Die Erwartungs­vollen von Berlin-Mitte

Politik

Und immer wieder wird Xing auf einen weiteren Jobwechsel hinweisen… Es gibt keine wichtigere Saison für Personalveränderungen als die Monate nach einem Wahltag. Ja, alle sagen, dass die Inhalte vorgehen, aber jeder weiß, dass es auch um ganz persönliche Weiterentwicklung geht. Berufungen, Beförderungen oder auch sogenannte “Schornsteineffekte”, bei denen ein Nachgeordneter auf eine frei gewordene Stelle über ihm aufrückt und dies auch für die Stellen der somit unter ihm Aufsteigenden gilt.

Natürlich lassen sich Karrieren nicht am Reißbrett planen. Ein junger Sozialdemokrat, der Anfang der achtziger Jahre auf eine Bilderbuchkarriere in einem Bundes­ministerium hoffte, ahnte nicht, dass seine Aufstiegs­chancen durch 16 Jahre schwarz-gelber Regierungsmehrheiten bis 1998 eher begrenzt sein würden. Umgekehrt kann es passieren, dass der Eintritt einer neuen Partei in die künftige Regierungskoalition zu ganz ungeahnten Jobop­tionen führt.

So sind jeder Abend einer Bundestagswahl und die folgenden Wochen von Sondierungen und Koalitions­verhandlungen zugleich ein Marktplatz für berufliche Optionen und persönliche Karriere-Tendenzometer. Ein Blick auf verschiedene, natürlich frei erfundene Personen im Regierungsviertel:

Der Referent in der ­Hauptstadtrepräsentanz

Seine Nerven. Und das schon seit Monaten. Natürlich weiß er, dass sein Unternehmen ihn vor allem für einen besseren Zugang in das Umfeld seiner Partei eingestellt hat. Das würde niemand so offen aussprechen, aber die Hauptstadtrepräsentanz braucht Anknüpfungspunkte in das Umfeld der jeweils regierenden Parteien. Das klappte in den vergangenen eineinhalb Jahren sehr gut, aber nun könnte seine Partei in die Opposition gehen, und somit wäre seine Arbeit für das Unternehmen sehr viel uninteressanter. Sein Vertrag läuft auch nur bis zum Frühjahr 2018. Verdammt! Besser zum Parlamentarischen Abend des Branchenverbands gehen. Ablenken. Verdrängen. Und dennoch immerzu: hoffen.

Die Hauptstadtkorrespondentin

Seit elf Jahren ist sie Berichterstatterin ihrer Tages­zeitung für diese Partei. Mitglied der Bundespresse­konferenz, Beobachterin der Bundesparteitage, Hintergrundgespräche, Abendessen auf Redaktionskosten, alle Abgeordneten der Partei begrüßen sie mit Namen und demonstrativer Jovialität. Schön und gut, kein Grund zu klagen eigentlich. Und doch schreibt sie seit elf Jahren über eine Oppositionspartei. Alles schon mal da gewesen, aus Prinzip dagegen, kein Mitregieren. Ihre Kollegen im Hauptstadtbüro reisen mit Bundesministern anderer Parteien ins Ausland, decken Regierungsintrigen auf und treiben Parlamentarische Staatssekretäre mit gezielten Anfragen samt Fristsetzung in die Enge. Dabei will sie endlich mitmischen. Hoffentlich fallen die Würfel bei der Regierungsbildung richtig.

Der Bundestagsabgeordnete

Okay, es hat zweimal nicht geklappt. Einmal wollte er Obmann seiner Fraktion im Bundestagsausschuss werden, beim nächsten Anlauf ging es um den stellvertretenden Ausschussvorsitz. Nun, nach zwölf Jahren im Hohen Haus, sollte es endlich funktionieren mit dem Heraus­stechen aus der breiten Masse. Fraktions­vorstand, das müsste möglich sein mit etwas Glück. Erst einmal nur Beisitzer und dann den Blick auf den geschäftsführenden Vorstand richten. Wie gerne würde er sich montags früher auf den Weg nach Berlin machen, wenn die Fraktionsführung tagt. Seine Landesgruppe ist diesmal dran, und den Rest muss er in den kommenden Wochen für sich klären.

