Die Liberalen sind wieder da

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In den frühen Morgenstunden des 2. Dezember strahlt Tim Farron über das ganze Gesicht. Gerade hat seine Parteikollegin Sarah Olney die Unterhausnachwahl in Richmond Park, im Westen Londons, gewonnen. Sie holte 49,68 Prozent der Stimmen, ein Zuwachs von 30 Prozentpunkten gegenüber der letzten Parlamentswahl. Mit einem durch und durch proeuropäischen Wahlkampf hat sie dem ehemaligen konservativen Abgeordneten und Kandidaten für das Bürgermeisteramt in London, Zac Goldsmith, das Mandat abgenommen. Und damit ein Zeichen gesetzt: die Liberalen sind wieder da.

Tim Farron ist der britische Christian Lindner, der Hoffnungsträger der liberalen Partei. Schneller als von vielen Kommentatoren erwartet, melden sich die britischen Liberalen wieder auf der politischen Bühne zurück. Dabei sind die Parallelen zwischen der FDP und den britischen Liberalen unübersehbar.

Abgestraft für Wortbruch und Klientelpolitik

Wie der FDP, ist auch den Liberaldemokraten auf der Insel die Rolle des Juniorpartners in einer Koalition mit den Konservativen schlecht bekommen. Flog man hier bei der Bundestagswahl mit 4,8 Prozent der Stimmen aus dem Parlament, dezimierte sich da bei der Unterhauswahl die Fraktion von 57 auf nur noch acht Abgeordnete.

Während in Deutschland unter anderem die Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes für Hoteliers für Unmut sorgte, brachten die Liberal Democrats ihre Anhänger mit der Zustimmung zu Studiengebühren gegen sich auf. Mit dieser einen Entscheidung verspielten die Liberaldemokraten ihr jahrelang in der Opposition aufgebautes Vertrauenskapital.

Es folgten der Austausch der Führungsriege, ein leichter Linksschwenk und der Kampf um Aufmerksamkeit in den Medien. Schneller als erwartet brachte dies erste Erfolge: Die FDP zog wieder in einige Landesparlamente im Westen der Republik ein, die Liberal Democrats gewannen im Mai bedeutende Sitze bei den Kommunalwahlen hinzu.

Parteiengefüge hat sich verschoben

Es sind mehrere Gründe, die den Wiederaufstieg der Liberalen begünstigen. Auch in Großbritannien hat sich das Parteiengefüge kräftig verschoben. Doch während sich in Deutschland alles in der Mitte tummelt, sind die beiden Volksparteien auf der Insel an die Ränder gerückt. Die Konservativen unter Premierministerin May nach rechts und Labour unter Jeremy Corbyn weiter nach links. Der Platz in der Mitte ist verwaist und bietet einer sozialliberalen, proeuropäischen Partei reichlich Potenzial für den Erfolg an der Urne.

Weiterhin profitieren die Liberalen davon, dass es aktuell kein glaubhaftes Sprachrohr jener 48 Prozent der Wähler gibt, die sich im Juni gegen den Brexit aussprachen. Weder die wenigen versprengten proeuropäischen Konservativen noch die heillos zerstrittene Arbeiterpartei setzt dem planlosen Wurschteln der Regierung May etwas entgegen. Am glaubhaftesten, wenn auch manchmal fast romantisch, treibt Tim Farron die Regierung vor sich her und tritt entschlossen gegen den befürchteten harten Brexit ein.

Das Engagement kommt an: Alleine seit Juni ist die Zahl der Mitglieder um 20.000 auf mehr als 80.000 angewachsen. Zum Vergleich: Als sich die Liberaldemokraten 2010 an der Regierungskoalition beteiligten, verabschiedeten sich in wenigen Monaten mehr als 20.000 der damals 60.000 Mitglieder.

Farron ist etwas älter, aber genauso quirlig wie Lindner. Als klassischer Linksliberaler fällt es dem 46-Jährigen leicht, sich von seinen Amtsvorgängern abzuheben. Er macht das genauso entschieden wie Lindner, der seiner Partei so aktuell mehrere Koalitionsmöglichkeiten offenhält.

Richmond Park ist nicht Großbritannien

Bereits bei der Nachwahl im Wahlkreis Witney, wo der Abtritt des ehemaligen britischen Premierministers David Cameron einen erneuten Urnengang im vergangenen Monat notwendig machte, konnte Farrons Partei zweistellige Zuwächse verzeichnen.

Der Erfolg von Sarah Olney zeigt, dass die Liberalen wieder die Protestpartei in der britischen Politik werden können. Diesen Status hatte sie während der Regierungsjahre sukzessive an die United Kingdom Independence Party von Nigel Farage verloren. Doch deren Protestthema ging mit dem Sieg bei der Brexit-Abstimmung schlagartig verloren.

Bei aller Euphorie der Liberalen gilt es zu bedenken, dass Richmond Park nicht repräsentativ für das ganze Land ist. Im Juni hatten sich dort immerhin mehr als 70 Prozent der Wähler gegen den Brexit ausgesprochen. Zudem hatten die Grünen zugunsten von Olney darauf verzichtet, einen eigenen Kandidaten ins Rennen zu schicken. Dennoch zeigt die Abstimmung, dass eine konsequent proeuropäisch ausgerichtete liberale Partei in Großbritannien mehr denn je salonfähig ist. Der Wiederaufstieg der Liberalen wird sich fortsetzen.