Der Vater des modernen Wahlkampfs

Harry Walter ist tot. Er starb am Silvestertag im Alter von 84 Jahren auf seiner Ranch in Kanada. Seine berufliche Laufbahn hatte Walter beim Berliner „Telegraf“ als Fotojournalist begonnen. Das hat ihn geprägt, dort hat er die amerikanische Maxime „HPS“ (Headline Picture Story) für seine spätere Arbeit verinnerlicht.

Walter arbeitete damals auch für die großen Agenturen Troost und Eggert. Werbung hat er also von der Pike auf gelernt. Schließlich hat er mit seiner eigenen Werbeagentur ARE in Düsseldorf das neue Bild der SPD geprägt, das sich politisch und werblich seit den sechziger Jahren abzeichnete. Bis 1982 waren die SPD und Walter ein Erfolgsteam. Seine prominentesten Kandidaten waren Willy Brandt und Helmut Schmidt.

Die CDU konnte erst Mitte der siebziger Jahre mit dem modernen Imagebild der SPD mithalten. Als ich als neuernannter Hauptabteilungsleiter Öffentlichkeitsarbeit der CDU einen Helmut-Kohl-Prospekt für Opinionleaders herausgab, erreichte mich eine freundliche Gratulation von Harry Walter, den ich bis dahin nicht persönlich kannte.

Fairer Sportsmann  

So war der Wahlkämpfer Harry Walter zeitlebens – ein fairer Sportsmann. Und die Wahlkampfauseinandersetzung sah er als Konkurrenzkampf, nicht als Bürgerkrieg mit anderen Mitteln. Wir waren Gegner, nicht Feinde. Als geborene Berliner verstanden wir uns blendend und begründeten eine jahrzehntelange freundschaftliche Kollegialität. Häufig sahen wir uns auf Kongressen, wo wir gemeinsam auf Podien diskutierten, und vor allem auf den Tagungen der IAPC, der Internationalen Vereinigung der Politikberater.

1982 brachte Walter als Chairman die IAPC-Konferenz nach Berlin. Noch heute sehe ich ihn auf den verschiedenen Kongressen der Vereinigung mit den politischen Großberatern Michel Bongrand aus Frankreich und dem ebenfalls kürzlich verstorbenen Joseph Napolitan aus den USA zusammensitzen – Zigarre qualmend und die Welt in Wahlkampfgebiete aufteilend. Globalisierung der Wahlkämpfe war angesagt.

Walters Erfahrungen in Wahlkämpfen suchen ihresgleichen. Rund 80 Kampagnen hat er entwickelt. Wohl alle sozialdemokratischen Politiker der sechziger bis achtziger Jahre, die in Deutschland politische Bedeutung erlangt haben, haben ihre Wahlsiege Harry Walter zu verdanken.

Walters drei Meisterstücke waren die Wahlen 1969, 1972 und 1976 mit Willy Brandt und Helmut Schmidt. Auch Johannes Rau, Hans Koschnik, Oskar Lafontaine und Klaus von Dohnanyi vertrauten auf seine Kunst. Zudem hat er für viele ausländische Politiker wie Bruno Kreisky und Mario Soares Wahlkampagnen entwickelt.

Ein Plakat schreibt Wahlkampfgeschichte

Dabei verlor er nie den Wähler aus den Augen. Er kannte seine Zielgruppen und setzte seine Wahlkampfmittel nach dem Motto ein: „Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.“ Harry Walter wusste die Selbstzufriedenheit von Machern zu vermeiden, die ihre Kampagnen großartig finden, aber die Wähler für zu dumm halten, das zu erkennen.

1972 hat Walter eines der berühmtesten Wahlplakate überhaupt herausgebracht: „Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land – Wählt Willy Brandt.“ Das war eine durchschlagende Antwort auf den CDU-Kandidaten Rainer Barzel, der die Bundesrepublik als „unordentlich“ bezeichnet hatte. Für das Plakat verwendete Walter ein Foto, das live im täglichen Geschehen geschossen worden war, und überwand mit der wörtlichen Rede die bis dahin vorherrschenden gestanzten Wahlkampfformeln. Allein dieses Plakat steht für eine neue Linie der Wahlkampfführung und hat Wahlkampfgeschichte geschrieben.

Mit seiner Lebensgefährtin Petra Karthaus hat Harry Walter in vier Jahrzehnten viele internationale und kommerzielle Kampagnen gemacht. Sie waren ein erfolgreiches Team und angenehme Gesprächspartner. In seinem letzten Lebensjahr 2013 hat er in Zusammenarbeit mit Jana Polgart sein Buch „Campaigning … international“ herausgebracht. Wer dort die von Walter konzipierten Plakate sieht, wird überrascht sein, wie schwer diese Qualität auch heute noch zu überbieten ist. Wer gerne über Wahlkampfe resümiert, dem wird Harry Walter fehlen.