Die Renaissance politischer Bewegungen

Politik

Historisch gesehen ist das nichts Neues. Aber während der Zeit, die seit den Bürgerrechtsbewegungen, den Studentenbewegungen der sechziger Jahre und den Anti-Vietnam-Protesten verstrichen ist, war die Politik im Großen und Ganzen in den Händen von Parteien; links gegen rechts, Christliche gegen Sozialisten, rot gegen blau.

Aber nun ändert sich etwas: Parteipolitik wird derzeit von Bewegungen überholt, manchmal sogar überrollt; der Parteipolitiker wird durch den “Bewegungspolitiker” ersetzt. Die Antwort auf das Warum ist komplex, aber eine Sache ist klar: Die Öffentlichkeit ist der politischen Elite überdrüssig, die scheinbar zu einer Kaste geworden ist, die den Kontakt zur Basis verloren hat. Und die Massen geben Kontra – sowohl in den Wahlkabinen als auch auf der Straße. 

Die Stimme des Volks für sich nutzbar machen

In Frankreich marschierte der bis dahin unbekannte Emmanuel Macron im vergangenen Jahr als Kommandeur seiner eigenen politischen Bewegung in den Élyséepalast. Im Vereinigten Königreich fanden 51,9 Prozent der Bevölkerung ein Leben außerhalb der EU attraktiver als eines innerhalb der EU. In den USA gewann ein Immobilien-Tycoon die Kontrolle über die Republikaner und konnte sogar die US-Präsidentschaftswahl für sich entscheiden. In Österreich gewann die “Liste Kurz” die jüngsten Parlamentswahlen und erstmals in der Republik hatte die konservative Partei im Auftritt hinter den eigenen Spitzenkandidaten zurückzutreten.

Und seit den Parlamentswahlen im September 2017 ist in Deutschland die Alternative für Deutschland (AfD) mit 94 Sitzen im Bundestag. Die Insel der Stabilität und Gewissheit wurde erschüttert: Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg ist eine rechtspopulistische Partei im Bundestag vertreten.

Große Trends und Bewegungen

Es gibt mehrere Kräfte, die diesen Bewegungen Schwung verleihen. Dazu gehört die schrumpfende Wirkung traditioneller Medien in Kombination mit dem Aufstieg sozialer Medien. Soziale Medien wirken dabei als Mobilisierungsinstrument, weil sie es ermöglichen, jede neue Bewegung und jeden Trend mit noch nicht dagewesener Geschwindigkeit zu verbreiten, noch bevor in der breiten Öffentlichkeit darüber diskutiert wird – auch über Ländergrenzen hinweg. 

Gleichzeitig verändert sich die Dynamik des Vertrauens. Gewinnen können dieses zunehmend Gleichaltrige, Freunde, Familie und Beeinflusser, sogenannte “Influencer”, die sich so verhalten und auch so fühlen, als wären sie Teil unseres engsten sozialen Kreises. Hinzu kommt, dass das Misstrauen gegenüber traditionellen Eliten, öffentlichen Institutionen, Politikern und Akademikern sowie traditionellen Medien immer stärker zunimmt.

Megatrends und Ereignisse wie die Finanzkrise von 2007 und 2008 sind Beispiele dafür, wie sich die öffentliche Meinung durch ein organisches, dynamisches, von Mundpropaganda getriebenes Mediensystem verändern lässt.

Was Bewegungen fördert

Was an den unterschiedlichen Bewegungen interessant zu beobachten ist, sind die Eigenschaften, die sie gemein haben. So passieren Veränderungen immer dann, wenn eine Kombination aus “richtigem” Kontext, effektiver Kommunikation, passender Führung und etwas Glück vorliegt. Professionelle Kommunikations- und Marketingexperten versuchen sich gelegentlich mit unterschiedlichen Ergebnissen an dieser Kombination. Diejenigen, die erfolgreich sind, erzielen mit emotionalen Botschaftern eine signifikante öffentliche Bindung an Marken, wozu durchaus auch Menschen zählen. Bei einem Scheitern jedoch können die Folgen schwerwiegend sein, wie der etwa der Aufstieg und Fall von Martin Schulz und die damit einhergehende Marginalisierung der SPD gezeigt haben.

Aus unserer Sicht gibt es fünf Schlüsseleigenschaften von Bewegungen:

  1. Bewegungen haben ein klares Ziel. Starke Bewegungen sind in der Lage, einen deutlichen Kurs abzustecken und ihre Basis durch ein klares Ziel zu begeistern. Ob es darum geht, eine Wahl zu gewinnen oder soziale Missstände zu bekämpfen.
  2. Bewegungen sind zuordenbar. Um mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren und sie zu involvieren, knüpfen Bewegungen am Alltag der Menschen an. Sie geben den Menschen das Gefühl, dass eine Sache mit ihnen zu tun hat. Donald Trump schaffte es, Gedanken, Worte und Ideen zu verwenden, die Millionen von US-Bürgern ansprachen und verstanden. Dem Österreicher Sebastian Kurz gelang es, die radikalen Ansätze des rechten Lagers in gesellschaftlich noch akzeptierte Formulierungen zu gießen.
  3. Bewegungen wachsen organisch. Professionelle Kommunikatoren können eine Bewegung anstoßen und unterstützen, aber sie können sie nicht primär durch professionelle Maßnahmen anheizen.
  4. Bewegungen sind dezentralisiert. Selbst ohne einen klaren Anführer können Bewegungen Einfluss haben. Es ist die “Macht des Volks”, die Bewegungen voranbringt. Die Tea Party, Occupy; “Me Too” oder “Black Lives Matter” sind dafür gute Beispiele.
  5. Bewegungen sind authentisch. Es ist entscheidend, in Form und Inhalt als authentisch zu gelten. Wenn die Öffentlichkeit wahrnimmt, dass die Bewegung auf etwas Anderem basiert als dem, worum es bei der Botschaft geht, wird die Bewegung schwer vorankommen. Marketing-Tricks kommerzieller Akteure unterliegen diesem Risiko.

Das neue (Übergangs-) Normal

Nachdem Bewegungen für einige Jahrzehnte an Bedeutung verloren hatten, erleben sie im 21. Jahrhundert plötzlich eine Renaissance. Sie sind auferstanden und Menschen folgen wieder dem Ruf Einzelner oder der Idee von mehr Gerechtigkeit in den (be)herrschenden Systemen. 

Was nun Kommunikationsberater und Spin Doctors betrifft, so lernen diese gerade, dass ihnen heute (noch) kein Werkzeug zur Verfügung steht, dass die inhärente Kraft einer Bewegung bewusst generieren könnte. Die Entstehung und Eigenschaften großer Bewegungen kann man zwar ex post recht gut analysieren, aber sie sind nicht oder nur sehr schwer zu kopieren und fast unmöglich zu reproduzieren. Trotzdem, Bewegungen sind die Essenz dessen, was strategische Kommunikationsberater mit ihrer eigenen Arbeit erreichen wollen. Ob für eine politische Partei, ein Produkt oder ein Unternehmen, das bleibt jedoch schlussendlich jedem Kommunikator selbst überlassen.