Die Ministerialdirigentin

Sie brütet über dem Organigramm ihres Ministeriums. Seit fünf Jahren leitet sie die Unterabteilung, und in einem Jahr geht ihr Vorgesetzter in den Ruhestand. Endlich wäre der Weg zur Abteilungsleitung frei. Aber dunkle Wolken ziehen auf, es mehren sich die Gerüchte, dass in der neuen Bundesregierung die Themen der Abteilung in ein anderes Ministerium wandern sollen. Und dort werden alle Karten neu gemischt. Die Abenddämmerung über Berlin-Mitte grüßt durch die drei Fenster neben ihrem Schreibtisch. Ob sie irgendwann einmal ein Büro mit vier Fenstern ihres nennen wird, wie es nach der Rangordnung Abteilungsleitern zustehen? Sie blickt in den rötlichen Himmel.

Der Partner in der Agentur

Es geht ihm gut. Beim Wechsel von der einen zur anderen Public-Affairs-Agentur hat er den Sprung geschafft. “Partner” steht nun auf seiner Visitenkarte. Der Dienst-X6 parkt in der Tiefgarage. Erstmals Business fliegen ohne Diskussionen mit dem Finanzer. Aber der Preis für den Sprung war nicht ganz ohne, er musste zusichern, einige Kunden mitzubringen. Gute Kontakte aus früheren Jahren, andockfähige Etats, abrechenbare Stundensätze. Das klappt bisher, aber es soll auch weiterhin funktionieren. Welche Farbkonstellation künftig regiert, ist weniger wichtig. Privat hat er seine Meinung, aber im Geschäft kommt es eher auf andere Zugänge an. Und die hat er hoffentlich auch weiterhin. Sonst sind Firmenkreditkarte und Co. schneller weg, als er sich umschauen kann. Na ja, zwei Quartale lang geht das gut, aber dann wird seine Agentur neue vielstellige Erfolge einfordern.

Die Bereichsleiterin des ­Verbands

Die Türen des Konferenzraums schließen sich von innen. Sie bleibt draußen. Wenn die Geschäftsleitung des Verbands tagt, blickt sie manchmal durch die Milchglasscheiben und wartet auf den Tag, an dem auch sie auf der anderen Seite sitzen wird. Wenn die Gerüchte stimmen, könnte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer bald politischer Beamter in der neuen Bundesregierung sein. Im Verband bräuchte er einen Nachfolger, doch für sie wäre dieser Karriereschritt noch zu groß. In vier Jahren ja, aber nun erst einmal ein Zwischenschritt. Wenn der Leiter des Nachbarbereichs zur Nummer zwei im Verband aufsteigen würde, könnte man die beiden Bereiche fusionieren. Und damit ihre Mitgliedschaft in der Geschäftsleitung begründen. Erst mal als Nummer fünf – und dann weitersehen.

Der Fraktionspressereferent

Still steht es da, das Telefon. Kann denn das so schwer sein, nulldreinullzwozwosiebenundsoweiter zu wählen? Wann kommt endlich die Anfrage, ob er an Bord kommen will? Seine Partei dürfte mindestens zwei neue Bundes­minister stellen, die jeweils einen Sprecher brauchen, einen Vizesprecher, fähige Pressereferenten, einen Leiter Öffentlichkeitsarbeit und so weiter. Letzterer wird nach A16 oder B3 bezahlt, das wäre schon was. Aber erst einmal zumindest einen Fuß in die Tür bekommen. Ob das Telefon vielleicht kaputt ist? Er blickt in seinen Kalender. Die kommenden Tage hat er täglich einen Lunch mit einem Netzwerkpartner, Verbündeten aus alten Tagen, Gerüchtehörer oder sogar einem Regenmacher, der nah am zukünftigen Ministerohr ist. Und wenn das alles nichts wird, könnte in der Pressestelle der Parteizentrale etwas klappen. In deren Umfeld sollte er auch noch ein Mittagessen vereinbaren. Er greift zum Hörer des stillen Telefons und wählt …

Da laufen sie nun, zwischen Café Einstein und Reichstags­restaurant und geben sich betont lässig. “Ich bin sehr zufrieden mit meiner jetzigen Position”, sagen sie mit von Professionalität getünchter Anspannung beim Zufallsplausch Unter den Linden. “Mal sehen, was kommt, aber mir geht es in allererster Linie um die Inhalte.”

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 120 – Thema: Die ersten 100 Tage nach der Bundestagswahl. Das Heft können Sie hier bestellen.