehler. Und schon hatten sich die Sozial­demokraten die Website gesichert. Nun kann man darauf “zwölf gute Gründe” nachlesen, warum es besser wäre, die SPD zu wählen. 

Diese kleine Geschichte war einer der Höhepunkte im  bisherigen Vorwahlkampf von Hessen und Bayern. Sie wird wohl kaum etwas am Ergebnis ändern, aber Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) wütete trotzdem, die Aktion der SPD sei “schlimmer als jeder Russen-Fakenews-Bot”. Das Hauptopfer Markus Söder nahm es deutlich gelassener auf und sprach von einem “netten Abi-Streich”.

Die Doppelwahl im Oktober liegt etwa auf halber Strecke zwischen dem Wahlherbst 2017 (Bund, Niedersachsen) und dem Super-Wahljahr 2019 (Europa, Bremen, Sachsen, Brandenburg, Thüringen). Anlass genug, einen Blick auf die Wahlkampftools zu werfen, die zum Einsatz kommen. Gibt es spürbare Veränderungen? Werden gerade spannende neue Methoden ausprobiert? Was können die Parteien für den Marathon im kommenden Jahr lernen?

Der Hamburger Politikberater Martin Fuchs ist bestens informiert über Trends – auch über solche, die aus dem Ausland zu uns herüberschwappen könnten. Er warnt davor, die Landtagswahlen überzubewerten. Dort kämen neue Techniken oft mit Verspätung zum Einsatz, unter anderem wegen des geringeren Budgets. Er sagt: “Was State of the Art im Bundestagswahlkampf ist, muss nicht im Landtagswahlkampf auftauchen.” Trotzdem sind aus Bayern und Hessen gewisse Entwicklungen herauszulesen.

Social Media 

Innerhalb weniger Jahre haben es Twitter, Facebook, Snapchat und einige andere Kanäle geschafft, zu Wahlkampf-Klassikern zu werden. Bei der vergangenen Wahl 2013 hatten 73 Prozent der bayerischen Landtagsabgeordneten einen Facebook-Auftritt – inzwischen haben fast alle einen solchen. Politikberater Martin Fuchs spricht von einem “Standard”. Beeindruckt ist er vor allem von der CSU, die 5,5 Stellen ausschließlich für Social Media einsetzt – so viele wie niemand sonst in der deutschen Parteienlandschaft. Warum das so ist? Der Experte vermutet, dass sich der Bayern-Slogan von “Laptop und Lederhose”, so albern er auch klingen mag, tatsächlich in den Köpfen festgesetzt hat. Die CSU sei durchaus mutig gewesen beim Experimentieren mit neuen Ideen wie zum Beispiel einer Live-Fragerunde auf Facebook mit Markus Söder. Diese brachte es an einem Dienstagnachmittag in der Ferienzeit immerhin auf 40.000 Aufrufe und mehr als 1.000 Likes.

Markus Kaiser, Professor für Medien-Innovationen an der Technischen Hochschule Nürnberg, hat inzwischen schon sechs Seminare mit bayerischen Politikern aller Parteien zum Thema Social Media abgehalten. Bei vielen Akteuren fehlt ihm zufolge die strategische Erkenntnis, auf welchen Kanälen sie was veröffentlichen sollen. Auf die aktuellen Landtagswahlkämpfe bezogen, hat der Wissenschaftler je nach Stimmkreis erhebliche Unterschiede beim Einsatz von Social Media  festgestellt. In Groß- und Mittelstädten sei er unverzichtbar, im ländlichen Bereich gelte immer noch, “dass die Freiwillige Feuerwehr das beste soziale Netzwerk ist”. Während die Politik mit Facebook und Twitter schon seit etlichen Jahren Wahlkampferfahrung sammelt, setzt sich Instagram auf Länderebene erst jetzt so richtig durch. Bayerns Ministerpräsident steht – der Analyseplattform Likometer zu Folge – mit 12.600 Followern auf Platz 14 der deutschen Instagram-Politik-Accounts. Bei ihm unter anderem zu sehen: Klein-Markus am Tag der Einschulung mit seiner Mutter, MP Söder mit einem Hund im Tierheim, Wohltäter Söder beim Überreichen des neuen Landes­pflegegelds.

Messenger 

Whatsapp, Threema und Facebook Messenger spielen im Alltag der Bundesbürger eine immer größere Rolle. Alleine Whatsapp hat in Deutschland 45 Millionen Nutzer. Rentnerstammtische, Schulklassen und Familien tauschen sich hier aus. Der ganze Alltag wird inzwischen auf diese Weise organisiert. Der große Reiz für Wahlkämpfer: Messengerdienste haben immer noch die Anmutung des unmittelbaren, (halb)privaten Austauschs. Genau das, was die Politik gerne möchte – nicht wie ein Fremder daherkommen, sondern wie ein guter Freund. Nahezu alle relevanten Parteien nutzen die Möglichkeit, ihre Botschaften via Messenger auszusenden. Klar, dass auch der Shootingstar der bayerischen Grünen dabei ist. “Ich freue mich, dass Du mir folgst und mich begleitest”, schreibt einem “Katharina”, wenn man sich über Whatsapp mit ihr verknüpft hat. Von Du zu Du. Nicht Frau Schulze. Die Grünen waren die erste Partei, die in Deutschland mit  Whatsapp arbeitete. Messengerdienste sind im Wahlkampf ideal, um motivierende Inhalte an Sympathisanten und Mitglieder zu senden (Beteiligung an Aktionen, Reaktion auf aktuelle politische Entwicklungen) und sie mit Hilfe von (pseudo-)persönlicher Ansprache (natürlich wirkende Fotos der Spitzenkandidaten, Emojis, der Tageszeit angemessene Begrüßung) ansprechend zu ­verpacken.

