Deutsche Politiker sind keine Fundraiser

Politik

Geld spielt in der Politik eine große Rolle, wenn es aber um das Thema Spendenmarketing für Parteien, politische Kampagnen oder Stiftungen geht, werden viele Akteure und Sprecher schmallippig – nach dem Motto “Über Geld spricht man nicht, man hat es”. Andere winken mit Verweis auf Spenden­skandale ab oder sind froh, sich nicht in die recht neue Materie Fundraising einarbeiten zu müssen. Es hat sich herumgesprochen, dass sich die viel zitierten Fundraising-Erfolge aus den USA – wie Großspender-Dinner oder Online-Spenden – nicht einfach auf Deutschland übertragen lassen. Deutsche Politiker sind keine Fundraiser und beschäftigen auch kaum entsprechende Spezialisten in den Geschäftsstellen.

Gleichzeitig erlebt der deutsche Spendenmarkt einen immer stärkeren Wettbewerb. Rund 20.000 gemeinnützige Organisationen, darunter etwa 2.500 überregional aktive, suchen Spender – überwiegend für humanitäre und karitative Zwecke, Kirchen, sowie für Umwelt- oder Tierschutz. Immer mehr Vereine, Hospize, Museen, Theater, Krankenhäuser oder Hochschulen werben um Fördermitglieder, Spender, Stifter und Sponsoren. Politische Parteien oder Stiftungen betreiben dagegen relativ selten professionelles Fundraising. Parteien und politische Verbände kämpfen wie die meisten Organisationen mit sinkenden staatlichen Zuschüssen und Mitgliedsbeiträgen. Durch eigene Passivität lassen sie dennoch viel Potenzial ungenutzt. Vielfach werben sie nicht einmal bei den eigenen Mitgliedern regelmäßig und professionell um Spenden.

Wie könnte nun eine einfache Fundraising-Strategie in der Praxis konkret aussehen? Eine vertrauenswürdige Partei, ein glaubwürdiger Kandidat oder Mandatsträger identifiziert und kontaktiert die richtigen Zielgruppen, zur passenden Zeit, mit einem überzeugenden Programm beziehungsweise Projekt, mit einem geeigneten Instrument und einem konkreten Spendenvorschlag in zielgruppengerechter Sprache. Nach Auswertung dieser Aktion wird die Beziehung zu den neu gewonnenen Förderern intensiviert und in weiteren Schritten auf eine höhere Stufe entwickelt. Im theoretischen Modell der „Spenderpyramide“ wird so aus einem Interessent ein Erst-, Mehrfach-, Dauer- und wenn möglich Groß- oder gar Testamentspender. Soweit die Theorie.

Spendenmailing mit ­Wählerpotenzial-Analyse

In der Praxis gibt es gute Gründe dafür, dass sich jede Partei rechtzeitig vor wichtigen Wahlen auch mit Fundraising-Kommunikationsmitteln an die eigene Klientel wendet: Das schließt sowohl aktuelle als auch ehemalige Mitglieder und Sympathisanten mit ein, vor allem in den eigenen Hochburgen. Das erfolgreichste Fundraising-Instrument ist das personalisierte Spenden-Mailing (als Brief, Flyer, Zahlschein oder Response-Element). Ein Beispiel: Ein Bundestagswahlkreis umfasst etwa 200.000 Wahlberechtigte. Die Struktur der Bevölkerung und das Wahlverhalten sind nicht in allen seinen Teilen identisch. Die Analyse legt Unterschiede in Gemeinden, Stadtteilen und Wahlbezirken offen und zeigt, wie die vorhandenen personellen und finanziellen Mittel beispielsweise im Rahmen einer Direktmailing-Aktion am effektivsten und effizientesten eingesetzt werden können.

 

Grundlage sind neben Daten zur Bevölkerungsstruktur die amtlichen Wahlergebnisse der Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen. In einem mehrstufigen Verfahren werden zunächst die Wählerpotenziale einer bestimmten Partei in den Teilen des Wahlkreises ermittelt. Diese in Verbindung mit der Wechsel-Neigung (“Swing-Index”) und der Bereitschaft zum Stimmensplitting (“Splitting-Index”) bilden die Basis für die räumlichen Schwerpunktsetzungen und die Auswahl der Adressaten. Beim Fokus auf Hochburgen wird das Parteien-Potenzial anhand vergangener Wahlergebnisse ermittelt. Das ist besonders für das Fundraising und die Mobilisierung zum Wahlkampf-Abschluss sinnvoll.

 

Anders als bei stichprobenartigen Umfragen handelt es sich bei der Wählerpotenzial-Analyse um eine vollständige Erhebung, die alle Wahlberechtigten eines Wahlkreises einbezieht, auch Nichtwähler. Da eine amtliche Statistik genutzt wird, ist die Datengrundlage absolut verlässlich. Außerdem ist gewährleistet, dass  alle Datenschutzbestimmungen eingehalten werden, da in der Analyse Einheiten betrachtet werden, die mindes­tens Wahlbezirks-Größe besitzen. Die Ergebnisse sind vielfach verwendbar, zum Beispiel für Mailings oder strategische Plakatierung und weisen eine sehr hohe Erfolgsquote auf: Etwa 80 Prozent der Kandidaten, die die Wählerpotenzial-Analyse genutzt haben, konnten ihren Wahlkreis direkt gewinnen oder ihr Ergebnis signifikant steigern.

 

Spendenaufrufe durch ein klassisches Mailing an die eigene Klientel, vor allem an Adressen aus der eigenen Datenbank, sollten Ergebnisse im zweistelligen Bereich erzielen. Kaltmailings an Neuspender sind eine Investition, der Return on Invest liegt unter eins. Eine Möglichkeit, Interessenten und Spender zu gewinnen, besteht auch darin, Leser einer Zeitung oder Zeitschrift (regional und überregional) per Beilage zu erreichen. In diesem Fall entfällt das Porto und mehr Personen werden angesprochen.

Beziehungspflege via Telefon

Für den kontinuierlichen Dialog mit Spendern und deren optimale Bindung ist der professionelle Einsatz des Telefons der beste Weg. Besonders lohnenswert sind Dankestelefonate: Mehr als 60 Prozent der angerufenen Spender haben in der Regel nach zwölf Monaten mehr oder häufiger gespendet.

Für die Zukunft wäre es auch für die deutschen Parteien an der Zeit, professionelles Spendensammeln als selbstverständliches Mittel zur Kofinanzierung von Wahlkämpfen oder politischen Kampagnen zu akzeptieren. Gut gemachte Spendenwerbung ist Teil einer individuellen und professionellen Kommunikationsstrategie. Und persönliche Kontakte zu Spendern führen zu den größten Beträgen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation III/2015 Geld. Das Heft können Sie hier bestellen.