Die Einschleicher

Berlin, im September 2006: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Finanzminister Peer Steinbrück, Justizministerin Brigitte Zypries, Veronica Ferres, Günther Jauch und viele andere haben sich zu einer Party angekündigt. Eine der angesagtesten in der Hauptstadt: die jährliche Feier des Gütersloher Medienhauses Bertelsmann in seiner Repräsentanz mit der noblen Adresse Unter den Linden 1. Die hohe Dichte an Spitzenpolitikern und Prominenten bedeutet auch: Ohne Einladung kommt niemand am Einlass vorbei. Keine Chance also für all diejenigen, die leer ausgehen. Eigentlich.

Geschickt eingefädelt

Dann kommt der damalige Grünen-Chef Reinhard Bütikofer im Taxi angefahren. Er hat eine Begleiterin dabei. Die Frau hängt sich an seinen Arm und lässt ihn erst wieder los, als sie gemeinsam an den Einlasskontrollen vorbei sind. Später gelingt es ihr, auch ihren Lebensgefährten auf die Party einzuschleusen – und zwar ganz ohne Einlasskarte. Wie Bütikofer später berichtet, hatte er die zuvor unbekannte Frau und ihren Partner kurz davor auf einem Empfang in der Chinesischen Botschaft getroffen. Ihn habe überrascht, dass der Mann ihn schließlich gebeten habe, doch seine Frau im Taxi mitzunehmen, er selbst werde später mit einem südafrikanischen Diplomaten nachkommen. Bütikofer wollte nicht unhöflich sein und willigte ein.

„Unglaublich dreist“

Party-Touristen, Party-Crasher, Einschleicher – es gibt viele Namen für Menschen wie die, deren Opfer Bütikofer geworden ist. Im November wurde bekannt, dass Party-Crasher es sogar auf einen Empfang von US-Präsident Barack Obama ins Weiße Haus geschafft hatten. Auf dem Berliner Parkett tummeln sich nach Schätzungen erfahrener Party-Veranstalter rund 50 Personen, die immer wieder ohne Einladung bei Partys, Empfängen und Galaabenden Einlass finden. Die meisten sind harmlos. Manch einer sonnt sich nur gerne im Licht der anwesenden Berühmtheiten, andere kümmern sich mit Hingabe um kalte Buffets und Getränke. Die Berliner Eventmanagerin Isa Gräfin von Hardenberg sieht die Sache mit den Party­einschleichern gelassen: Sie seien oftmals „unglaublich dreist“, würden aber notfalls hinauskomplimentiert, wenn sie unangenehm auffallen. Schwierig wird es für Gastgeber jedoch dann, wenn hochrangige Politiker anwesend seien. Dann gehe die Sicherheit vor. Für den Gastgeber macht das die Situation am Einlass zur Herausforderung: Einerseits sollen sich alle geladenen Gäste willkommen fühlen, andererseits garantieren nur unbarmherzige Kontrollen, dass niemand ungebeten hinein kommt.
Strategien, um auf die begehrten Partys zu kommen, gibt es viele. „Es gibt natürlich eine große Menge von Menschen, die anruft und eingeladen werden will“, sagt von Hardenberg. „Andere versuchen als Begleitperson mitzukommen, teilweise auch mit Erfolg.“ Es gebe auch Journalisten, die sich gerne auf Partys einschleichen. Aber wenn nie ein Beitrag erscheine, dann gebe es irgendwann keinen Einlass mehr. Auch Martin Blach, geschäftsführender Vorstand der Stiftung Kloster Eberbach und ehemaliger Referatsleiter Öffentlichkeitsarbeit und Veranstaltungen bei der Hessischen Landesvertretung, hat so seine Erfahrungen gemacht: „Als Gegenleistung für Karten zu den begehrten Partys wie dem Hessischen Sommerfest wurde von Abendessen bis Geld bereits alles angeboten“, so Blach. „Eine andere Masche ist, mit einem Sektglas bewaffnet vor den Einlass zu treten und zu behaupten, man sei nur kurz draußen gewesen – die Einladung ist dann wahlweise im Mantel an der Garderobe oder in der Handtasche der Begleitung, die aber dummerweise drinnen sei“, berichtet Society-Reporterin Patrizia Schueler von ihren Beobachtungen am Einlass zahlreicher Empfänge. Um dem Problem Herr zu werden, waren sogar eine Zeit lang Steckbriefe der einschlägig bekannten Einlass-Erschummler im Umlauf. Inzwischen sei das Problem weitgehend unter Kontrolle, berichtet Susanne Hintzpeter, Referatsleiterin Veranstaltungen und Gastronomie der hessische Landesvertretung. „Schon der Ruf, eine ,harte Tür’ zu haben, schreckt viele ab“, sagt Martin Blach.

Nachspiel

Reinhard Bütikofer musste wegen der Geschichte mit der Dame an seinem Arm sogar als Zeuge vor Gericht aussagen. Reporterin Patrizia Schueler hatte die Begebenheit beobachtet und anschließend über die Party-Crasher namentlich berichtet. Das Pärchen fühlte sich verleumdet und zeigte die Reporterin an. Die Staatsanwaltschaft jedoch befand den Artikel für im Kern richtig und eröffnete stattdessen ein Verfahren gegen das Pärchen wegen falscher Verdächtigungen. Und Bütikofer gibt inzwischen vermutlich besser Acht, welche Dame sich an seinem Arm einhakt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Nerven Sie nicht! – Der Knigge für den politischen Alltag. Das Heft können Sie hier bestellen.