Gamification 

Für manche, die noch nie davon gehört haben, mag es erst mal befremdlich sein, dass Spiele-Anwendungen eine Rolle in Wahlkämpfen spielen. Aber das ist längst der Fall. Als mustergültig gilt in Deutschland die CDU-App “Connect”, die sich an Mitglieder wendet. Wahlkampfhelfer können sich rasch über Details zum Haustürwahlkampf austauschen, sie erhalten laufend aktualisierte Informationen und am Ende wird der Fleißigste von ihnen mit einem Anruf vom Spitzenkandidaten belohnt. Die App wurde weiterentwickelt, allerdings ohne dramatische Neuerungen seit der Bundestagswahl. Gamification gilt als der wichtigste Ansatz für die Mobilisierung der eigenen Leute. Professor Markus Kaiser weist auf die Vorteile spielerischen Herangehens an Wahlkämpfe hin. Erstens: Der Mensch misst sich gerne mit anderen, will das nächste Level erreichen (Wettbewerbscharakter). Zweitens: Games-Anwendungen machen bei ihrer Ausführung schlichtweg Spaß, und das nicht nur jungen Menschen. Drittens: Der gelegentlich vorhandenen negativen Konnotation von allem, was mit Politik zu tun hat, wird ein wenig entgegengewirkt.  

Guerilla-Strategien 

Das eingangs zitierte Beispiel des Kaperns eines CSU-Wahlkampfslogans durch die SPD fällt eindeutig in diese Kategorie. Guerillamethoden im Wahlkampf – zum Beispiel Pop-up-Aktionen, sich an einem bekannten Schauplatz fotografieren zu lassen und dann schnell wieder zu verschwinden – sind schnell realisierbar und kostengünstig. Sie finden häufig auch relativ rasch eine virale Verbreitung und erbringen so ein Vielfaches des eigentlichen Einsatzes. Werden sie in den Landtagswahlen von Hessen und Bayern noch für Aufsehen sorgen? Das kann im Moment kein Experte sagen, denn Guerilla lebt vom genialen Einfall zum richtigen Zeitpunkt. Ob und wann das der Fall sein wird, weiß im Moment wahrscheinlich noch nicht einmal derjenige, der diese Aktion dann umsetzen wird.

Google-Adwords 

Solche bezahlten Werbeanzeigen auf der alles entscheidenden Suchmaschinenseite Google sind – schon seit Jahren und jetzt auch wieder – ein Dauerbrenner. Das Geld dafür dürfte vorhanden sein, wie Martin Fuchs festgestellt hat. Die Budgets für Online-Werbung seien inzwischen auf 20 bis 25 Prozent der Wahlkampfausgaben der Parteien gestiegen. Google-Anzeigen können langfristig strategisch geschaltet werden, etwa wenn es um eine Einstiegsinformation über bestimmte Politiker und Themengebiete geht. Aber auch als Begleitung von TV-Duellen eignen sie sich. Der große Vorteil: Diese Anzeigen können wahlkreisgenau ausgesteuert werden. Gerade in Landtagswahlkämpfen mit dem bescheideneren Etats und den stark regionalen Interessen der Kandidaten ist das sinnvoll.

Haustürwahlkampf 

In dem Zusammenhang zitiert Professor Kaiser gerne das für die Medien geltende “Rieplsche Gesetz”. Kein gesellschaftlich etabliertes Instrument des Informations- und Gedankenaustauschs werde jemals vollkommen ersetzt oder verdrängt, bedeutet das. So geht es auch dem klassischen Haustürwahlkampf. Er mag in der öffentlichen Aufmerksamkeit von Social Media und Messenger überholt worden sein, aber er gilt den Kandidaten als unverzichtbar. Die Junge Union geht sogar so weit, zu behaupten: “An den Haustüren in Hessen wird die Landtagswahl entschieden!” Hier kommt den Wahlkampfhelfern vor allem die bereits erwähnte App Connect mit ihren Hinweisen zum Ansteuern von bestimmten Zielgruppen zugute. Für altmodische Unterstützer hält die JU aber einen tröstlichen Hinweis bereit: “Natürlich können Sie auch mit dem Klemmbrett von Tür zu Tür gehen und uns die Unterlagen zukommen lassen.”

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 124 – Thema: Die Macht der Länder. Das Heft können Sie hier bestellen.