Der Seitenwechsler

Es ist ein Wechsel, der für reichlich Gesprächsstoff in der Hauptstadt sorgt. Im November 2007 verschickt das „Handelsblatt“ eine Pressemitteilung, in der die Tageszeitung den neuen Leiter ihres Berliner Büros vorstellt: Daniel Goffart. Was den Wechsel dabei so ungewöhnlich macht, ist die Position, aus der Goffart zur Düsseldorfer Wirtschaftszeitung kommt. Denn der Journalist vertritt zu diesem Zeitpunkt die Interessen der Deutschen Telekom. Als Leiter der Hauptstadt-Repräsentanz bemüht er sich um gute Drähte zur Politik. Gestern Lobbyist, heute Büroleiter? In den Berichten über den Wechsel schwingt Skepsis mit. Heute zeigt sich: Der Wechsel zum „Handelsblatt“ hat keinem geschadet. Weder Goffart, noch der Wirtschaftszeitung.

Häuserkoller in West-Berlin

Wer herausfinden will, warum der Journalist im Jahr 2004 in die Wirtschaft geht, nach vier Jahren aber doch wieder zum „Handelsblatt“ zurückkehrt, muss sich mit seiner Biografie beschäftigen. Goffart wird 1961 in Aachen geboren, wächst dort auch auf. Am bischöflichen Pius-Gymnasium folgt der, laut Goffart, „klassische Einstieg“ in den Journalismus: als Chefredakteur der Schülerzeitung. Nach dem Abitur geht er nach Bonn, um Jura zu studieren. Zu dieser Zeit weiß er zwar, dass er später als Journalist arbeiten möchte, sein alternatives Berufsziel Rechtsanwalt verfolgt er trotzdem weiter. Nachdem er 1986 in Bonn das erste Staatsexamen gemacht hat, geht Goffart zurück in seine Heimatstadt, um ein Volontariat bei der „Aachener Volkszeitung“ zu machen. Die journalistische Ausbildung dauert zwei Jahre. Dann wieder ein Wechsel: beruflich und privat. Goffart will das zweite Staatsexamen machen – und geht nach Berlin. Die Zeit in der geteilten Metropole ist ihm im Gedächtnis geblieben. „Ich habe das noch alles mitgemacht: die Transitwege durch die DDR und die komplizierte An- und Ausreise in West-Berlin“, sagt er. Vor allem die Erinnerungen an die engen Straßen und Häuserschluchten der Stadt haben sich festgesetzt. „Aus meiner Heimat war ich lange Spaziergänge am Rhein mit weitem Blick über die Landschaft gewöhnt. Wenn ich zu lange in Berlin blieb, spürte ich einen Häuserkoller, von dem ich bereits gehört hatte.“ Goffart hält durch – die Rieselfelder in Spandau dienen als Ersatz für die Rheinwiesen.
Während der Referendariatszeit sucht der Aachener immer auch die Nähe zu den Medien. Er arbeitet in der Pressestelle des Innensenators Erich Pätzold und in der Rechtsabteilung des Radiosenders „Freies Berlin“. Nach dem zweiten Staatsexamen und der Anwaltszulassung geht er zum Ullstein-Verlag. Dann fällt die Mauer. „Auf einmal war der große Aufbruch in der Stadt, und mir war klar, dass ich diese Zeit als Journalist mitmachen musste“, sagt Goffart. Er sucht den Kontakt zu einer Tageszeitung – und findet ihn während der Arbeit. Beim Ullstein-Verlag arbeitet der Jurist in der Rechtsabteilung und kümmert sich auch um Gegendarstellungen in der „Berliner Morgenpost“. Zu dieser Zeit ist Bruno Waltert, ebenfalls Volljurist, Chefredakteur der Ullstein-Zeitung. In den Gesprächen mit Waltert erzählt Goffart von seiner Zeit als Volontär. Der Chefredakteur überlegt nicht lange und fragt, ob er zur „Morgenpost“ kommen will. Goffart sagt zu und wechselt 1992 in die Politikredaktion der Tageszeitung. Er überzeugt: Im selben Jahr schickt ihn Waltert als Parlamentskorrespondent nach Bonn. Vier Jahre schreibt Goffart  für die „Morgenpost“, bis er sich 1996 zum ersten Mal dafür entscheidet, zum „Handelsblatt“ zu gehen. Im Bonner Büro der Wirtschaftszeitung, das Heinz Schmitz, der heutige Pressesprecher der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), leitet, ist Goffart jüngster Korrespondent. „Als Jungspund musste ich das machen, was der Jungspund eben zu machen hat: die Grünen“, sagt Goffart. Dabei bleibt es nicht. Später kommt die SPD dazu, aber auch für CDU und FDP war er schon einmal zuständig.

