Der weite Weg zum Markenzwieback

Hallo, wir sind die Neuen“ titelte „Spiegel online“ eine Woche nach der Bundestagswahl und meinte damit die 229 Abgeordneten, die zum ersten Mal in den Bundestag einziehen. Dort müssen sie – unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu Koalitions- oder Oppositionsfraktionen – nun erst einmal ihren Platz finden. Und zwar nicht nur im räumlichen Sinne, sondern auch im ganz persönlichen. Den eigenen Platz zu finden, heißt auch sich zu positionieren, sich messbar von anderen abzugrenzen und zu unterscheiden.

Die meisten Neuen werden nicht direkt zum politischen Spitzenpersonal gehören und sind daher für Journalisten zunächst meist uninteressant. Sie müssen daher in den kommenden Monaten ein Image und eine eigene, unverwechselbare Marke entwickeln: etwas Typisches, was Bekanntheitsgrad und Wiedererkennung prägt. Das kann ein Fachgebiet sein, eine besondere Ausdrucksweise oder auch Äußerlichkeiten. Karl Lauterbachs Fliege und sein Haarschnitt zum Beispiel sind unverwechselbar, auch seine Position als Gesundheitsexperte. Ludwig Stieglers roter Pulli gehörte früher dazu, Münteferings Schal, Joschka Fischers museal gewordenen Turnschuhe und natürlich – the one and only unter Politiker-Merkmalen – Hans-Dietrich Genschers gelber Pullunder.

In einem Parlament mit über 600 Abgeordneten geht einem auf der Suche nach dem einmaligen Kennzeichen allerdings schon mal die Puste aus. Norbert Röttgen musste das als Umweltminister leidvoll erfahren: neue Brille – die hatten sich Guido Westerwelle und Frank-Walter Steinmeier auch schon ausgesucht. Mit dem Fahrrad durchs politische Berlin, wie es Hans-Christian Ströbele tut: kam auch nicht überall gut an. Die sportive Leichtigkeit des Seins wirkte bei Röttgen inszeniert, weniger authentisch jedenfalls als Luxus-Zigarren und Brioni-Mäntel bei Gerhard Schröder.
Die Suche nach dem Erkennungssymbol, das aus einem trocken gebackenen Politiker einen leckeren Markenzwieback macht, gleicht oftmals dem Stochern im Nebel: ein Auftritt hier, ein Statement da, ein Blog dort – und zwischendrin werden oft Berge von Pressemitteilungen publiziert, bei denen sich aufgrund der Masse Relevantes und Irrelevantes kaum unterscheiden lassen.

“Wir sollten mal wieder …”

In vielen solcher Fälle fehlt den Parlamentariern eine Strategie, ein Konzept, das von A wie Analyse bis Z wie Zielerreichung konsequent und ehrlich auflistet, was der Politiker oder die Politikerin kann, welche Stärken und Schwächen er oder sie mitbringt, wo besondere Begabungen oder Verdienste liegen und wie sich daraus informierende PR gestalten lässt. Wofür steht der Abgeordnete? Was sind die Kernbotschaften und Positionen? Welche Thesen werden mit ihm oder ihr verbunden und welche Maßnahmen passen dazu?

Im Wahlkampf warb ein Abgeordneter aus Norddeutschland mit einem typischen sechsseitigen Flyer: linke Seite Text, Mitte Text, rechts auch Text. Keine erkennbaren Absätze, keine erkennbare Gliederung. Der Mann saß im Wahlausschuss des Bundestages, hatte also Einfluss auf die Wahl der Bundesverfassungsrichter. Diese repräsentieren immerhin das Verfassungsorgan mit dem höchsten Ansehen in der deutschen Bevölkerung. Der Flyer erwähnte das nur am Ende einer langen Aufzählung. Das positive Image des Gerichts und die Bedeutung des Wahlausschusses wurden nicht aufgegriffen. In Kombination mit der Bleiwüste an Text und wenig aussagekräftigen Fotos blieb von dem Abgeordneten nicht viel im Gedächtnis. Seine Erststimmen-Kampagne scheiterte.