„Warum habe ich das gemacht?“

Der Regierungsumzug im Jahr 1999 bedeutet auch für die vier „Handelsblatt“-Korrespondenten den Abschied aus Bonn. In Berlin verändern sich die Dinge schnell. Goffart: „Zu dieser Zeit, die Dotcom-Blase war noch nicht geplatzt, haben die Verlage noch viel Geld verdient und ihre Redaktionen dementsprechend vergrößert.“ Auch die Berliner „Handelsblatt“-Redaktion profitiert davon – bis heute. 16 Korrespondenten arbeiten jetzt im Büro an der Friedrichstraße. Die Wirtschaftszeitung verfügt über eins der größten Korrespondentenbüros in Berlin.
Bis 2004 bleibt der Aachener bei der Tageszeitung, zuletzt ist er stellvertretender Leiter der Hauptstadtredaktion. Dann der Abschied vom Journalismus – und der Wechsel zur Deutschen Telekom. Noch bevor man im Interview die erste Frage zu dem Thema stellen kann, sagt Goffart: „Warum habe ich das gemacht? Das wurde ich schon oft gefragt.“ Der 48-Jährige überlegt kurz und erklärt: „Ich habe mich für die Telekom entschieden, weil ich das Gefühl hatte, einmal etwas anderes machen zu wollen.“ Zu diesem Zeitpunkt habe er bereits dreizehn Jahre als Korrespondent gearbeitet. „Irgendwann kommt dann die zehnte Generaldebatte, der fünfzehnte Parteitag und der sechste Wirtschaftsminister.“ Auch habe es im „Handelsblatt“ interne Diskussionen über Personen und Strukturen gegeben. „Da kamen mehrere Dinge zusammen“, sagt Goffart.
Eine wichtige Rolle bei dem Wechsel hat damals Peter Heinacher gespielt, der bereits ein halbes Jahr vorher vom „Handelsblatt“ als Cheflobbyist zur Telekom gewechselt ist. Er fragt Goffart, ob dieser sich vorstellen könne, als Leiter der Hauptstadt-Repräsentanz die politische Gesetzgebung in Berlin zu beobachten. Der Journalist, auf der Suche nach Abwechslung, sagt zu.
Bei der Telekom arbeitet Goffart mit zwei ehemaligen Arbeitskollegen zusammen. Denn neben Heinacher ist auch Heinz Schmitz seit 2004 beim Bonner Unternehmen; er leitet dort die nationale politische Interessenvertretung. „Als Jurist fand ich die Rechtsmaterie spannend. Und als ehemaliger Politikkorrespondent kannte ich den Berliner Betrieb und die Akteure. Ich wusste, wie eine politische Debatte läuft“, sagt er.
Vier Jahre bleibt Goffart bei der Telekom. Die wichtigsten Projekte: das neue Telekommunikationsgesetz und die Vorratsdatenspeicherung. Doch dann merkt er, wie sehr ihm das Schreiben fehlt, sein „journalistisches Herz“ packt ihn. „Die Themen waren gesetzt, und es kamen auch nicht mehr so viele neue hinzu.“ Gleichzeitig habe es einige personelle Veränderungen bei der Telekom gegeben. So wechselt Heinacher im Februar 2008 zum Energiekonzern RWE, Schmitz zur BDA.
Ein Berliner Kollege, der Goffart seit vielen Jahren kennt, sagt: „Daniel ist ein Vollblutjournalist. Das Schreiben hat ihm bei der Telekom gefehlt. Er wollte zurück zum ‚Handelsblatt‘.“ Im Journalismus besteht jedoch ein großer Unterschied zwischen wollen und dürfen. Goffart: „Man kann nicht immer damit rechnen, dass eine Rückkehr klappt. Es gibt viele, die sagen, wer einmal die Seite gewechselt hat, sollte nicht mehr zurück.“
Er kann das verstehen und mache sich, auch wenn er kritische Kommentare nie direkt mitbekommen hat, keine „Illusionen darüber, dass mein Wechsel ein kontroverses Thema bei den Kollegen war.“ Es sei in Ordnung, wenn Leser und Kollegen etwas genauer aufpassen, wenn jemand aus der Wirtschaft wieder zu einer Tageszeitung ginge. Goffart selbst hat deswegen beschlossen, keine Artikel mehr über die Telekom zu schreiben. „Ich bin mir zwar sicher, dass ich auch heute noch objektiv berichten könnte, aber ich mache es nicht, damit erst überhaupt kein Konflikt entsteht.“
Eine Berliner Kollegin lobt Goffart für seine Entscheidung, zum „Handelsblatt“ zurückzukehren und sagt: „Er hat meinen Respekt dafür, dass er das geschafft hat.“ Für die Wirtschaftszeitung und seinen Chefredakteur Bernd Ziesemer sei es ein Glücksfall. „Goffart ist ein detailversessener Journalist. Ihm ist es aber auch wichtig, den Lesern alles verständlich zu erklären.“ Gerade in der Finanzkrise könne das „Handelsblatt“ von so jemandem profitieren.
Und was erwartet Goffart von der Zukunft? „Die Erfahrung in der Wirtschaft war spannend, aber ich muss sie nicht noch einmal machen“, sagt er und lächelt. Er sei zurückgekommen, weil er gerne Journalist sei. „Und zwar aus vollem Herzen.“ Und während er das sagt, erkennt der Besucher: Ihm gegenüber sitzt ein Journalist, der einfach froh ist, wieder zu Hause zu sein.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Jetzt aber los! – Endspurt zur Bundestagswahl. Das Heft können Sie hier bestellen.