Das Beispiel ist willkürlich herausgegriffen, es zeigt aber deutlich das Problem: Zeit und Raum für ein durchdachtes Kommunikationskonzept und eine griffige PR-Strategie gibt es im Tagesgeschäft der politischen „Normalos“ nur selten. Wenn ich aber nicht weiß, was den jeweiligen Abgeordneten auszeichnet, kann ich keine Botschaften formulieren, kann ich nicht die wirklichen Zielgruppen (immer wieder gerne genommen: „na, die breite Öffentlichkeit halt“) benennen und weiß nicht, wie diese zu erreichen sind. Folglich können auch nicht die richtigen Maßnahmen gewählt werden. Jede Aktion ist ein Zufallsprodukt („wir sollten mal wieder…“), jeder Erfolg ein Zufallstreffer.

Stärken und Schwächen kennen

Abhilfe schaffen unter anderem Beratung von außen und interne Fortbildungen. Doch die werden bei Weitem nicht in dem Maße in Anspruch genommen, wie es sinnvoll und nötig wäre. Dabei ist ein schlüssiges PR-Konzept keine Zauberei. Es ist ein wichtiges Handwerkszeug der Kommunikationsarbeit. Es anzuwenden kann man lernen. Die eigene politische Identität und Position einordnen, klare Botschaften formulieren und die eigenen Zielgruppen und Multiplikatoren kennen – das hat nichts mit Kreativität zu tun. Es ist ganz einfache, handwerkliche Analyse.
Gefragt sind dabei Vorteil-Nutzen-Argumente, die intern und extern – die eigenen Parteigruppierungen ebenso wie die Wähler – überzeugen. Zum Beispiel: Die Abgeordnete C ist besonders eng mit ihrem Wahlkreis verbunden. Sie hat hier jahrelang im sozialen Bereich gearbeitet. Daher kennt sie die Probleme der Menschen und ihre Erwartungen an die Bundespolitik genau und vermag bei Veranstaltungen vor Ort dem „kleinen Mann“ die „große Politik“ verständlich zu erklären. Oder: Kaum einer schaut bei der Euro-Rettung vor lauter Schirmen noch durch. Der Abgeordnete P hat den Durchblick behalten und weiß sachlich zu diskutieren, so dass persönliche Angriffe ausbleiben. Daher ist er über alle Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg als Fachmann und Vermittlungspartner gefragt. Die Feste von Heimatverein, Freiwilliger Feuerwehr und Frauenchor im Wahlkreis sind ihm hingegen ein Graus.
Es ist also zunächst eine ehrliche Stärken- und Schwächen-Analyse erforderlich, bevor das Parlamentsmitglied für eine Podiumsdiskussion mit rivalisierenden Interessengruppen zusagt. Nicht jeder ist für alles gemacht. Was zum Einzelnen passt, muss nüchtern geklärt werden. Das kreative Sahnehäubchen kommt erst dann, wenn es um ausgefallene PR-Maßnahmen, Webseite, Twitter- und Facebook-Präsenz (bitte nur, wenn die wirklich sinnvoll und authentisch zu realisieren sind!) und gelungene Bühnenauftritte geht.

Plagiieren erlaubt

Im zweiten Schritt ist die Hilfestellung von Profis gefragt, die mit ihrer Erfahrung beraten und unterstützen können. Sie wissen, wie ein toller Flyer aussieht, den Menschen aus der relevanten Zielgruppe gern in die Hand nehmen. Und die die darauf abgebildete Person auch weiterempfehlen. Wir wollen ja, dass die Menschen positiv über uns reden – Empfehlungsmarketing nennt man das in der Wirtschaft.

Im dritten Schritt schließlich empfiehlt sich der Blick darauf, wie es denn andere Abgeordneten machen und wer von ihnen damit welchen Erfolg hat. Das ist nicht verboten, und Plagiieren ist da ohnehin nicht angesagt. Denn nur sehr selten werden zwei Abgeordnete aus zwei unterschiedlichen Wahlkreisen mit ihrem individuellen Lebenslauf und ihren Positionen tatsächlich identische Zielgruppen ansprechen. Abgeordnete sind also keine Einheitsware. Auch die „Neuen“ müssen das mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit in den nächsten Monaten deutlich machen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Hallo Kollegen. Das Heft können Sie hier bestellen.